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Machen Pornos impotent?

 

Vielleicht war’s damals bei der Erfindung des Automobils ja ähnlich. Die einen hielten es für das Transportmittel in die Hölle, die anderen meinten, man werde sich schon dran gewöhnen. Oder bei der Entdeckung der Röntgenstrahlung für die Medizin. Die ersten Warner wurden vielleicht als Miesunken beschimpft, die immer alles bekritteln müssen.

Wie schön wäre es, jetzt kurz ins Jahr 2030 vorspulen zu können. Dann wären jene Kinder-, Jugendlichen- und Erwachsenengenerationen, die erstmals so gut wie unbeschränkten Zugang zu Pornografie hatten, 30, 40, 50 Jahre alt und man könnte wohl mit einiger Sicherheit sagen, wie sich dieser Konsum auf sie ausgewirkt hat.

Derzeit versuchen sich kluge Leute an Vermutungen, die Wissenschaft versucht sich an Studien, und Berater und Therapeuten, die sozusagen „an der Front“ arbeiten, versuchen sich als leise Warner, weil sie tatsächlich Verhaltensänderungen und damit einhergehende Probleme an ihren Klienten beobachten.

Oder zu beobachten glauben. Denn genau dies ist das Gefährliche am Thema Internetpornografie: Die eigene Meinung kommt einem immer am logischsten vor.

Klar hat das Auswirkungen, wie könnte es nicht?!

Ach Quatsch, vorm Auto haben sich auch erst einmal alle gefürchtet.

Bei Scienceblog gibt es eine Autorin namens Reunited, die sich vor kurzem dieses Themas annahm. Leider erfährt man nicht sehr viel über sie und ihre Kompetenzen, aber in dem Blogeintrag zitiert sie Userkommentare zu früheren Postings über Pornografie. Das können bedauerliche Einzelfälle sein – oder die Spitze des Eisberges.

Einer meinte, er sei sicher, dass eines Tages ein Zusammenhang zwischen Pornokonsum und erektiler Dysfunction festgestellt werden könne, weil die Pornos unerreichbare Maßstäbe (Betonung auf Stäbe) setzen würden. Ein anderer schilderte seine eigenen Erfahrungen:

I’ve been looking at Internet pornography since I began college 13 years ago. Around age 24, I noticed difficulty getting aroused with real women. Generic Viagra off the Internet allowed me to have real relationships with few problems until the age of 29. Then, it became increasingly difficult to have real sex, even with the pills.

(Kleiner Einschub: Wem es lieber ist, solche Passagen in Zukunft hier in der Übersetzung zu lesen, möchte bitte in den Kommentaren oder per PM Bescheid geben.)

Dies sind, man muss es noch einmal betonen, Anekdoten ohne jeden wissenschaftlichen Wert. Ein Pornosüchtiger macht noch keinen Gesellschaftstrend. Also sehen wir uns einmal an, was zu diesem Thema aus der Wissenschaftsecke kommt.

An der Université de Montréal führt Simon Louis Lajeunesse derzeit eine Studie über den Pornokonsum von jungen Männern durch. Und konnte bis jetzt keine Veränderung ihres Verhaltens feststellen. Alle Befragten würden nach wie vor Geschlechtergleichheit unterstützen, und ihr Frauenbild hätte sich ebenfalls nicht verändert. Sie würden jedenfalls keine Freundin haben wollen, die wie ein Pornostar aussieht. „Alle Jungs sagten: Um Himmels Willen, niemals!“ zitiert die Calgary Sun den Professor. Und freut sich, dass diese Pornoverdammung endlich widerlegt ist.

Das ist ja schön. Nur: Lajeunesse befragte bislang 20 junge Männer. Und er befragte sie persönlich. Und jetzt stellen Sie sich einmal einen jungen Mann vor, der einem Interviewer sagt: „Ja klar glaube ich, dass Frauen gern von fünf Männern gleichzeitig genommen werden! Und als Freundin will ich eine mit solchen Titten!“

Dann gab es vor wenigen Wochen einen australischen bzw. internationalen Report, laut dem Jungen, die Internetpornos konsumieren, größere Schwierigkeiten hätten, später stabile Beziehungen einzugehen und eher zu unverbindlichem Sex neigten – was man jetzt auch bewerten kann, wie man will.

Michael Flood, der Autor der Studie (die ich bislang nirgends gefunden habe), meinte sogar: „Das heißt nicht, dass jeder junge Mann irgendwann jemanden vergewaltigen wird, aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit dafür.“

Puh, das sind jetzt auch wieder große Worte! Die, wenn man es genau nimmt, in die Kategorie „Schlussfolgerungen/Vermutungen“ gehören.

Jeder, der sich schon einmal mehr als einen Porno angesehen hat, wird bestätigen können, dass ein und derselbe Film ein und dieselbe Szene sehr schnell langweilig wird. Nach ca. 1,5 Mal Ansehen, grob geschätzt. Es muss laufend neuer Stoff her – wieso, wird vielleicht eines Tages die Wissenschaft klären.

Es muss aber nach einiger Zeit auch anderer Stoff her. Das gilt vor allem für die Heavy User. Immer nur Blümchengevögel bringt’s nicht mehr. Deswegen werden Pornos ja auch am Fließband produziert. Und deswegen nehmen Gewaltpornos zu, zum Teil, weil es endlich einmal etwas anderes ist, zum Teil, weil es vielleicht wirklich tiefliegende Gelüste anspricht – aber hier sind wir ebenfalls wieder bei den Vermutungen.

Wie sich beides – zunehmende Verbreitung von Breitbandinternet und Verhardcorisierung von Pornos – auf eine Gesellschaft auswirken wird, sehen wir, wie gesagt, spätestens in 30 Jahren.

Wir wissen also: Wir wissen nichts. Selbst ein großer britischer Report über die Sexualisation of Young People befand, dass mehr Forschung notwendig sei.

Wenn Sie also wieder einmal irgendwo lesen, dass nun endlich festgestellt wurde, Pornokonsum sei nicht schädlich, fragen Sie doch genauso kritisch nach wie bei Meldungen, dass man durch Pornografie impotent wird.

Ansonsten gilt der übliche Aufruf, den gesunden Menschenverstand zu bemühen. Ein Mann, der sich jeden Abend stundenlang Pornos reinzieht und dann keine Lust mehr auf seine Frau hat, wird wohl selbst merken, dass er ein Problem hat.