Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Geschichtsverfälschung im Landtag – NPD sorgt für Skandal

 

Wie zu erwarten, gab es zum letzten Tagesordnungspunkt mehr als eine hitzige Debatte – es kam zum Eklat. In einer parlamentarisch noch nie gezeigten Deutlichkeit gab die NPD-Fraktion eine verfälschte Ansicht der Geschichte wieder und beschuldigte die Juden, Schuld an den Novemberpogromen zu sein. Somit verbarg sich hinter dem NPD-Antrag „Antigermanismus bekämpfen“ in Wahrheit eine antisemitistische Attacke.

„Deutschenhass ist ein Problem“ begann Tino Müller, der für die NPD-Fraktion reden durfte, noch relativ harmlos und arbeitete sich in seinen Ausführungen an den Vertretern der demokratischen Fraktionen ab. Diese seien in eine „Fremdenliebe gefallen“ und würden die Augen vor der Wirklichkeit verschließen. Das Problem aller europäischen Völker sei ein Problem der Überfremdung und die Zerstörung der Identität. Nachdem Müller die CDU-Fraktion für ihre neue Broschüre kritisiert hatte, ergänzte er: „Wer Multikulti will, der zerstört Vielfalt“. Die NPD wolle aber die Vielfalt der Völker erhalten. Die Vertreter der demokratischen Parteien würden Menschen nach Deutschland „locken“, sie als „billige Arbeitskräfte missbrauchen“ und schließlich „zwangsassimilieren“. Nach dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan sei Assimilation, so Müller, jedoch „Völkermord“. In Richtung CDU-Fraktion erklärte er, dass unter „Politikern wie Herrn Jäger“ die „Deutschen bald zwangsassimiliert“ würden.

Nach dieser Abrechnung mit seinen Parlamentskollegen ging Müller zum nächsten „Feind“ über. Denn Europa werde gerade islamisiert. Auch wenn Mecklenburg-Vorpommern im Moment noch nicht von diesem Problem betroffen sei, wäre es jetzt Zeit zu handeln: „Islamisierung führt zur Bedrohung des deutschen Volkes“. Müller ging sogar noch weiter und bezeichnete den Vorgang, der gerade stattfände, als „Völkermord, den man auch im Frieden begehen kann“. Die „Völkerzerstörung durch Überfremdung“ bedeute für die NPD-Fraktion die „Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln“.

Zum Ende seiner Einbringungsrede forderte ausgerechnet der NPD-Parlamentarier Müller auf, aus der Geschichte zu lernen. Denn ihm zufolge gäbe es immer „Wechselwirkungen zwischen Tätern und Opfern“. Nun bediente sich Müller der Novemberpogrome 1938, um den demokratischen Fraktionen erneut vorzuwerfen, auszublenden, „dass diese Sachen auch eine Vorgeschichte hatten“. Diese beginne im Jahre 1933, dort hätte „das Judentum Deutschland den Krieg erklärt“, zitierte Müller aus der „Daily News“ und es sei gegen „Deutsche zu einem Gräuel- und Boykottaufzug“ gekommen. Auf diesen Krieg gäbe es selbstverständlich eine Reaktion. „Juden sind keine besseren Menschen“, endete Müller: „Wenn sie sich dafür halten, dann erzeugen sie damit Antisemitismus“.

Als „zutiefst undemokratisch, menschenverachtend und propagandistischen Ausfluss der wahnhaften Denke von Rechtsaußen“ bezeichnete Ilka Lochner- Borst (CDU) den Antrag der NPD. Mit dem ursprünglichen Text hätte die NPD versucht, einen antisemitistischen Antrag einzubringen. Die NPD hätte in ihm ursprünglich die Novemberpogrome verharmlosen und „umdeuten“ wollen. Nun hätten sie einen veränderten Antrag eingebracht, der keinen konkreten Konflikt mit dem Völkerstrafgesetzbuch eingeht. Doch bevor man sich mit „Antigermanisierung“ auseinandersetze, müsse man klären, was „Germanisierung“ für die NPD bedeute. Nämlich gegen andere Kulturen vorzugehen, sie zu verdrängen und auszurotten. Lochner-Borst schloss ihren Beitrag mit den Worten „Rechte Propaganda brauchen wir nicht. Unsere Gesellschaft ist lebendig und unsere Demokratie wehrhaft“.

