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Zwischen „Erfolg“ und „Weltanschauungspartei“

 

Intern streitet die NPD über ihre Wahlkampfstrategie © Getty

Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist die erfolgreichste rechtsextreme Partei der Bundesrepublik. Sie ist mit zwei Landtagsfraktionen (Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern) und hunderten Kommunalmandaten in bundesdeutschen Parlamenten vertreten. Dennoch ist sie politisch bedeutungslos. Noch in den 1970er Jahren war die NPD in sieben Landesparlamenten vertreten und hatte ein Vielfaches an Mitgliedern. Doch es folgte der Abstieg. Die Hinwendung und Öffnung zum militanten Spektrum der Freien Kameradschaften in den 1990er Jahren verschaffte der Partei jedoch wieder steigende Mitgliederzahlen und besonders bei Demonstrationen einen enormen Zulauf vor allem junger Menschen. Ende der neunziger Jahre nahmen bis zu 5.000 Anhänger an Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellung teil.

Ein Gastbeitrag von Politikwissenschaftler Benjamin Mayer vom Göttinger Institut für Demokratieforschung

Die Teilnahme an Wahlen war in dieser Phase zweitrangig für die NPD, die bei vielen Landtagswahlen erst gar nicht antrat. Seit dem erneuten Einzug in ein Landesparlament – 2004 in Sachsen – versuchen Teile der Partei, zumindest in der Präsentation der Partei, einen neuen Weg einzuschlagen. Der Einzug in den Sächsischen Landtag wurde von einigen Rechtsextremen als „historische Zäsur“ gesehen. Schnell zog man das wenige akademisch geschulte Personal der extremen Rechten Deutschlands in Sachsen zusammen. Holger Apfel, NPD-Fraktionsvorsitzender in Sachsen, konnte eine ganze Reihe neuer Köpfe für seine Partei gewinnen, denn der Einzug in den Landtag machte die NPD auch für die wenigen Akademiker der extremen Rechten wieder attraktiv. Dies löste eine Veränderung in der NPD aus, welche seit einigen Jahren zu beobachten ist und die zu Beginn des Jahres in einer Strategiedebatte wieder hochkochte. Schon in den vorangegangenen Jahren war diese Diskussion, besonders nach Wahlniederlagen und Krisen, immer wieder zu Tage getreten.

Bereits 2009 versuchten Teile der Partei um Holger Apfel, Udo Pastörs und Peter Marx den amtierenden Parteivorsitzenden, Udo Voigt, zu stürzen und den rechtsextremen Publizisten Andreas Molau, der ebenfalls 2004 von Apfel nach Sachsen geholt worden war, an der Spitze der Partei zu positionieren. Dies geschah in einer Phase, in der Voigt durch einen Finanzskandal bereits erheblich beschädigt war. Molau kündigte während des innerparteilichen Wahlkampfs einen „Strategiewechsel“ unter seiner Führung an und plante die Inhalte der Partei „massenattraktiv“ zu vermarkten und sich so vom Image der Partei als Neonaziorganisation zu lösen. Doch schon damals war klar, dass es sich nicht um eine inhaltlich-ideologische Erneuerung handeln sollte. In einem Interview sagte Molau zu seinem geplanten Vorgehen: „Und es ist auch kein Gesinnungsverrat, wenn man sich vor laufenden Fernsehkameras lobende Worte über das Dritte Reich verkneift und Nostalgiepflege auf den Kameradschaftsabend verschiebt.“ Voigt vertrat damals noch – im Gegensatz zu Molau, in Abgrenzung zur Pro-Bewegung und anderen – die Position, die NPD müsse eine „Weltanschauungspartei“ bleiben und dürfe sich nicht durch vereinzelte Wahlerfolge anderer blenden lassen.

Allerdings misslangen die Pläne, den Vorsitzenden zu stürzen, da Andreas Molau seine Kandidatur bereits vor dem Parteitag zurückzog. Zwar konnte Voigt seine Position festigen, doch die NPD schien 2009 tief gespalten. Besonders der Kreis um die Sächsische Fraktion wandte sich vom Vorstand ab und veröffentlichte kurz nach dem Berliner Parteitag 2009, auf dem Voigt im Amt bestätigt wurde, ein eigenes Strategiepapier: den „Sächsischen Weg“. Dieser „Weg“ stehe für einen „gegenwartsbezogenen und volksnahen Nationalismus, der die soziale Frage in der Mittelpunkt der Programmatik stellt und der sich von unpolitischer Nostalgiepflege, ziellosem Verbalradikalismus und pubertärem Provokationsgehabe abgrenzt“. Wenige Wochen später veröffentlichte der Parteivorstand dann ein eigenes Strategiepapier, welches klar als Gegenentwurf zu erkennen war: den „Deutschen Weg“. Als Erfolgsrezept für die vergangenen Wahlerfolge wurde hier die Radikalität der NPD ausgemacht und deren „[…] kompromißlose Ausrichtung auf Überwindung des liberalkapitalistischen Systems und des bestehenden volksfeindlichen Parteienstaats“. Der Vorstand stellte sich deutlich gegen die Kräfte, die eine bessere „Vermarktung“ der Partei anstrebten:

„Dieser Kurs muß als gefährlich, wenn nicht gar als gegen unsere nationale Sache gerichtet interpretiert werden, da er den bisher beschrittenen Kurs des Versuchs, die Deutschen von unserer lebensrichtigen Auffassung zu überzeugen, abkommt, sich aber grundsätzlich falschen Denkweisen und Ansätzen im bürgerlichen Lager anpaßt.“

Diese beiden Standpunkte sind charakteristisch für die Spaltung der Partei in zwei Lager, von denen das eine den Wunsch nach „Wahlerfolgen um jeden Preis“ hegt und eine damit einhergehende Anpassung propagiert, das andere sich der Anpassung an das so verhasste System, nur um Wahlerfolge zu erreichen, verweigert.

