Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Platon und Sokrates: das Gute, das Schöne, die Wahrheit

 

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Sokrates lehrt in dieser Darstellung nach Pirelli seinen Studenten Philosophie. (© Hulton Archive/Getty Images)
Sokrates lehrt in dieser Darstellung nach Pirelli seine Studenten Philosophie. (© Hulton Archive/Getty Images)

„Footnotes to Plato“ – Fußnoten zu Platon sei die gesamte Europäische Philosophie, sagt der Mathematiker und Philosoph Alfred Whitehead. Das ist eine markige Aussage und wahrscheinlich lässt sich darüber streiten, ob nun wirklich alle Philosophie in Platons Folge nicht mehr als eine Verfeinerung seiner Gedanken darstellt. Immerhin: Das Zitat zeigt die geschichtliche Wichtigkeit der Philosophie Platons. Aber auch Platon steht, wie alle Philosophen, selbst in einer Tradition, hatte Lehrer und Schüler. Und zu einem der wirkmächtigsten Philosophen wurde man im Griechenland um 400 vor Christus nicht einfach nur durch seine Schriften.

Kaum ein Philosoph koppelt die Epochen seines eigenen Lebens so sehr an die Themen seiner Philosophie wie Sokrates (um 470 v. Chr. – 399 v. Chr.). Er, Sokrates, ist es, der in den Schriften des Platon die Gespräche mit seinen Schülern führt. Er ist Vermittler der Philosophie, aber als Person spielt er selbst auch die Rolle des nachvollziehbaren Anlasses seiner eigenen philosophischen Gedanken. Das macht Sokrates als Modell, an den man Philosophie lernen kann, besonders reizvoll. Und nicht zuletzt die Vielzahl der Gegenstände, zu denen Sokrates zu Worte kommt, ist vergleichsweise umfassend. Umfassend ist auch die Systematik, mit der er die philosophischen Gegenstände aneinander koppelt. Die folgenden Abschnitte sollen Blitzlichter auf sein Leben und Werk sein.

Erklärung des Verständnisses des Begriffs Metaphysik

Hier haben wir ein paar geometrische Formen: Darunter ein Dreieck, ein Trapez, ein Quadrat. Daran ist erst einmal nichts Besonderes. Aber der Teufel steckt im Detail: Betrachten wir doch einmal, ganz abstrakt und allgemein, alle Dreiecke. Vielleicht stutzen Sie bereits bei diesem Arbeitsauftrag: Welche „alle“ Dreiecke sollen wir betrachten, denn wir kennen doch gar nicht alle? Zugestanden, es müssen nicht alle Dreiecke sein, die es auf der Welt gibt. Also ändern wir den Auftrag: Betrachten wir alle denkbaren Dreiecke. Vielleicht können wir auch ein paar Dreiecke aufzeichnen und dann mit einem Geodreieck nachmessen. Wir werden sehen, dass die Summe aller Winkel immer 180 Grad beträgt.

Nun zur Gegenprobe. Stellen wir uns einmal vor, mit einem Mal wäre die Welt völlig ausgelöscht und es gäbe niemanden mehr, der noch Dreiecke zeichnen oder bauen könnte. Selbst dann wäre die Summe aller Winkel in einem theoretisch gedachten Dreieck immer noch 180 Grad, auch, wenn es keine materiellen Dreiecke mehr gäbe. Also können wir schließen, dass an den Dreiecken etwas wahr zu sein scheint, selbst wenn die Dreiecke nicht beobachtet werden können oder es keine materiellen Gegenstände gibt, die eine dreieckige Form haben. Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Wahrheit über Dreiecke existiert als irgendetwas, obwohl sie nicht aus Materie besteht. Sie ist also nicht körperlich (physisch), sondern existiert unabhängig davon, ob sie aus Materie besteht oder in einer Form auf der Welt „abgebildet“ ist. Fachsprachlich ausgedrückt: Sie existiert als etwas Metaphysisches, hinter der Materie.

Metaphysische „Dinge“ haben in der Philosophie Platons einen bestimmten Platz: Sie existieren tatsächlich, aber eben nicht in der materiellen Welt. Oft verwendet man für den „Ort“, an dem es sie gibt, den Begriff „Ideenhimmel“. In diesem Ideenhimmel existieren sie als Ideen in reiner Form. Das heißt: Das Gute, das Schöne, die Wahrheit existieren in der Tat als „Dinge“, aber eben nicht als materielle Dinge auf der Welt.

