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Peter Maffay erklärt Immanuel Kant

 

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Peter Maffay
Weiter unten finden Sie einen kostenfreien und legalen Download eines kompletten Konzerts von Peter Maffay in CD-Qualität. Versprochen! © Andreas Rentz/Getty Images

Kant entwickelt 1785 die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Er wendet er sich gegen eine Moralphilosophie, die ausgehend von den Einzelfällen, die es zu bewerten gilt, argumentiert, den Utilitarismus. Das kann auch Benthams Utilitarismus mit einschließen. Dieser macht zwar nicht mehr dogmatisch von einer theologischen Lehre abhängig, was gut und was schlecht ist, sondern von den Folgen einer Handlung. Der Utilitarismus aber und andere Einzelfall-Ethiken beinhalten ein Problem: Denn sie argumentieren immer ausgehend von der vorgefundenen Realität, sind also immer ein Stück weit deskriptiv.

Hingegen denkt Immanuel Kant: Es kann durchaus vorkommen, dass man sich anhand der Erfahrung und der Einzelfallbeurteilung für das Bessere entscheidet und auch aus der Erfahrung hilfreiche praktische Regeln ableiten kann. Dennoch ist ihm diese praktische Grundlage zu unsicher. Immerhin geht es in der Ethik doch um normatives Denken zur Beurteilung der Realität, und nicht darum, sich genau auf diese Realität zu verlassen. Die Kriterien für die Beurteilung der Realität könnten also in Schieflage geraten, wenn wir sie von der Realität abhängig machen.

Dagegen möchte Kant für die ethischen Beurteilungsmaßstäbe einen von allen Einzelfällen und Meinungen unabhängigen Grund finden: Die Vernunft soll Kriterium sein für die Beurteilung der Frage nach dem Guten. Um dies zu leisten, müssen wir uns ein allgemeines Gesetz denken können, ohne uns dabei in logische Widersprüche zu verstricken. Das heißt: Eine Handlung ist dann vertretbar, wenn ihr Grundsatz, den wir von der Handlung ableiten, zu einem Gesetz verallgemeinerbar ist. Wer sich beispielsweise zugesteht, Versprechen zu brechen, weicht den Begriff des Versprechens so stark auf, dass dadurch die Vorstellung, ein Versprechen zu brechen, unmöglich würde: Denn zu brechende Versprechen sind gar keine Versprechen. Logisch ließe sich hier kein Gesetz ableiten.

Ein Gedankenexperiment zur Veranschaulichung

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich, der Autor, stehe zu meinem Wort. Herr Maffay wird uns nun in einem Video den Kategorischen Imperativ erklären, höchstpersönlich sogar. Hier finden Sie das Video:

Hoppla. Da habe ich den Mund wohl etwas zu voll genommen. Tatsächlich wusste ich ja schon von Anfang an, dass das nicht geht. Von wegen: Peter Maffay erklärt Kant, bei YouTube! Aber das ist ja nicht schlimm. Denn Freude habe ich mit Sicherheit erzeugt, Ihre Vorfreude nämlich und die Freude derjenigen, die den Film über Duisburger Punker gut finden. Und an alle Peter-Maffay-Fans, bei denen ich nun wirklich Leid hervorgerufen haben sollte: Beweisen Sie erst einmal, dass Ihr Leid größer ist als die Freude, die ich mit dem gebrochenen Versprechen erzeugt habe.

  • Ist der Bruch des Versprechens wie oben in Ordnung? Dass der Bruch Leid erzeugt, ist zumindest schwer nachzuweisen.

Kant findet eine klare Antwort:

„Die Frage sei z.B.: darf ich, wenn ich im Gedränge bin, nicht ein Versprechen tun, in der Absicht, es nicht zu halten? […] Um indessen mich in Ansehung der Beantwortung dieser Aufgabe, ob ein lügenhaftes Versprechen pflichtmäßig sei, auf die allerkürzeste und doch untrügliche Art zu belehren, so frage ich mich selbst: würde ich wohl damit zufrieden sein, daß meine Maxime (mich durch ein unwahres Versprechen aus Verlegenheit zu ziehen) als ein allgemeines Gesetz (sowohl für mich als andere) gelten solle, und würde ich wohl zu mir sagen können: es mag jedermann ein unwahres Versprechen tun, wenn er sich in Verlegenheit befindet, daraus er sich auf andere Art nicht ziehen kann? So werde ich bald inne, daß ich zwar die Lüge, aber ein allgemeines Gesetz zu lügen gar nicht wollen könne; denn nach einem solchen würde es eigentlich gar kein Versprechen geben, weil es vergeblich wäre, meinen Willen in Ansehung meiner künftigen Handlungen andern vorzugeben, die diesem Vorgeben doch nicht glauben, oder, wenn sie es übereilter Weise täten, mich doch mit gleicher Münze bezahlen würden, mithin meine Maxime, so bald sie zum allgemeinen Gesetze gemacht würde, sich selbst zerstören müsse.“ (Eine Maxime ist ein Grundsatz meines Handelns. Gekürzt, aus Immanuel Kant: „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, erster Abschnitt)