In seiner abschließenden Rede widmete sich Müller ganz seinen antisemitischen Vorurteilen und erklärte, dass „beidseitiger Hass“ nicht verewigt werden dürfe. „Dies aber kann nur geschehen, wenn die deutschen Juden sich endlich von dem Einfluss ihrer heutigen Berater freimachen, die ihnen lediglich nach dem Munde reden und ihnen alles verschweigen, was nicht in den Rahmen ihrer hervorgebrachten Antisemitismusbekämpfung passt.“ Müller gab dies als Zitat des „national-deutschen Juden e.V.“ aus dem Jahr 1932 an. In der Zeit der Weimarer Republik angekommen, führte Müller weiter aus: „Die Dinge kündigen sich an, bevor es zum Unglück kommt. […] Die Saat des zweiten Weltkrieg wurde in Versailles gelegt“. Daraufhin erhielt Müller einen Ordnungsruf, seinen zweiten an diesem Tage, und wurde von Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider aufgefordert, die „Ereignisse der Geschichte nicht falsch“ wiederzugeben. Als Müller seine Rede fortsetzte und von „Pogromen gegen eingeborene Orokojer“, er meinte offenbar Europäer, sprach, entzog ihm die Landtagspräsidentin ganz das Wort. Auch dies hielt Müller aber nicht davon ab, weiter zu reden. Auch ohne Mikrofon setzte er seine Rede nahezu unbeeindruckt fort. Die Landtagspräsidentin, sichtlich in Rage, schloss Müller von der Sitzung aus und erteilte ihm daraufhin ein Verbot der Teilnahme an den nächsten drei Sitzungen. Nach tumultartigen Szenen im Plenum erklärte die Präsidentin zunächst das Ende der Sitzung, berichtigte sich dann aber und rief nur eine Unterbrechung von fünf Minuten aus. Nach Wiederaufnahme der Sitzung erklärte Bretschneider, Müller wegen gröblicher Verletzung der Ordnung von dieser Sitzung ausgeschlossen und für die nächsten drei Sitzungen ein Mitwirkungsverbot erteilt zu haben.

Die Abgeordneten Stefan Köster (NPD) und Raimund Borrmann (NPD) erhielten jeweils einen Ordnungsruf für Zwischenrufe, die sie während der Rede Müller getätigt hatten. Auch der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs erhielt einen Ordnunggsruf, es war sein dritter, folglich wurde ihm das Rederecht entzogen. Raimund Borrmann versuchte nun, Müllers Rede fortzuführen, aber auch er kam nicht weit. Als er auf die Novemberpogrome zu sprechen kam, sagte er: „ Im November 1938 gingen übrigens rund 100 jüdische Gotteshäuser in Flammen auf. Ein offizieller Bericht über gezielte Ausschreitungen liegt nach den Erkenntnissen unserer Fraktion“, so Borrmann, „nicht vor“.

Bretschneider entzog Borrmann daraufhin das Wort mit der Begründung, er verfalle wie Müller in eine Verfälschung der Geschichte, indem er „auf zynische Weise die wahren Ursachen des Zweiten Weltkrieges in ein völlig verkehrtes Licht rücken“ würde. Dass auch Stefan Köster diese verquere Weltsicht teilt, macht er in den letzten fünf Sekunden der NPD-Redezeit deutlich: “Wahrheit im Landtag ist schwer, aber es gibt zum Glück die NPD-Fraktion.“

Indes ließen die NPD-Redener nicht nur die Abgeordneten nicht ungerührt. Demonstrativ hatten sich zu Beginn der Behandlung des antisemitischen NPD-Antrages zahlreiche Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion auf den Zuschauerrängen verteilt. Darunter fand sich neben Michael Grewe, Marco Müller und Michael Gielnik auch Lutz Giesen. Allerdings dauerte es nur wenige Minuten, bis Mitarbeiter aller demokratischen Fraktionen auf die Zuschauerränge strömten. An diesem Tag wollten sie alle ein Zeichen setzen.

ER
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de