Was wir auf der Welt als gut, schön oder dreieckig bezeichnen ist nach Sokrates nur ein Abbild dieser Ideen. Das Beispiel „Dreieck“ macht dies besonders deutlich. Betrachten wir zur Veranschaulichung diese Fachwerkbrücke in Berlin:

Späthstraßenbrücke, Teltowkanal in Berlin. Bild von Lienhard Schulz. CC BY-SA 3.0
Späthstraßenbrücke, Teltowkanal in Berlin. Bild von Lienhard Schulz. CC BY-SA 3.0

Wir sehen hier einige Dreiecke. Aber die wahren, die perfekten Dreiecke sehen wir nicht. Denn sie existieren nur als Idee. Die Besonderheit an Platons Theorie ist nun, dass nach ihm die Ideen keine Gedankenkonstrukte der Menschen sind, mit denen wir versuchen, unsere Welt zu ordnen. Sondern nach Platons Auffassung existieren diese metaphysischen Ideen tatsächlich: Das Schöne an sich gibt es, das Gute an sich gibt es, und zwar als metaphysische Dinge, nicht bloß als verallgemeinert gedachte Eigenschaften von Gegenständen um uns herum. Die Gegenstände um uns herum können zwar gut oder schön sein, dann aber sind sie nur Abbild der Ideen des Guten an sich und des Schönen an sich, so Platon.

Einen Beleg für diese Auffassung finden wir im Dialog „Phaidon“ ab 758.

Anwendungsaufgabe:

Inschrift an der Alten Oper in Frankfurt: "Dem Wahren Schönen Guten." Bild von HaraldReportagen, CC BY-SA 3.0
Inschrift an der Alten Oper in Frankfurt: „Dem Wahren Schoenen Guten.“ Bild von HaraldReportagen, CC BY-SA 3.0

Das Bild zeigt die Alte Oper Frankfurt. Erörtern Sie frei: Wie würde ein Anhänger Platons diese Widmung verstehen?

Platons Höhlengleichnis

Hier ist Platons Höhlengleichnis als Animation mit Knetfiguren zu sehen:

Was hat es hiermit auf sich? Um das zu ergründen, erörtern Sie frei: Hatten Sie bislang die Möglichkeit, die Ideen zu betrachten? Was müsste dazu passieren?

Platon konstruiert das Höhlengleichnis, um zu verdeutlichen, dass die Menschen in ihrem Leben auf der Erde in erster Linie mit den Abbildungen der Ideen befasst sind, diese aber in ihrer Gänze und Vollkommenheit nicht zu sehen bekommen. Stattdessen sehen sie die Abbilder der Ideen, also: eine schöne Blume, ein schönes Haus, ein schönes Kunstwerk. Das Schöne selbst erkennen sie nicht.

Den Text zum Höhlengleichnis finden Sie hier.

Vorschlag zur Bearbeitung:
Lesen Sie den Text bis etwa [253]. Skizzieren Sie auf einem Papier, wie Sokrates die Höhle und die verschiedenen Schritte der Erkenntnis im Gleichnis darstellt. Zwei Lösungen zum Vergleich finden Sie unter der folgenden Anwendungsaufgabe.

Anwendungsaufgabe:

„Der Himmel ist für euresgleichen
ja doch nur scheinbar zu erreichen.
Ihr fliegt herauf in Apparaten.
Ihr blickt herein durchs Okular.
Doch glaubt es mir: Trotz solcher Taten
bleibt Euch der Himmel unsichtbar.“

Vielleicht können Sie sich an den Urheber dieser Zeilen erinnern. Sie stammen aus dem Jugendbuch Das fliegende Klassenzimmer von Erich Kästner.

Erörtern Sie:
1. Die Menschen fliegen mit allerlei technischen „Apparaten“ in den Himmel und betrachten ihn mithilfe naturwissenschaftlicher Forschungsgeräte. Weshalb bleibt er trotzdem unsichtbar? Wer will, kann sich an dieser Stelle auch gerne an Faust erinnern und überlegen, welch klassischen Motivs Kästner sich da im Jugendbuch bedient.
2. Mit welcher wissenschaftlichen Methodik wäre das Problem zu lösen?