Ein tiefer Einschnitt für die Partei und eine Verschiebung der Machtkonstellationen, auch in Bezug auf die strategische Ausrichtung, war im Oktober 2009 der Tod des neonazistischen Anwalts und stellvertretenden Bundesvorsitzenden Jürgen Rieger. Rieger gehörte innerhalb der Partei zu den klaren Gegnern einer strategischen Anpassung. Durch veränderte Machtkonstellationen und Wahlniederlagen im „Schicksalswahljahr“ 2009, wie dem verpassten Einzug in den Thüringischen Landtag oder die Wahlschlappe im Saarland, wurde für Januar 2010 eine Strategiekommission einberufen, welche der NPD neue Ideen und Impulse geben sollte. Die Ergebnisse wurden im Anschluss in der Parteizeitung der NPD der Öffentlichkeit vorgestellt. Die veränderten Positionen waren deutlich zu erkennen. So hieß es als Ergebnis der Kommission:

„Wir sollten in Zukunft mehr Türöffner-Themen besetzen, welche die Bürger tagtäglich beschäftigen, sei es innere Sicherheit, Kindesmißbrauch, Rente mit 67, Hartz IV usw. Gemäß dem Grundpfeiler der drei Ebenen der Weltanschauung sollte hierbei die Außenwirkung im Vordergrund stehen und gänzlich in der Werbung auf Weltanschauung verzichtet werden.“

Nun sollte gänzlich auf die Werbung mit „Weltanschauung“ verzichtet werden; man löste sich nach außen deutlich vom vorher vertretenden Modell der „Weltanschauungspartei“.

Direkt im Juni 2010 folgte der Programmparteitag. Ganz offensichtlich hatten sich Apfel und Voigt wieder angenähert und die alten Gräben zugeschüttet. Dennoch wurden andere Konfliktlinien in der Partei deutlich. Allein drei verschiedene Programmentwürfe standen zur Abstimmung: einer des Parteivorstands, einer des völkisch geprägten Landesverbands aus Mecklenburg-Vorpommern und einer des neonazistischen Flügels. Die Entscheidung der Delegierten fiel auf den Entwurf des Parteivorstands, welcher vor allem durch die Mitarbeiter der Sächsischen Fraktion geprägt war und eine klare nationalrevolutionäre Ausrichtung hat. Nach dem Bamberger Parteitag beruhigte sich die Lage in der NPD. Erst durch eine erneute Wahlniederlage kochte die Debatte wieder hoch. Fest hatten die Rechtsextremen mit einem Einzug in den Landtag von Sachsen-Anhalt gerechnet, verpassten diesen aber knapp.

Im Anschluss daran veröffentlichten zahlreiche Funktionsträger der Partei Stellungnahmen zur Ausrichtung und den Konsequenzen nach dem Desaster von Sachsen-Anhalt. Eines der aktuellsten Papiere, welches innerhalb der NPD für Aufsehen sorgte, stammt von Karl Richter. Richter ist Bundesvorstandsmitglied der NPD und sitzt für die NPD-Tarnorganisation Bürgerinitiative Ausländerstopp im Stadtrat von München. Auch Richter kritisierte die Wahrnehmung der Partei als „ewiggestrige Nostalgikerpartei“, welche aber an diesem Zustand selbst die Schuld trage. Richter fordert, dass das „Erscheinungsbild […] insgesamt konsequent zu ent-nostalgisieren und an die Sehgewohnheiten der Gegenwart anzunähern“ sei. Gleichzeitig macht er aber deutlich, was sein Strategiepapier genau sei, nämlich eine „Verkaufsstrategie [und] kein Glaubenszwang“. Richter geht es, ähnlich wie der Gruppe um Molau, dezidiert nicht um „inhaltlich ‚weichgespülte‘ Positionen“, sondern um eine veränderte Präsentation, um Erfolge zu erreichen. Und genau dies war und ist die Kernfrage der Debatte: Soll sich die NPD für die Wahlerfolge an den „volksfeindlichen Parteienstaat“ anpassen oder nicht?

Diese Frage wird sich wohl Ende des Jahres 2011 entscheiden, wenn die NPD ihren nächsten Parteitag abhält. Welche Ausrichtung die Partei einschlagen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es dem völkisch geprägte Mecklenburger Landesverband gelingen wird, im September erneut in den Schweriner Landtag einzuziehen und damit ein machtpolitisches Gegengewicht zur Sächsischen Fraktion zu schaffen.