Dieser Absatz beinhaltet streng genommen zwei Gründe, weshalb ich das Versprechen nicht brechen kann. Denn einerseits ist ein zu brechendes Versprechen gar kein Versprechen, wenn wir den Bruch zum Gesetz machen würden. Wir können es also gar nicht wollen, Versprechen zu brechen, weil es logisch widersinnig ist.

Andererseits aber können wir uns auch die Frage stellen: Wollen wir überhaupt Versprechen brechen? Dann kommen wir vielleicht auf die Antwort: Nein, weil dann niemand mehr einem anderen Vertrauen würde. So ergibt sich die Formulierung des Kategorischen Imperativs:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (In der angegebenen Textquelle bei Absatz 51).

Julian Assange, WikiLeaks
Verhält sich Julian Assange, der Gründer von WikiLeaks, konform zu Immanuel Kants Grundsätzen für die Ethik? © REUTERS/Valentin Flauraud

Gedankenexperiment zur Anwendung des Kategorischen Imperativs

Stellen wir uns vor, Sie sind Julian Assange, der Gründer von WikiLeaks. Das Szenario: Sie wohnen im schönen Galgarien. Plötzlich haben Sie die Möglichkeit, eine geheime Information über Ihre Regierung zu erfahren. Sie liegt hier und nur Sie haben Zugriff: Der galgarische Präsident Hernadad möchte dem Nachbarstaat Galgariens, Gobustan, den Krieg erklären.

  • Beurteilen Sie auf Grundlage des Kategorischen Imperativs: Ist es gut, die Nachricht zu veröffentlichen? Begründen Sie Ihre Entscheidung.

Es scheinen zunächst rein logisch zwei Lösungen möglich: Einerseits wäre es schwer verallgemeinerbar, Geheimnisse lüften zu wollen, weil es dann keine Geheimnisse mehr gäbe. Sollen wir also das Handeln geheim halten? Aber dann würde man es zulassen, dass einem Nachbarstaat der Krieg erklärt wird, weil möglicherweise niemand einschreitet. Soll es also als allgemeine Maxime gelten, bestehende Geheimnisse nicht zu lüften? Kant löst das Problem so:

Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.

Dieses Prinzip ist nicht bloß als ethisch (zur Tugendlehre gehörig), sondern auch als juridisch (das Recht der Menschen angehend) zu betrachten. Denn eine Maxime, die ich nicht darf laut werden lassen, ohne dadurch meine eigene Absicht zugleich zu vereiteln, die durchaus verheimlicht werden muß, wenn sie gelingen soll, und zu der ich mich nicht öffentlich bekennen kann, ohne daß dadurch unausbleiblich der Widerstand aller gegen meinen Vorsatz gereizt werde, kann diese notwendige und allgemeine, mithin a priori einzusehende, Gegenbearbeitung aller gegen mich nirgend wovon anders, als von der Ungerechtigkeit her haben, womit sie jedermann bedroht.“ (Zum ewigen Frieden, Anhang II)

  • Bewerten Sie unter Bezug auf die obige Textstelle, dass WikiLeaks unter anderem auch die privat geäußerten Beschimpfungen über Politiker veröffentlicht hat.

Immanuel Kant: Raum und Zeit

John Locke hatte gesagt, alles Wissen komme aus der Erfahrung. René Descartes hatte gesagt, man könne sich nur seiner eigenen Existenz wirklich sicher sein. Aber Lockes Position beinhaltet ein Problem. Wenn er sagt, das Gefühl für Raum und Zeit komme nur aus der Erfahrung – woher kommt die Erfahrung dann selbst? Resultieren Raum und Zeit denn wirklich aus unseren Erfahrungen – oder setzen wir nicht vielmehr, schon während wir etwas erfahren, die Dinge in einen raum-zeitlichen Bezug? Werden wir also etwa doch mit einer Zeit-Funktion in unserem Kopf geboren, die vor aller Erfahrung besteht?

Die Zeit sei eben schon vor aller Erfahrung eine Form unserer Anschauung, argumentiert Kant, der Locke damit entschieden widerspricht. Ebenso hält es Kant mit dem Raum. Beide, Raum und Zeit, sind also ihm zufolge Bedingungen unserer Wahrnehmung, aber sie kommen nicht durch die Sinneseindrücke in uns hinein.