An dieser Stelle lässt sich eine Verbindung zu Sokrates‘ Biografie schlagen: Es gibt eine Textstelle über einen gedachten Menschen, der in der Lage wäre, die Menschen zu dieser höheren Erkenntnis zu bringen. Sokrates sagt: „Und wenn er sich gar erst unterstände, sie zu entfesseln und hinaufzuführen, – würden sie ihn nicht ermorden, wenn sie ihn in die Hände bekommen und ermorden könnten?“ Diese Stelle aus dem Text zum Höhlengleichnis verschränkt das Leben des Sokrates und den argumentativen Gehalt des Textes, lässt sich mit einigem Recht behaupten. Denn Sokrates selbst sah sich als Gesprächsführer, der mittels der Mäeutik (wir erörtern diesen Begriff weiter unten) seine Gesprächspartner zur Wahrheit führte: Dafür musste er sterben. Wie wir sehen, steht Sokrates hier selbst als Fallbeispiel für seine Theorien. Ebenso autobiografisch verfährt Sokrates mit seiner eigenen Methodik: Die Mäeutik, Sokrates‘ Hebammenkunst zum Gebären von Wissen, kann man als Anspielung auf den Beruf seiner Mutter deuten.

Haben Sie das Höhlengleichnis auf einem Papier skizziert? Dann vergleichen Sie jetzt Ihr Ergebnis mit den Lösungen anderer: Hier schlagen wir Ihnen zwei Lösungen vor.

Die Anamnesislehre

Aus der Theorie über die metaphysisch existierenden Ideen ergibt sich ein praktisches Problem. Auf der Welt, so Sokrates, vergleichen wir Dinge miteinander. Dafür müssen wir aber schon wissen, was Gleichheit an sich ist, um die Dinge in der Welt miteinander vergleichen zu können – denn ideale Gleichheit können wir an den Dingen nicht „lernen“, weil sie eben doch immer ein wenig verschieden sind. Daraus schlussfolgert Sokrates, ebenfalls im Dialog „Phaidon“, dass es also vor der Geburt einen Zustand geben muss, an dem wir die Idee der Gleichheit (und andere Ideen) schauen können. „Und wenn wir, meine ich, vor unserer Geburt sie besaßen und sie bei der Geburt verloren haben, hernach aber beim Gebrauch unserer Sinne an solchen Gegenständen eben jene Erkenntnisse wieder aufnahmen, die wir einmal schon vorher hatten, ist dann nicht, was wir »lernen« heißen, das Wiederaufnehmen [756] einer uns schon angehörigen Erkenntnis? Und wenn wir dies »wiedererinnern« nennen, werden wir es nicht richtig benennen?“ (Diesen Text finden Sie hier).

Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass die Seelen der Menschen bereits vor der Geburt existiert haben müssen, wie Sokrates und Simmias schließen [757]: „Also waren, o Simmias, die Seelen, auch ehe sie in menschlicher Gestalt waren, ohne Leiber und hatten Einsicht.“

Aufgaben zur eigenen freien Erörterung:
Scheint Ihnen dieser Gedanke absurd? Versuchen Sie sich zu erinnern: Manche Kinder machen sich genau über diesen Punkt Gedanken. Haben Sie sich als Kind gefragt, ob es Sie von Ihrer Geburt gab oder aber ob es denkbar sein könnte, sich an diesen Zustand zu erinnern?
Halten Sie das Argument der Herkunft des „Gleichen“ als Denkform für dieses Argument für einen stichhaltigen Beweis?

Eine weitere Begründung für die Anamnesislehre, die Lehre der Wiedererinnerung, finden wir im Dialog „Menon“. Dort zieht Sokrates zum Gespräch einen Sklaven hinzu, der, so weiß es Menon ganz sicher, keine geometrischen Kenntnisse hat. Sokrates lässt den Sklaven eine geometrische Aufgabe lösen, wobei dieser Fehler, aber auch richtige Schlüsse macht (den Text dazu finden Sie hier ab etwa [429]). In dem Gespräch erkennt der Sklave, der keine Kenntnisse der Geometrie hatte, immerhin, dass er Fehler gemacht hat. Sokrates schlussfolgert: Der Sklave hat bestimmte Vorstellungen über Geometrie, die er nicht auf der Welt gelernt hat. Das aber wiederum bedeutet:
Sokrates: Wenn er sie aber nicht im jetzigen Leben bekommen hat, ist es da nicht schon klar, daß er sie in einer anderen Zeit besessen und gelernt hat?
Menon: Sichtlich.
Sokrates: Ist diese Zeit nun nicht doch die, in welcher er noch nicht Mensch war?
Menon: Ja.“

Wir könnten also mit Sokrates schließen: Wissen ist Wiedererinnerung an das, was wir vor unserem Leben auf der Erde gelernt haben.

