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Neonaziaufmarsch zum „Tag der deutschen Zukunft“ in Hildesheim

 

Das europäische Michaelisfest am ersten Juni-Wochenende in Hildesheim sollte der Höhepunkt des 1.000-jährigen Bestehens der Michaeliskirche sein. Doch die Großveranstaltung mit bis zu 100 Delegierten christlicher Kirchen aus neun europäischen Ländern wird von dem geplanten Neonaziaufmarsch zum so genannten „Tag der deutschen Zukunft“ überschattet. Die Polizei erwartet am Samstag den 5. Juni etwa 300 Teilnehmer des von Dieter Riefling angemeldeteten Aufmarsches, Beobachter vor Ort rechnen mit deutlich mehr Neonazis. Die Stadt hatte die rechtsextreme Veranstaltung Mitte Mai bestätigt, gegen einen Teil des Auflagenkataloges gehen die Neonazis momentan noch juristisch vor.

Bereits im März hatten der Kreistag und der Rat der Stadt Hildesheim die Kommunalverwaltungen mit Resolutionen aufgefordert, „alles zu unternehmen, um den NPD-Aufmarsch zu verhindern“. Für ein „rechtssicheres“ Verbot gebe es aber keine Möglichkeit, erklärte der Hildesheimer Oberbürgermeister Kurt Machens und setzt auf umfangreiche Auflagen für die rechtsextreme Veranstaltung.

Neonaziaufmarsch 2007 in Hildesheim

Dazu gehört unter anderem eine räumliche Trennung von den Gegenprotesten durch die Bahnlinie in Hildesheim: wie bereits bei Neonaziaufmärschen vor drei Jahren sollen die Rechtsextremen durch den nördlichen Teil der Stadt marschieren, für die Gegenveranstaltungen und das Michaelisfest ist die Innenstadt südlich des Bahnhofes vorgesehen. Dieser Plan soll von mehr als 1.500 Beamten umgesetzt werden, angekündigt sind auch Pferdestaffeln und Hubschrauber.

Aufruf zu Blockaden gegen Neonaziaufmarsch

Neben der geplanten Demonstration des Hildesheimer Bündnisses gegen Rechts setzt der „Arbeitskreis Nazis blockieren!“ auf zivilen Ungehorsam und ruft dazu auf, sich „gemeinsam diesen braunen Kräften entgegen zu stellen“. In dem von zahlreichen Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen unterzeichneten Blockadekonsens heißt es „Wir werden den Nazis mit (Sitz-)Blockaden demonstrieren, dass wir sie weder in Hildesheim noch anderswo dulden. Wir sind entschlossen, den Aufmarsch der Nazis zu verhindern“. Dem Aufruf zu Blockaden hat sich u.a. auch der Arbeitskreis Antifaschismus Hildesheim (AkA) angeschlossen, der in einer Mitteilung von zwei Vorfeldaktionen im Umkreis von Hildesheim berichtet. Demnach protestierten am Sonntag, d. 30. Mai 2010, etwa 50 Personen in den Ortschaften Diekholzen und Sibbesse gegen dort ansässige rechtsextreme Versände. In dem Text des AkA heißt es: „Mit den Demonstrationen sollte aber auch im Vorfeld des geplanten Neonazi-Aufmarschs am 5. Juni in Hildesheim darauf hingewiesen werden, dass die Nazi-Szene im Alltag auch in Hildesheim bzw. im Landkreis existiert und verankert ist“.

Neuer Aktionstag der Rechtsextremen Szene in Norddeutschland?

Dieter Riefling in Hannover 2007

Dies gilt auch für den rund 770 Einwohner zählenden Ort Coppengrave südlich von Hildesheim. Von dem Wohnort des Ehepaares Dieter und Ricarda Riefling ausgehend ist die Neonazi-Szene schon länger eifrig bemüht, in roten „Soli T-Hemden“ den Aufmarsch in Hildesheim bundesweit zu bewerben. Veranstaltungen wie u.a. in Kiel, Würzburg und Dresden lassen eine deutlich höhere Mobilisierung erwarten als noch bei der ersten Veranstaltung in Pinneberg. Unter der Leitung des NPD-Funktionärs Thomas Wulff marschierten dort im Juni 2009 etwa 200 Neonazis auf und standen rund 2.000 Gegendemonstranten gegenüber. Mit dem „Tag der deutschen Zukunft“ will die die rechtsextreme Szene offenbar einen neuen Aktionstag in Norddeutschland etablieren, um ihre Propaganda nach außen tragen zu können. Dabei können die Organisatoren auf ein Netzwerk alter Strukturen zurück greifen, das vor allem auf langjährige Erfahrungen fußt. Der Anmelder des Aufmarsches, der 41-jährige Dieter Riefling gehörte bereits 1995 zum Kader der später verbotenen „Freiheitlichen Arbeiter Partei“ (FAP), gilt als Gründer der Bürgerengagement vortäuschenden „Bürgerinitiative für Zivilcourage Hildesheim“ und zählt zu den führenden Köpfen der Neonazi-Szene in Niedersachsen. Er ist Teil des „Stammtisch Nord“, an dem die parteiunabhängigen Neonazi-Kader ihre Aktionen

Ricarda Riefling 2007 in Hildesheim

planen und abstimmen. Längst ist der unauffällig klingende „Stammtisch“ zu einem monatlichen Instrument der norddeutschen Vernetzung mit bis zu 80 Teilnehmern geworden. Auch bei den „Nationalen Sozialisten Niedersachsen“ zählt Riefling zu den Köpfen des parteiunabhängigen Dachverbandes mit Gruppen wie den „Snevern Jungs“ oder der als militant geltenden „Kameradschaft Celle 73“. Seine Ehefrau Ricarda Riefling hingegen hält den Kontakt zur Partei: die vierfache Mutter ist unter anderem Vorsitzende des NPD-Unterbezirks Oberweser und als Mitglied im Bundesvorstand der NPD-Frauenorganisation Ring Nationaler Frauen (RNF) für die Frauen- und Familienpolitik zuständig. Die zierliche Frau ist eine der führenden Aktivistinnen der rechten Szene in Norddeutschland und zeigte u.a. während des Neonaziaufmarsches in Bad Nenndorf 2008 mit einer Hetzrede ihr wahres Gesicht.