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Gedanken über Alltagsnazis in der Berliner S-Bahn und überall anders auch

 

„Ich hab ja nichts gegen die Ausländer, die sich hier vernünftig benehmen, aber…“

Wie oft wohl Aussagen in Deutschland mit diesen Worten beginnen, wenn es zu Diskussionen über Einwanderung kommt? Ich selbst durfte das neulich wieder mal bei Sitznachbarn in der Berliner S-Bahn, ungefähr Station Beusselstraße, hören und spürte die Wut hochkochen, die mich immer überfällt, wenn es sich jemand in völlig unqualifizierten und grundfalschen Standardaussagen zum Thema „Anpassung von Einwanderern“ gemütlich macht.

Was ist denn ein Einwanderer Deutschland oder vielmehr den Deutschen „schuldig“?

Man sollte meinen, nicht viel mehr als die Deutschen selbst – sich und seine Familie so gut als möglich finanziell unabhängig vom Staat zu versorgen und dabei geltendes Recht zu achten.

Und bevor gleich die Gegenbeispiele kommen: Ja, mich regt es auch auf, wenn ich durch den Wedding laufe und von zwölfjährigen arabischen Piepmätzen auf Übelste angemacht und gleichzeitig beleidigt werde. Wenn muslimischen Mädchen (und teilweise auch Jungen) der Zugang zu Bildung verwehrt bleibt, weil krude Religionsinterpretationen das ihren Eltern und deren Umgebung verbieten. Wenn die mit den Menschenrechten einhergehenden Rechte und Pflichten und das Prinzip der Säkularität nicht respektiert werden.

Nur bin ich auch schon von deutschen Männern belästigt worden; auch viele deutsche Eltern stehen mit ihrem Verhalten der Bildung ihrer Kinder im Wege; und das Paradebeispiel für Säkularität ist der „Lattengustl“ in bayerischen Klassenzimmern (und die Geschichte drumherum) ja nun auch nicht.

Alles, was der eingangs erwähnte, bundesweit geläufige und viel zu alltägliche fremdenfeindliche Spruch an „nicht ordentlichem Benehmen“ impliziert, ist doch eh schon bei den Deutschen selbst vorhanden. Ganz ohne jeglichen „schlechten Einfluß“ von Ausländern.

Welches Verhalten ist es dann also in Wirklichkeit, das einige so stört? Ist es vielleicht doch die schiere Existenz von Einwanderern? Die Dreistigkeit, eine andere Hautfarbe, einen anderen kulturellen Hintergrund, einen fremdländischen Namen zu haben?

Alles, was nämlich dem Menschenschlag der Sitznachbarn in der S-Bahn nicht in das Schema „deutsch = weiß, nicht-exotischer Name, mag Volksfeste und Bier“ paßt, löst (auch gern mal durch Boulevardmedien verstärkte) Verfremdungsängste aus. Und weil welch dumpfer Minderwertigkeitskomplex jener deutschen Alltagsnazis auch immer so wunderbar simpel damit kompensiert werden kann, die Schuld für ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen auf augenscheinlich Andersartigen abzuladen, wird eben genau dieser Weg des geringsten Widerstandes gegangen. Warum nachdenken und Zusammenhänge hinterfragen, wenn man mit einer so einfachen Lösung so bequem leben kann?

„Ick hab ja nüscht gegen die Ausländer, die sich hier vanünftig benehmen, aber…“

Der Satz kommt von einem vormittags um elf biertrinkenden älteren Mann, der sein Gegenüber beifallheischend anschaut. Beide fühlen sich offensichtlich gestört, denn eine schwarze Frau versucht seit ca. 5 Minuten, ihr quengelndes Baby zu beruhigen. Indem sie mit ihm zwei urdeutsche Kinderlieder vorsingt: „Schlaf Kindlein Schlaf“ und „Hänschen klein, ging allein, in die weite Welt hinein…“.