Aufgabe zu freien Erörterung:
Ist in Sokrates‘ Argumentation vielleicht noch eine weitere, versteckte Annahme enthalten?

Mäeutik: Sokrates‘ Verschränkung von philosophischer Theorie und didaktischer Methode

Wenn Wissen also Wiedererinnern ist an die Wahrheiten, die die Seele vor unserem Leben unmittelbar schauen konnte, kann das Wissen, das wir erlangen, nur schwerlich von der materiellen Welt abgeleitet sein. Wir erinnern uns: Die perfekten Ideen schaut die Seele im Ideenhimmel vor der Geburt. Alles auf der Welt ist nur imperfekte Repräsentation der Ideen. Das bedeutet, dass wir uns für ein wahrhaftes Wissen an die perfekten Ideen erinnern müssen. Nur wie? Sokrates findet eine Lösung:

„Von meiner Hebammenkunst nun gilt übrigens alles, was von der ihrigen; sie unterscheidet sich aber dadurch, daß sie Männern die Geburtshülfe leistet und nicht Frauen, und daß sie für ihre gebärenden Seelen Sorge trägt, und nicht für Leiber“, so Sokrates in seinem Dialog „Theaitetos“ (auch: „Theätet“).

Durch seine Gesprächsmethode also, durch den Sokratischen Dialog, sollen seine Gesprächspartner sich an die Ideen erinnern. Sokrates selbst sieht sich dabei als die Hebamme, die aus ihren Gesprächspartnern Wissen gebären hilft. Die hier oben angeführten Links zu Platon-Texten verweisen allesamt auf Sokratische Gespräche. Heutzutage nutzen viele philosophische Praxen das Sokratische Gespräch in abgewandelter Form.

Ein Beispiel für einen Sokratischen Dialog: Bringen Statussymbole wirklich Glück?

Erkenntnistheorie

Artikel zur Mondlandung im SPIEGEL, 21. Juli 1969.
Artikel zur Mondlandung in DIE ZEIT, 25. Juli 1969.

Ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, heute wäre der 21. Juli 1969. Ihr Nachbar Dietmar, der bei Ihnen zum Fernsehen eingeladen ist, behauptet, dass die Mondlandung in Wahrheit nicht stattfindet. Sie hingegen sind der Überzeugung, dass das, was sie gerade im Fernsehen sehen, der Wahrheit entspricht.

Hier soll es nicht um die Frage gehen, ob die Mondlandung nun gefälscht ist oder nicht, sondern darum, was erfüllt sein muss, damit wir sagen können, dass wir im strengen Sinne wissen, sie habe wirklich stattgefunden oder nicht. Erörtern Sie: Was müsste gelten, damit Sie sicher sagen können, dass Ihre Meinung über die Mondlandung wirklich Wissen darstellt?

In seinem Dialog „Theaitetos“ gelangt Platon zu einer – etwas zögerlich entwickelten – Definition des Wissensbegriffes, die bis heute sehr weit verbreitet ist. Wissen, so stellt sich im Dialog heraus, ist wahre, gerechtfertigte Meinung. Das heißt: Wissen muss zunächst einmal Wissen über etwas sein, und zwar etwas, dem es entspricht, um wahr sein zu können. Allerdings reicht dies nicht aus. Denn wenn ein Kind, das weder Fernsehen gesehen, noch Radio gehört oder Zeitung gelesen hätte an unserem 21. Juli 1969 im Traum sprechen und rein zufällig sagen würde „Menschen sind auf dem Mond gelandet“ und damit nur zufällig recht hätte, würden wir dann sagen, dass es sich bei der Aussage des Kindes um Wissen handelt?

Es muss wohl in der Definition von Wissen auch noch einen Aspekt geben, der den Weg der Wissenserlangung bezeichnet, damit nicht zufällige Übereinstimmungen als Wissen bezeichnet werden können. Dies ist der Aspekt der Rechtfertigung. Er umschließt die Frage: Wie sind wir eigentlich zu dem Wissen gekommen?

Biografien zu Platon und Sokrates:

Tabellarische Biografie Platon
Tabellarische Biografie Sokrates

Hier gelangen Sie zurück zur Übersicht: Einführung in die Philosophie