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Gegen die mächtigen Rechtsbrecher

 

In wenigen Tagen wird ein großer Rechtsanwalt und persönlicher Freund, Peter Weiss, in New York seinen 90. Geburtstag feiern. 1925 in Wien geboren, floh er 1941 in die Vereinigten Staaten von Amerika und war am Ende des Zweiten Weltkrieges in der US-Armee als Dolmetscher tätig. In Fort Hunt bei Washington arbeitete Weiss in einem Gefangenenlager für hochrangige Nazis, wo unter anderem der Raketenforscher Wernher von Braun und der spätere BND-Chef Reinhard von Gehlen inhaftiert waren. Nach Kriegsende war er in Deutschland für die sogenannte OMGUS-Abteilung der US-amerikanischen Besatzungsmacht in Berlin tätig. Diese Abteilung befasste sich mit der Entflechtung der großen deutschen Wirtschaftskartelle, die den Nationalsozialismus an die Macht gebracht und unterstützt hatten. Weiss befragte unter anderem Herrmann-Josef Abs, den vormaligen Nazibankier und später führenden Bankier der BRD. Auch an Vorarbeiten zu den Nürnberger Nachfolgeprozessen gegen deutsche Wirtschaftsführer war er beteiligt.

Als Rechtsanwalt im Nachkriegsamerika beschäftige sich Weiss vor allem mit Fragen des Wirtschaftsrechts, engagierte sich aber seit den 1950er Jahren auch als Bürger- und Menschenrechtsanwalt. Insbesondere war er 1966 einer der Mitbegründer der juristischen Bürgerrechtsorganisation Center for Constitutional Rights (CCR) in New York. Gemeinsam mit dem Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh beriet er Opfer des Massakers der US-Streitkräfte im vietnamesischen My Lai. Immer wieder versuchte Weiss, wenig bekannte Rechtsquellen und internationales Recht zum Nutzen von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen einzusetzen. Als eine seiner historischen Leistungen gilt der Fall Filártiga gegen Peña-Irala.

Familienangehörige des Folteropfers Joelito Filártiga aus Paraguay hatten den Mörder ihres Sohnes, den Polizisten Americo Peña-Irala, in den USA identifiziert. Mithilfe eines Gesetzes von 1789, dem Aliens Tort Claims Act, verklagten Weiss und das CCR den Folterer. Ein New Yorker Gericht verurteilte Peña-Irala in der Berufungsinstanz zu mehr als zehn Millionen US-Dollar Schadensersatz. Später war Weiss in den USA dann federführend bei ähnlichen Schadensersatzverfahren gegen die Ölkonzerne UNOCAL und Shell wegen Menschenrechtsverletzungen in Burma und in Nigeria. Erfolgreich war er auch gemeinsam mit der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA). Auf deren Initiative stellte der Internationale Gerichtshof in Den Haag 1996 in einem Gutachten fest, dass der Einsatz von Atomwaffen völkerrechtswidrig ist.

Gemeinsam mit Weiss und dem CCR versuchte ich als Rechtsanwalt 2004 und 2006 den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und andere Verantwortliche des US-Foltersystems in Deutschland, Frankreich und in anderen Ländern vor Gericht zu bringen. Immer wieder verwies Weiss dabei auf historische Durchbrüche durch eine innovative Anwendung des Rechts und hielt dies den Skeptikern entgegen, die davor zurückscheuten, gegen mächtige Rechtsbrecher wie Rumsfeld juristisch vorzugehen.

Heute ist die Saat von Weiss aufgegangen: Überall auf der Welt folgen Anwältinnen und Anwälte seinem Beispiel, sie kämpfen gemeinsam mit lokalen sozialen Bewegungen gegen verbrecherische Unternehmen und nutzen das Weltrechtsprinzip, auch universelle Jurisdiktion genannt, um an vielen Orten gegen Folterer und deren Vorgesetzte zu klagen. Der alte Kämpfer selbst bleibt ein Optimist: Weiss will bis an Ende seiner Tage für eine atomwaffenfreie Welt streiten.