Raum und Zeit bei Immanuel Kant: Ideen für weiteres Philosophieren

  • Bewältigen Sie eine mehrschrittige Rechenaufgabe (zum Beispiel einen Dreisatz). Können Sie die Momente, zu denen Sie auf die Ergebnisse des vorherigen Rechenschritts zurückgegriffen haben, in Beziehung zueinander setzen? Erörtern Sie, wie das funktionieren kann. Dazu bietet sich auch folgendes Bild von René Magritte an: La reproduction interdite (Quelle: media.liveauctiongroup.net)
  • Welche Elemente erkennen Sie in dem Bild?
  • Interpretieren Sie das Bild. Stellen Sie sich einen Geist nach Descartes vor, der aller seiner Wahrnehmung beraubt ist, aber trotzdem denken kann. Kann er einen zeitlichen Bezug seiner Gedanken herstellen?

Deutschland ist Mitglied in der Europäischen Union © Sean Gallup/Getty Images
Deutschland ist Mitglied in der Europäischen Union. © Sean Gallup/Getty Images

Immanuel Kant und der Staatenbund

Jean-Jacques Rousseau, ein Zeitgenosse Immanuel Kants, erkennt ein Problem bei der Koexistenz verschiedener Staaten. Das Verhältnis der Staaten zueinander, so sagt er in Auszug aus dem Plan des Ewigen Friedens des Herrn Abbé de Saint-Pierre, gleicht dem Naturzustand bei Thomas Hobbes. Denn es gibt keinen gemeinsamen Gesetzesrahmen, den alle Staaten befolgen können. Daher schlägt er einen Bund der Herrscher der Staaten vor, der sicherstellen soll, dass im Konfliktfall ein Schiedsspruch gefällt werden kann. Eine ähnliche Argumentation findet man später bei Immanuel Kants Zum Ewigen Frieden: „Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein“, heißt es dort. Kant ist in diesem Punkt Praktiker und geht von der „Ausführbarkeit […] dieser Idee“ aus: Ein Zusammenschluss freier, aufgeklärter Staaten unter diesem Friedensbund wirkt sich quasi-vorbildlich auf angrenzende Staaten aus, die sich dann dem Bund anschließen und ihn somit stärken.

  • Überlegen Sie sich, wo Staatenbünde bestehen. Haben sie zur Sicherung des Friedens beigetragen?

Heiner Geißler, Sybille Krämer und Manfred Geier im Gespräch mit Volker Panzer anlässlich zweier Buchveröffentlichungen zur Frage „Was ist Aufklärung?“

Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

Wann ist eine Zeit aufgeklärt? Nie, sagt Kant, denn es kann höchstens eine Zeit der Aufklärung geben. Der Unterschied scheint gering zu sein, ist aber sehr entscheidend. Denn sobald man sagt, man lebe in einer aufgeklärten Zeit, läuft man Gefahr, den Prozess der Aufklärung als beendet zu erklären. Kant hingegen sieht Aufklärung weniger als abzuschließende historische Epoche, sondern vielmehr als Methode, die es immer anzuwenden gilt: Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit geht jeden an und das auch heutzutage. Die Tatsache, dass es eine Epoche gegeben hat, die Aufklärung genannt wird, kann also nicht sicherstellen, dass wir heutzutage aufgeklärt sind. Zur Aufklärung braucht es Mut, sagt Kant, und zwar den „Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Mit Blick auf die Geschichte der Philosophie bedeutet das: In der Lage zu sein, zu kritisieren, zu revidieren und radikal in Frage zu stellen, um sich eben nicht bloß vorgedachten Gedanken anzuschließen.

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Wir prüfen mit Immanuel Kant, ob konventioneller Konsum ethisch vertretbar ist.

Immanuel Kant: Weitere Materialien

Immanuel Kant: Biografische Daten

Immanuel Kant (1724–1804), Philosoph aus Königsberg, Autor des Kategorischen Imperativs (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten) und Begründer des Transzendentalen Idealismus (Kritik der reinen Vernunft), einer Theorie, nach der die Gegenstände, so, wie sie sich uns darstellen, von unserem Bewusstsein erzeugt sind. Das Ding an sich kann man nicht erkennen.

Biografie zu Kant (Quelle: Immanuel-Kant.net)

Kant-Kurzbiografie in Stichpunkten (Quelle: gutenberg.spiegel.de)

Die ursprüngliche Verison dieses Textes vom 19. September 2013 wurde am 9. Dezember 2015 aktualisiert.

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