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Österreich gewöhnt sich an das „Prinzip Negerwitz“

 

Naziaufmarsch in Wien    Foto: Getty
Naziaufmarsch in Wien © Getty

Der Europarat hat Österreich wegen Rassismus gerügt. Kein Wunder: Das rechtsgerichtete Ressentiment blüht. Ein Klima der Ausgrenzung macht sich breit.

Von Marion Kraske

Wieder einmal hat der Europarat gesprochen, wieder einmal hat er Delinquenten ausgemacht, die auf dem Kontinent Rassismus und Fremdenhass nur ungenügend die Stirn bieten: Es sind Länder wie Albanien, das noch immer an seiner diktatorischen Vergangenheit herumlaboriert. Estland, das sich nach außen hin so modern präsentiert, Anfeindungen gegen Russen und Roma aber nicht in den Griff bekommen mag. Oder Großbritannien, wo rassistisch motivierte Straftaten stark zugenommen haben. Und es ist – einmal mehr – Österreich, das bereits zum wiederholten Mal in einem Bericht über Rassismus Erwähnung findet. Ein unrühmlicher Rekord für ein westliches Gemeinwesen.

Der Report aus Straßburg ist, zugegeben, kein Total-Verriss: Ausdrücklich loben die Experten auch positive Entwicklungen. Die Verabschiedung von Gleichbehandlungsgesetzen in den österreichischen Bundesländern etwa. Sie böten einen größeren Schutz gegen Diskriminierung als dies bisher auf Bundesebene der Fall war. Bei Polizei und Justiz würden Anti-Rassismus-Trainings offeriert. Zudem gebe es Bemühungen auf lokaler Ebene, die Integration von Ausländern zu vereinfachen, etwa durch Sprachkurse für Immigrantenkinder.

So weit so gut.

Eine Absolution erteilt der Europarat dem Alpenland dennoch nicht. Ganz im Gegenteil: Es gebe keine einheitliche Integrationspolitik auf Bundesebene, das Niederlassungsrecht sei zu streng, monieren die Experten. Die Handhabung des Familiennachzuges sei in Gänze zu restriktiv, die entsprechende Quotenregelung inadäquat. Geradezu „besorgniserregend“ ist aus Sicht des Europarates die Tatsache, dass der Rassismus im politischen Diskurs weiterhin eine große Rolle spiele, nicht zuletzt weil die etablierten Parteien allzu oft eine entsprechende Antwort vermissen ließen.

Und tatsächlich: Der naiv verharmlosende Umgang mit den Rechten ist der eigentliche Kern des politischen Systems des Alpenlandes. Die rechtspopulistischen Parteien FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) und in geringerem Maße das BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich) provozieren wo sie nur können, sie wagen Tag für Tag den rechten Tabubruch – ohne dass sie auf maßgeblichen politischen Widerstand treffen würden. Es ist das Leitmotiv der Rechten, zu testen, was möglich ist. Es wird ihnen möglich gemacht.

Ein Klima des „anything goes“

Und so hetzen die Rechtsausleger gegen Migranten und Asylanten, gegen Muslime, gegen Juden. Antisemitismus ist in der politischen Auseinandersetzung ein fester Bestandteil. Mal bezeichnet FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache Ausländer in unrühmlicher Diktion als „Motten“, mal wird der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde als Drahtzieher des Linksterrorismus verunglimpft, mal erzählt der Landeshauptmann von Kärnten in aller Öffentlichkeit grinsend einen Negerwitz. Es existiere, so umschrieb es einmal der Kolumnist des Wiener Standard, Hans Rauscher, ein Klima des anything goes, alles ist erlaubt.

In dieser Hinsicht erweist sich Österreich immer wieder als Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Der Spielraum, den die Rechtsradikalen haben, um diskreditiertes Gedankengut zu ventilieren, ist schier unbegrenzt. Konsequenzen, Sanktionen, größere Aufschreie seitens der etablierten Parteien SPÖ und ÖVP – sie sucht man in der Regel vergebens.

Dahinter steckt knallhartes politisches Kalkül: Der ÖVP gilt die FPÖ trotz aller Verfehlungen nach wie vor als möglicher Koalitionspartner. Verscherzen will man es sich lieber nicht mit ihr. Die SPÖ hat da schon größere Bedenken: Als die Freiheitlichen im Europawahlkampf mit dem Slogan „Abendland in Christenhand“ gezielt antiislamische Stimmung machten, distanzierte sich Bundeskanzler Werner Faymann deutlich von dem „Hassprediger“ Strache. Doch schon in den Bundesländern wird diese Linie aufgeweicht: Von SPÖ-Landesfürsten ist immer wieder zu hören, man halte sich alle Optionen offen.

