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Razzia bei Berliner NPD-Chef wegen „Feindesliste“ im Netz

 

Sebastian Schmidtke (Mitte) bei einer NPD-Veranstaltung im Januar 2011 © Matthias Zickrow

Seriöse Radikalität? Dumm gelaufen: Endlich geht die Polizei gegen die Seite NW-Berlin vor. Die Spekulationen, wonach der Berliner NPD-Chef Schmidtke hinter der Seite steht, könnten nun bestätigt werden.

Die NPD gerät nach dem Beschluss der Innenminister, die Zusammenarbeit mit führenden Funktionären der Partei (“V-Männer”) einzustellen, zunehmend unter Druck. In Berlin hat die Polizei den mutmaßlichen Betreiber der Neonazi-Seite “Nationaler Widerstand Berlin” ausfindig gemacht. Auf der Seite wurden Nazigegner und Einrichtungen in einer Art «Feindesliste» aufgeführt. Wie die Nachrichtenagentur dpa laut Medienberichten aus Ermittlerkreisen erfahren haben will, stehe der Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke unter Verdacht, Betreiber und verantwortlicher Administrator der Seite zu sein. Die Polizei ermittelt jetzt gegen ihn und zwei weitere Führungskader wegen übler Nachrede, Beleidigung, Volksverhetzung, Aufforderung zu Straftaten und Sachbeschädigung.

Auf Facebook hieß es von Neonazi-Seite zu der Razzia zunächst: “Nach knapp 3,5 Stunden haben jetzt Staatsschutz und Staatsanwaltschaft meine Wohnung und Geschäftsräume verlassen. Es wurden 5 Rechner, mehrere Mobiltelefone und vieles anderes beschlagnahmt.” Und dann noch: “Keine Sorge, alles wichtige ist verschlüsselt.”

Screenshot eines inzwischen gelöschten Artikels auf der Webseite NW Berlin
Screenshot eines inzwischen gelöschten Artikels auf der Webseite NW Berlin

Am Freitag durchsuchten Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) laut Medienberichten gegen 6.00 Uhr drei Wohnungen in Neukölln sowie Schmidtkes Militaria-Geschäft «Hexogen» in der Brückenstraße in Schöneweide. Dort vertreibt der 27-Jährige unter anderem Pfefferspray und Schlagstöcke. Die Ermittler stellten der Berliner Morgenpost zufolge Computer, Speichermedien und Propagandamaterial sicher. Zudem beschlagnahmten sie Musik-CDs mit volksverhetzendem Inhalt. “Es wird einige Zeit dauern, bis die Polizei alles ausgewertet hat”, sagte ein Sprecher dem Blatt zufolge.

Schmidtke wurde bereits seit Längerem von Beobachtern als ein möglicher Betreiber der Seite genannt. In einem Interview mit der Seite Widerstand.info sagte Schmidtke (zumindest wurde er als dieser vorgestellt – und der Inhalt des Gesprächs gibt kaum Grund, an seiner Identität zu zweifeln):

Redaktion: Wenn jemand Interesse hat wie und womit hat er die Möglichkeit euer Anliegen zu unterstützen?
S. Schmidtke: Vorerst befindet sich dieses Anliegen im Moment natürlich auf unserer Weltnetzpräsents unter xxx.demo-berlin.net oder xxx.nw-berlin.net . Dort sind ebenfalls Telefonnummern zur Kontaktaufnahme angegeben, einfach anrufen, wir beißen nicht. Das Gespräch mit uns ruhig suchen, es gibt viele Arten der Unterstützung oder vielleicht hat jemand Vorschläge zur Verbesserung des Ganzen. Ein einfaches Spendenkonto bleibt uns von staatlicher Seite jedoch vorerst verwährt, daran wird allerdings ebenfalls gearbeitet um dieses Manko abzustellen. Als Vertreter dieser Kampagne danke ich euch für dieses Gespräch und die Möglichkeit, unserem Anliegen auch auf diesem Wege Nachdruck zu verleihen.

Zudem tauchte Schmidtkes Namen in der Vergangenheit auf Aufkleber und Flugblättern im Zusammenhang mit dem NW Berlin auf. Schmidtke war außerdem als Anmelder von Neonazi-Demos aufgetreten, in deren Umfeld es zu Angriffen und Drohungen gegen Antifaschisten kam.

Auf mehreren auf der Homepage veröffentlichten Flugblättern wurde Schmidtke als Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes genannt. Kenner der Neonazi-Szene behaupteten zudem: Wählte man die zeitweise auf der Seite NW Berlin genannte Kontakttelefonnummer, habe Schmidtke den Hörer abgenommen. Zudem habe ein bekannter Neonazi nach einer Veranstaltung in der Szenekneipe „Zum Henker“ in Schöneweide geschrieben, dass er herzlich von „Sebastian Schmidtke vom NW-Berlin“ begrüßt worden sei.

Schmidtke auf einem Aufkleber des NW-Berlin
Schmidtke auf einem Aufkleber des NW-Berlin

Insbesondere die Neonazi-Szene in Berlin gilt bereits seit Jahren als äußerst militant und war zunehmend aggressiv aufgetreten. Das zögerliche Verhalten hatte zu Spekulationen über eine Zusammenarbeit von führenden Kadern mit staatlichen Stellen (V-Mann-Praxis) geführt.

Sollte Schmidtke die Verantwortung für die Seite NW Berlin nachgewiesen werden, dürfte dies ein wichtiger Baustein in einem möglichen NPD-Verbotsverfahren werden. Im Mai 2011 war die Seite bereits indiziert worden. Einen „Strick um den Hals oder [eine] Kugel in den Bauch“ drohten die Neonazis auf der Internetseite.

Zudem wurde am Freitag in Brüssel ein mit Haftbefehl gesuchter Neonazi aus Thüringen verhaftet. Die Bundesregierung hatte zuvor auf Anfrage der Linkspartei einräumen müssen, dass mehr als 30 Neonazis, gegen die Haftbefehle vorliegen, flüchtig sein. Offenbar wird nun endlich stärker gegen die Neonazis durchgegriffen.

Der Artikel wurde erstveröffentlicht auf Publikative.org