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Wenn Neonazis sich beinahe gegenseitig umbringen

 

Wer im "Henker" nicht nach Neonazi aussieht wird offenbar gleich zusammengeschlagen © Matthias Zickrow

Der Brandanschlag auf das braune Lokal „Zum Henker“ in Oberschöneweide vom Oktober 2009 hatte offenkundig keinen politischen Hintergrund. Der mutmaßliche Täter zählt offenbar selbst zur rechten Szene.

Von Tagesspiegel-Autor Frank Jansen

Der Fall regte die rechtsextreme Szene mächtig auf, wütende Neonazis schworen auf einer Demonstration dem linken Gegner Rache. Doch ein linkes Motiv des Brandanschlags vom Oktober 2009 ist bei den mutmaßlichen Tätern schon gar nicht zu erkennen. Vielmehr ordnen die Sicherheitsbehörden nach Informationen des Tagesspiegels einen der beiden Beschuldigten, Stephan K. (48), sogar dem rechtsextremen Spektrum zu. Bei einer Durchsuchung der Wohnung von K. sei Material gefunden worden, das auf eine Zugehörigkeit des Mannes zur Szene schließen lasse, hieß es in Sicherheitskreisen.

Die Staatsanwaltschaft hat im Sommer, wie erst jetzt bekannt wurde, gegen K. sowie Frederik B. (30) Anklage erhoben. Die Vorwürfe lauten versuchter Mord, schwere und besonders schwere Brandstiftung sowie Urkundenfälschung. Das Tatmotiv war offenbar simpel. Frederik B. und mehrere Bekannte sollen Ende September 2009 in die Kneipe hineingegangen und sofort hinausgeworfen worden sein, weil sie nicht zum Milieu passten. Die Gruppe sei von einigen Gästen mit Reizgas besprüht und draußen verfolgt und geschlagen worden, sagten Sicherheitsexperten. Offen bleibt, ob Stephan K. schon bei dem Vorfall dabei war.

Den weiteren Ablauf schildern Sicherheitskreise so: Frederik B. wollte sich rächen und plante einen Brandanschlag. Der Audi A 6 von B. wurde mit falschen Nummernschildern präpariert. In der Nacht zum 4. Oktober 2009 fuhren B. und sein Angestellter K. sowie vermutlich noch Komplizen zum „Henker“. Stephan K. warf zwei Brandflaschen gegen das Lokal, die allerdings kaum Schaden anrichteten. Aus der Kneipe stürmten Gäste heraus und ergriffen Stephan K. Einer seiner Komplizen fuhr mit dem Audi in die Gruppe der angreifenden Meute, um K. zu befreien. Drei Kneipengäste wurden von der Limousine erfasst, einer erlitt lebensbedrohliche Verletzungen. Stephan K. sprang ins Auto und entkam mit seinen Kumpanen. Wer den Wagen bei dem Krawall gesteuert hat, war nicht zu ermitteln. Der Besitzer, Frederik B., hat keine Fahrerlaubnis.

Stephan K. und Frederik B. bestreiten eine Beteiligung an dem Brandanschlag. Fünf Tage nach der Tat hatte die Polizei die beiden festgenommen. Stephan K. wurde allerdings im Januar 2010 aus der Untersuchungshaft entlassen, Frederik B. war bereits im Dezember 2009 wieder frei. Noch im Oktober 2009 veranstaltete die rechte Szene eine Demonstration, bei der die Attacke auf die Kneipe „Zum Henker“ dem linken Spektrum angelastet wurde. Ein Neonazi verlas 22 Namen von Linken und bezeichnete sie als „Hintermänner dieser feigen roten Mordbanden“. Obwohl die Polizei bei den Ermittlungen zu dem Brandanschlag kein politisches Motiv herausfinden konnte, bleibt die rechtsextreme Szene bei ihren Verschwörungstheorien. Sie stehen allerdings auch in Widerspruch zu den Erkenntnissen der Ermittler, der mutmaßliche Brandflaschenwerfer Stephan K. sei selbst dem rechten Milieu zuzurechnen. Wann der Prozess gegen Stephan K. und Frederik B. beginnt, ist noch offen.