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Wo die USA sich wie eine Diktatur verhalten

 

Seit zwölf Jahren treffen wir uns regelmäßig, in New York, in London, in Madrid: Das Center for Constitutional Rights, Amnesty International, Human Rights Watch und wir vom European Center for Constitutional and Human Rights sprechen immer wieder über das Folterprogramm der USA nach dem 11. September 2001 und beratschlagen, wo wir welche Klage einreichen. So auch diese Tage in Berlin. Allerdings haben sich die Vorzeichen in den vergangenen Jahren ziemlich verändert.

Die Idee hinter den ersten Strafanzeigen, die wir zwischen 2004 und 2008 in Deutschland, Frankreich und Spanien gegen den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, den ehemaligen CIA-Chef George Tenet und andere hohe Verantwortliche aus der US-Regierung einreichten, war zunächst dieselbe wie die hinter den Fällen aus der argentinischen und chilenischen Militärdiktatur in den 1990er Jahren: Wir wollten die Straflosigkeit der systematischen Folter dadurch aufbrechen, dass wir Impulse von außen gaben.

In den USA war damals, vor gut einem Jahrzehnt, eine Reihe von Zivilverfahren und Verfassungsklagen anhängig. Wir hatten die Hoffnung, dass sich der wenn auch fragile so doch traditionsreiche Rechtsstaat USA besinnen und die Ungeheuerlichkeiten im Namen der sogenannten Terrorismusbekämpfung rechtlich einhegen würde.

Aber selbst die größten Zumutungen wie beispielsweise die Foltermethode des Waterboardings, die Ex-Präsident George W. Bush und sein Vizepräsident Dick Cheney billigten, blieben gänzlich unsanktioniert. Die Überlebenden der Folter in Guantánamo, Abu Ghraib und Bagram erhielten weder Entschädigung noch medizinische Behandlung.

Beim Amtsantritt von Präsident Barack Obama im Januar 2009 keimte eine vage Hoffnung, unter der Ägide des gelernten Verfassungsrechtlers würden die schlimmsten Verbrechen aufgeklärt und vor Gericht verfolgt. Doch nichts geschah, auch nicht nach der Veröffentlichung des CIA-Folterberichtes des US-Senats im Dezember 2014. Heute müssen wir davon ausgehen, dass sich die Vereinigten Staaten von Amerika bei der Aufarbeitung von Folter wie eine Diktatur oder ein autoritäres Regime verhalten.

Hoffnung auf Gerechtigkeit kommt daher derzeit tatsächlich nur von außerhalb. Selbst wenn klar ist, dass sich relevante Teile der US-Gesellschaft nicht für das interessieren, was derzeit an europäischen Gerichten und Staatsanwaltschaften passiert. An erster Stelle sind da sicherlich die Prozesse vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu nennen, der „nur“ Polen, Litauen und Mazedonien verurteilt hat, weil das Gericht an die USA formal nicht herankam. Die Urteilsbegründungen jedoch lesen sich wie eine Ohrfeige für den Bündnispartner USA, dessen Praktiken die Richter als schwerste Menschenrechtsverletzungen einordneten, zu denen die europäische Länder Beihilfe geleistet haben.

Auch die Strafverfahren gegen CIA-Agenten, die den Ägypter Abu Omar in Italien und den Deutschen Khaled El-Masri in Mazedonien entführten, wären vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen. Sie führten in Italien zu Verurteilungen in Abwesenheit und auch in Deutschland zu einer Serie von Haftbefehlen.

Noch in den Anfängen stecken strafrechtliche Ermittlungsverfahren in Spanien, Frankreich und auch in Deutschland. Die wichtigste Botschaft aus diesem Panorama juristischer Verfahren liegt nicht in deren Details, sondern darin, dass es zehn bis fünfzehn Jahre nach den Verbrechen außerhalb der USA immer noch eine rechtliche Auseinandersetzung mit dem US-Folterprogramm gibt.

Und die Überlebenden von Guantánamo? Auf unserer Veranstaltung Anfang der Woche in Berlin war der ehemalige Häftling Murat Kurnaz skeptisch. Er hat wenig Hoffnung, dass sich die politisch Verantwortlichen in den USA und Deutschland je bei ihm entschuldigen oder dass sie ihm für fünf Jahre illegale Folterhaft eine Entschädigung zahlen. Sein französischer Mithäftling Mourad Benchellali setzt darauf, dass die Ermittlungsrichter in Paris seinen Fall ernsthaft weiter betreiben. Auch dem aus dem Irak geflohenen ehemaligen Abu-Ghraib-Gefangenen Ali Abbas kommt es wie Kurnaz und Benchellali darauf an, dass diejenigen, die von den USA gefoltert wurden, nicht den fatalen Schluss ziehen und sich einer der bewaffneten Gruppen anschließen. Kurnaz, Benchellali und Abbas arbeiten auf eine friedliche und demokratische Gesellschaft hin. Schön wäre es, wenn sie mit dieser Hoffnung nicht alleine gelassen würden.