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Wer zahlt den Preis der Katastrophen in den Textilfabriken Südasiens?

 

Seit es dieses Blog gibt, war geplant, Kollegen, denen ich viel Inspiration und Motivation verdanke, ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Heute schreibt Dr. Miriam Saage-Maaß. Sie leitet den Bereich Wirtschaft und Menschenrechte des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und arbeitet unter anderem zu den Menschenrechtsverletzungen in den Produktions- und Lieferketten der globalen Textilindustrie.

Bald ist es schon vier Jahre her, dass es in Pakistan und Bangladesch zu drei schweren Unglücken in Textilfabriken kam: Ali Enterprises, Tazreen, Rana Plaza. Diese Reihe menschengemachter Katastrophen hat damals viel Aufsehen erregt. Und in Teilen der deutschen und europäischen Öffentlichkeit entstand in der Folge ein Problembewusstsein für die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie Südasiens, das es so vorher nicht gab. Niemand kann heute mehr leugnen, welches menschliche Leid und welche Kosten der westliche Konsum mit sich bringt.

Dennoch stellt sich die Frage: Was hat sich verändert seitdem? In Bangladesch war der Druck auf die vielen einkaufenden europäischen Textilmarken so groß, dass ein Entschädigungsfonds aufgesetzt wurde, in den europäische Firmen einzahlten. Mehr als 100 Unternehmen verpflichteten sich vertraglich, unabhängige Gebäude- und Brandschutzprüfungen in ihren Zulieferbetrieben zuzulassen. Ferner rief der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, das sogenannte Textilbündnis ins Leben, das Maßstäbe für nachhaltige Textilproduktion entwickeln soll. Nun tagt dieser runde Tisch aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft seit weit mehr als einem Jahr. Konkrete Ergebnisse hat es noch nicht gegeben und wirklich Bahnbrechendes ist auch nicht zu erwarten. An dem Modell, wie global gewirtschaftet wird, wie es über Preispolitiken und Einkaufspraktiken den Zulieferern (wenn sie denn Willens wären) unmöglich gemacht wird, faire Löhne (Living Wage) und angemessene Arbeitszeiten zu gewähren, wollen die Textilhersteller- und Händler nicht rütteln. Auch eine rechtliche Verantwortung für die Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern aus dem globalen Süden lehnen die Unternehmen ab.

Die ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen in Südasien aber fordern genau das. Im März dieses Jahres organisierte das internationale Netzwerk „Kampagne für saubere Kleidung“ in Nepal eine Konferenz ihrer Mitgliedsorganisationen und -gewerkschaften in Südasien. Drei Tage lang wurden die Lehren aus Rana Plaza und den anderen Katastrophen diskutiert. Besonders beeindruckt waren die Konferenzteilnehmer von Saeeda Khatoon, Vizepräsidentin der Baldia Factory Fire Affectees Association, der Organisation der Überlebenden und Hinterbliebenen des Fabrikbrands bei Ali Enterprises in Karatschi. In einer glühenden Rede betonte sie, dass alle Bemühungen der internationalen Organisationen und Unternehmen wenig wert sind, wenn die betroffenen ArbeiterInnen nicht einbezogen werden. Das ist das, was Khatoon und die anderen Mitglieder der pakistanischen Betroffenenorganisation tun. Ich selbst konnte inzwischen drei Mal an den großen Versammlungen der Organisation teilnehmen, zu denen bis zu 190 Betroffene des Fabrikbrandes kommen. Dort diskutieren Männer wie Frauen – was in Pakistan nicht selbstverständlich ist – über den Stand des Prozesses gegen die Fabrikbesitzer von Ali Enterprises in Pakistan, über die Klage gegen den Hauptkunden der Fabrik, die Textilfirma KiK in Deutschland und über das Verfahren gegen das Zertifizierungsunternehmen RINA in Italien.

Khatoons Sohn starb bei dem Brand der Ali Enterprises Fabrik am 11. September 2012 in Karatschi. Damit verlor die Witwe nicht nur den wichtigsten Menschen ihres Lebens, sie verlor auch den einzigen Verdiener der Familie. Den Verlust ihres Sohnes wird Saeeda Khatoon emotional wohl nie überwinden, aber sie kämpft nun für Gerechtigkeit. Sie hilft anderen Organisationsmitgliedern, zum Beispiel im Umgang mit den pakistanischen Behörden, und gemeinsam führen Überlebende und Hinterbliebene verschiedene Verfahren gegen die pakistanische Regierung, um angemessene Renten zu erhalten. Sie kämpfen auch dafür, dass KiK seine rechtliche Verantwortung für die Opfer des Brandes anerkennt. Gemeinsam mit drei anderen Mitgliedern der Betroffenenorganisation hat Khatoon im März 2015 vor dem Landgericht Dortmund Klage auf Schadensersatz gegen KiK eingereicht.

KiK wehrt sich gegen die Klage, zeigte sich nach Vermittlung des Entwicklungsministeriums im Frühjahr 2016 aber zumindest willens, über eine Entschädigung nach dem Rana Plaza-Modell zu verhandeln. Auf die Worte des guten Willens folgten jedoch nur wenig Taten, KiK lässt die Verhandlungen stocken. Wirklich ernst scheint es dem Unternehmen mit der Entschädigung nicht zu sein. Das Ministerium muss weiter Druck machen, oder es wirkt am Ende unglaubwürdig. Denn während KiK sich im Rahmen des Textilbündnisses als guter Partner des Ministeriums präsentieren kann, bleibt das Unternehmen bei der konkreten Verantwortung weit hinter seinen Lippenbekenntnissen zurück. Wie gut, dass der Fall beim Landgericht Dortmund anhängig ist.