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Wir müssen reden. Mit Nazis!

 

Kaum ein Thema im Kampf gegen den Rechtsextremismus ist so umstritten wie die Frage, ob man eigentlich mit „Nazis“ reden dürfe. Nicht wenigen gilt die totale Diskursverweigerung dabei als einzig authentischer Ausdruck des Widerstands gegen die Träger einer menschenverachtenden Ideologie. Aber passt Diskursverweigerung wirklich zur Idee des aufklärerischen Humanismis? Das kommt ganz drauf an.

Zunächst einmal hat jeder Mensch das Recht den Diskurs zu verweigern – auch Antifaschisten. Niemand muss mit Leuten sprechen, die einem nachhaltig nicht gefallen. Aber stellen wir uns doch einmal einen Sozialarbeiter vor, der Jugendliche in einem Jugendclub betreut. In diesem Jugendclub gibt es einen jungen Mann mit dem Namen Hans. Hans ist verführt worden und gehört nun zum Umfeld einer örtlichen Kameradschaft. Der Sozialarbeiter steht vor der Alternative: Reden oder nicht reden, das ist hier die Frage.

Unsere Gesellschaft finanziert Sozialarbeiter zumindest zu einem erheblichen Teil dafür, um genau diese Jugendlichen zurück zu gewinnen. Ließe der Sozialarbeiter Hans rechts liegen, handelte er unprofessionell und verfehlte seinen Job eklatant. Ob wir Sozialarbeiter derzeit so ausbilden, wie sie ausgebildet werden müssten, um derartigen Herausforderungen gewachsen zu sein, ist freilich eine andere Frage. Wo immer die Hoffnung besteht, mit vertretbarem Aufwand Menschen für die demokratische Gesellschaft zurück zu gewinnen, muss dieser Versuch unternommen werden. Genau das ist eben der Unterschied zwischen einem Humanisten und einem Nazi: Der wirkliche Humanist ist bereit auch seinen Gegnern die Hand zu reichen – zur Umkehr. Und unser Sozialarbeiter wird genau deshalb nicht einmal darum herum kommen, eine offene und wohlwollende emotionale Beziehung zu Hans aufzubauen. Anders wäre dieser gar nicht erreichbar.

Aber diese Arbeit findet hinter verschlossenen Türen statt. Weniger eindeutig sind hingegen Fälle, in denen es um politische Diskussionen im öffentlichen Raum geht. Ob ich als Landtagsabgeordneter freiwillig eine öffentliche Diskussion mit Udo Pastörs (NPD) suchen würde? Nein, und dies aus zwei Gründen nicht. Erstens ist es zwar nicht ausgeschlossen, aber doch höchst unwahrscheinlich, dass Pastörs noch einmal in der Lage sein könnte, von seinem Irrweg abzulassen. Mir ist folglich das Risiko zu hoch, dass ich meine wertvolle Lebenszeit an Pastörs und Co. verschwende, während sich durch andere Betätigung um soviel mehr erreichen ließe. Aber jeder, der es auf sich nähme, diese therapeutische Arbeit an Pastörs zu verrichten, hätte meinen vollen Respekt. Zweitens wäre es ja genau das, worauf Pastörs es abgesehen hat: Ganz normaler Teilnehmer einer Podiumsdiskussion sein. Und genau das ist er eben nicht – ein „ganz normaler“ Politiker: Ein Mann, der eine „Deutsche Wehrmacht“ wiederhaben, die BRD spätestens in 10 Jahren dem Erdboden gleichgemacht und seine politischen Gegner einer „gerechten Strafe“ zugeführt sehen will.

Und dennoch ändert dies alles nichts daran, dass die Abgeordneten aller demokratischen Parteien in gewisser Hinsicht mit den „neuen Nazis von der NPD“ in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen längst den Diskurs suchen – und suchen müssen. Oder sollten etwa die rassistisch motivierten Hetzreden gänzlich unwidersprochen bleiben? Wer jedoch zu einer Gegenrede ausholt, redet selbstverständlich mit den Rechtsextremisten von der NPD – und zwar sogar öffentlich.

Eine holzschnittartige Antwort auf die Frage, ob man mit Nazis reden solle, gibt es also nicht. Vor allem sollten sich jene, die hier einen allzu dezidierten Standpunkt einnehmen, davor hüten, jene vorschnell zu verurteilen, die gezielt den Diskurs mit Rechtsextremisten suchen. Es kommt immer auf die Umstände, die Motive und die Hintergründe an. Übrigens: Vor wenigen Wochen hatte ich eine Nachricht einer jungen Dame in meinem Mailkasten, die sich gar mit Namen vorstellte und mir meinte mitteilen zu müssen: „all das nazi pack muss weg aus rotten die scheiße“. Wer solche Unterstützer hat, braucht keine Feinde mehr. Es bleibt zu hoffen, dass es der jungen Dame inzwischen wieder besser geht.

michael-schaefer
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de