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Jünger zum Geburtstag: Wie Philia mir auf die Marmorklippen helfen wollte

 

Ich war unlängst eingeladen – zu Philias Geburtstag. Die liest nicht nur gerne Stefan George, sondern bisweilen auch Ernst Jünger. So manches Mal habe ich schon bei einem Glas Wein in Philias Bibliothek in dem einen oder anderen seiner Werke geblättert.

Philia hatte mir schon mehrfach empfohlen, dass ich den Jünger einmal selbst lesen sollte. Aber da beginnt das Problem: Philia ist eine Liebhaberin der Literatur, ich der Philosophie und systematischer Texte. Meinen letzten Roman habe ich vor mehr als 10 Jahren gelesen. Es wird wohl „1984“ von George Orwell gewesen sein. Philia und ich verstehen uns trotzdem gerade in den Dingen gut, in denen wir uns nicht verstehen: Irgendwie eine komische Beziehung, aber sehr fruchtbar.

Gut, ich war also eingeladen. Und was werde ich Philia schenken? Schon antizipierend, was dann folgen würde: einen Brocken „Politische Publizistik“ natürlich – anlässlich des 10. Todestages Jüngers, der ja auch in der „Jungen Freiheit“ und „Sezession“ zu umfangreichen Diskussionen geführt hat. Mir selbst bestellte ich den Wälzer auch gleich noch einmal, aber nur antiquarisch. Man muss es ja nicht gleich übertreiben. Ich glaube, Philia hat’s gefallen.

Und sie verstand die Anspielung. Denn sie revanchierte sich bei mir prompt wenige Tage später zu meinem eigenen Geburtstag mit einer mit der Erstausgabe aus dem Jahr 1939 identischen Kriegsausgabe von „Auf den Marmor-Klippen“ (1941). Nach mehr als 10 Jahren also wieder einmal Belletristik. Und es war – furchtbar. Auch ich bin geneigt, dieses Werk Jüngers als innere Distanzierung vom Nationalsozialismus zu interpretieren. Während er beispielsweise im Jahr 1927 in „Nationalismus und Nationalsozialismus“ Hitler noch den Sieg wünscht, klingt dies in „Auf den Marmor-Klippen“ schon ganz anders: „In diesen Kämpfen, die zu Menschenjagden, Hinterhalten und Mordbrand führten, verloren die Parteien jedes Maß. Bald hatte man den Eindruck, daß sie sich kaum noch als Menschen sahen, und ihre Sprache durchsetzte sich mit Wörtern, die sonst dem Ungeziefer galten, das ausgerottet, vertilgt und ausgeräuchert werden soll.“ Und Selbstkritik – so darf man mutmaßen – klingt durch, wenn Jünger den Erzähler sagen lässt, dass dieser den „Oberförster“ zuvor sogar unterstützt habe: „Damals war seine Nähe uns angenehm – wir lebten im Übermute und an den Tafeln der Mächtigen der Welt. Ich hörte später Bruder Otho über unsere Mauretanier-Zeiten sagen, daß ein Irrtum erst dann zum Fehler würde, wenn man in ihm beharrt.“

Aber muss man wirklich 157 Seiten Wortdrechselei bemühen, um etwas zum Ausdruck zu bringen, was sich auch auf fünfen sagen ließe? Gestern meinte denn Philia auch lachend zu mir am Telefon: „Ich wusste, dass Du das sagen würdest.“ Wie gesagt: Wir verstehen uns gerade in den Dingen gut, in denen wir uns nicht verstehen. Gott bewahre, ich will ja niemandem ausreden, sich an Literatur zu erfreuen, aber für mich ist das einfach nichts. Es brachte schon meinen Griechischprofessor zur Verzweiflung, dass mich Homer philosophisch und theologisch, aber partout nicht poetisch interessierte (oder interessieren wollte). Und ich gestehe gerne zu, dass Jünger dies hätte anno 1939 eben nicht in einen systematischen Aufsatz kleiden können, sondern sich der Literatur bedienen musste. Wunderlich genug, dass dieser Text überhaupt gedruckt wurde und Jünger keine Repressalien erlitt. Bemerkenswert übrigens auch, dass man selbst in der NPD-Postille „Deutsche Stimme“ (Februar 2008) unter dem Titel „Sekretär seines Jahrhunderts“ sichtlich darum bemüht war, Jüngers Distanzierungen vom Nationalsozialismus zu betonen – und zwar ohne Kritik und Häme. Nun gut, der Autor war Arne Schimmer.

Was bleibt? Ungefähr zehn gute, aber nicht nutzbare Aphorismen Jüngers. Mein Liebling: „Indem sie zu fliegen wähnten und sich dessen rühmten, wühlten sie im Staub.“ Stellen Sie sich einmal vor, ich fertigte künftig meine Geburtstagskarten mit Sinnsprüchen Jüngers aus! Das sorgte aber gehörig für Verwirrung, auf die ich gern verzichte. Daran ändert auch nichts, dass Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl Jünger zu dessen 100. Geburtstag persönlich besuchte oder selbst Joschka Fischer gestand, selbstverständlich Jünger gelesen zu haben.

Was macht man also mit Jünger, einem Manne, der eindeutig auf Seiten der Rechten stand? Der ursprünglich den Nationalsozialismus unterstützte, sich aber noch während der Herrschaft Hitlers gegen das System wandte? Oh ja, ich kann sie mir schon vorstellen, die Wohnstuben-Antifaschisten, die jetzt die Nase rümpfen und über Jünger ihr endgültiges Urteil längst gefällt haben – vermutlich, ohne je eine Seite gelesen zu haben. Und, ehrlich gesagt, sie nerven mich, die Wissenden und ewig Aufrechten: Ist nicht gerade der Bruch in Jüngers politischer Biographie das Interessante und Menschliche? Umgekehrt: Wie viele von den heutigen Wohlfeilen, die in ihrer warmen Stube sitzen und Posterkommunisten auf ihren T-Shirts tragen, hätten im Jahre 1933 oder 1939 den Schneid gehabt, sich Hitler entgegenzustellen – und sei es nur literarisch? Wären es damals nicht wenige gewesen, hätte Hitler nicht Kanzler werden können. Und ich fürchte, heute wären es nicht mehr. Was ICH 1933 getan hätte? Woher soll ich (oder jeder andere, zu sich selbst ehrliche Mensch) das HEUTE wissen?

michael-schaefer
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de