Fehlender Cordon Sanitaire

Ein Cordon Sanitaire, eine Ausgrenzung der Rechten, wie man sie etwa in Frankreich oder Deutschland kennt – sie existiert in Österreich nicht. Und genau hierin offenbart sich das Versagen der übrigen Protagonisten. Die Vorgängerpartei der FPÖ, der Verband der Unabhängigen (VdU), ein Sammelbecken für ehemalige Nazis, wurde nach dem Krieg als politische Kraft umgarnt. Und heute? Im Land der Großen Koalitionen liebäugelt man mit der FPÖ, als wäre sie der Heilsbringer für die Lösung großkoalitionärer Verwerfungen.

Alternativen sind rar, eine echte liberale Partei gibt es nicht, die Grünen sind zu schwach. Und so steht, anders als in anderen Ländern, nicht die politische Abgrenzung gegen rechts (und somit auch der Schutz der Demokratie gegen die Infiltrierung durch rechtsextreme* Politikinhalte) im Vordergrund, sondern parteitaktische Erwägungen. Sie münden in Verharmlosung und Kungelei.

Das beste Beispiel für diesen gefährlichen Appeasementkurs bot die Wahl von Martin Graf zum Dritten Nationalratspräsidenten. Der Freiheitliche ist Mitglied bei der Wiener Burschenschaft Olympia (Motto: „Wahr und treu, kühn und frei“), die das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes als „Zentrum des Rechtsextremismus“ ortet und auch dem deutschen Verfassungsschutz nicht unbekannt ist. Trotz massiver Proteste von Intellektuellen wählten die Parteien Graf im Herbst 2008 ins hohe Amt. ÖVP-Chef Josef Pröll gab gar eine Wahlempfehlung für den rechten Recken aus.

Mitarbeiter von Graf orderten bei einem rechtsextremen Versandhandel in Deutschland Propagandamaterial, er selbst stellte wiederholt den „antifaschistischen Grundkonsens“ infrage. In Österreich geht das problemlos. Graf ist trotz seiner zahlreichen Störfeuer weiter einer der höchsten Repräsentanten seines Landes.

Die zunehmende Gewöhnung an rechtsextreme Inhalte ist nicht zuletzt eine Folge der schwarz-blauen Regierungsbildung im Jahr 2000. Damals holte der machthungrige Wolfgang Schüssel (ÖVP), der eigentliche Wahlverlierer des Urnenganges, Jörg Haider in die Koalition. Diskreditierte Inhalte wie Antisemitismus, Fremdenhass, Rassismus und die Verharmlosung des Holocausts wurden damit reingewaschen. Studien belegen: Sowohl BZÖ als auch FPÖ gelten heute unter Jungwählern als ganz normale Parteien. Ein Alarmsignal für den Zustand der Demokratie.

„Saugoschn“ und „Schmarotzergesindel“

Eine Wertestudie, die im vergangenen Jahr unter dem Titel Die Österreicher innen veröffentlicht wurde, offenbarte: Jeder fünfte Österreicher wünscht sich einen starken Führer, der weder Parlament noch Wahlen verpflichtet ist, Fremdenhass, ohnehin weit verbreitet, nimmt zu. Geschürt wird das Klima der Ausgrenzung von der Kronen-Zeitung, dem mächtigsten Medium im Alpenstaat, das in der Vergangenheit ebenfalls vor rassistischen und antisemitischen Übergriffen nicht zurückschreckte.

Wie sehr die fortgesetzte Agitation der Rechten gegen Fremde nachwirkt, zeigte sich in jüngster Zeit, als die Debatte um das Ausländerrecht gefährlich eskalierte. Das Nachrichtenmagazin Profil veröffentlichte E-Mails die belegen, dass rechtsradikale Überzeugungen längst in die Mitte der Gesellschaft eingesickert sind. Einer der Absender, ein Versicherungsmakler aus Wien, verunglimpfte die Tochter einer Asylfamilie als „Saugoschn“, er wetterte gegen das „Schmarotzergesindel“, das „nichtsnutzige Islamgesindel“. Der renommierte österreichische Politologe Anton Pelinka macht angesichts solcher Entgleisungen eine „neue Schamlosigkeit“ aus, er beobachte, so der Wissenschaftler, eine „Verschluderung“ der Sitten.

Demokraten müsste es angesichts dieser Entwicklungen Angst und Bange werden. Nicht so in Österreich. Da wird weiter taktiert, weiter gekungelt. Selbst die Wahl des Bundespräsidenten im April bleibt davon nicht verschont. Gegen den als untadelig geltenden Heinz Fischer (SPÖ) tritt als Herausforderin lediglich FPÖ-Hardlinerin Barbara Rosenkranz an. Ihre zweifelhafte Gesinnung dokumentierte die zehnfache Mutter schon mal, indem sie die Abschaffung des NS-Verbotsgesetzes forderte oder das Zweifeln an der Existenz des Holocausts als „freie Meinungsäußerung“ bezeichnete. Die ÖVP mochte bislang weder einen eigenen Kandidaten aufstellen noch eine Wahlempfehlung für den Demokraten Fischer abgeben.

Rosenkranz for president: Das Prinzip Negerwitz bricht sich weiter Bahn.