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Ausnahmezustand und NS-Verherrlichung bei Nazi-Aufmarsch in Göppingen

 

Rund 150 Neonazis marschierten am 6. Oktober durch Göppingen © Jonas Miller

Knapp 150 Neonazis marschierten am Samstag, den 6. Oktober, durch Göppingen in Baden-Württemberg. Die Stadt hatte erfolglos versucht, den Aufmarsch verbieten zu lassen, war aber dann vor dem Verwaltungsgericht Mannheim mit ihrer Verbotsverfügung gescheitert.

Für den Schutz der extrem rechten Demonstrationsteilnehmer waren nach Polizeiangaben 1700 Beamte im Einsatz. Neben mehreren Hundertschaften der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) waren auch Hundestaffeln, drei Hubschrauber und berittene Polizei eingesetzt.

Die Veranstaltungsleitung um Sebastian B. (Neustadt) hatte ursprünglich mit 400 Teilnehmern gerechnet, musste dann aber im Laufe des Vormittags die Zahl ihrer Anhängerschaft auf 250 nach unten korrigieren. Obwohl knapp 30 Kameradschaften für die Demonstration mobilisiert haben -darunter auch der Kameradschaftsdachverband Freies Netz Süd (FNS) – fanden sich nur 150 Neonazis am Bahnhof in Göppingen ein.

Um kurz vor 15 Uhr setzte sich der ultrarechte Demonstrationszug unter lauten Pfiffen und Rufen der Gegendemonstranten in Bewegung. Über 2000 Antifaschisten waren angereist um den Aufmarsch der Rechten nicht ungestört zu lassen.

Als Redner angekündigt wurden die bekannten Neonazis Matthias Fischer (Freies Netz Süd/Fürth), Daniel Weigl (Freies Netz Süd/Wackersdorf), Benjamin Hermann Hennes (Kreisvorsitzender NPD Bodensee-Konstanz, Freie Kameradschaft Hegau-Bodensee), Philippe Eglin, von der „Partei National Orientierter Schweizer“ (PNOS)-Sektion Basel und weitere Neonazi- Aktivisten aus Thüringen und Dortmund. Zwei stechen besonders aus der Rednerliste heraus: Fischer, der erst letztes Jahr wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde, hatte Opfer der Konzentrationslager aufs tiefste Verhöhnt. Und Eglin, der auf der Internetseite der PNOS-Basel schrieb: „Genauso wie andere Lügen über Deutschland in der Zeit von 33-45 ist auch das Tagebuch der Anne Frank eine geschichtliche Lüge“ Dafür wurde er wegen „Rassendiskriminierung“ verurteilt.

So war es auch kaum verwunderlich, dass neben den üblichen Neonaziparolen auch einige volksverhetzenden Inhalt hatten. Einige riefen „Ein Hammer, ein Stein, ins Arbeitslager rein“, worauf ein Neonazi lautstark „nach Auschwitz“ ergänzte. Ebenso wurde „Damals wie heute, Hitlerleute“ und “Ein Baum ein Strick ein Judengenick“ gerufen. Auch bekennende Parolen wie „Süddeutschland, Naziland“ und „Es gibt ein Recht auf Nazipropaganda“ wurden skandiert.

Auch ein Redner drückte seinen Antisemitismus versteckt aus: „Der Völkerstreit und der Hass unter den Völkern wird gelenkt von ganz bestimmten Interessenten: Es ist eine kleine, nutzlose, internationale Clique, die die Völker gegeneinander hetzt“.

Die Neonazis, die ihre Versammlung bis 16.30 Uhr angemeldet haben, beendeten ihre Demonstration plötzlich und unerwartet mitten auf der Strecke. Die Polizei teilte den Neonazis daraufhin mit, dass sie in Schutzhaft genommen werden. Obwohl dieses Vorgehen Versammlungstechnisch nicht möglich ist, entschieden sich die Neonazis um und setzten ihre Demonstration fort. Auf der Abschlusskundgebung begannen Neonazis anwesende Journalisten einzuschüchtern und anzugreifen. Auch eine Flasche wurde nach einer Medienvertreterin geworfen. Die Abschlusskundgebung beendeten die Nazis erst um kurz nach 17 Uhr.

Wie die Polizei mitteilte, wurden etliche Gegendemonstranten festgenommen. Antifaschisten berichteten von einem unverhältnismäßigen Polizeieinsatz.

Die Polizei ermittelt jetzt auch wegen eines Kabelschadens an der Bahnlinie Stuttgart-Ulm, wegen dem der Zugverkehr für eine Dreiviertelstunde eingestellt werden musste. Dieser soll möglicherweise vorsätzlich verursacht worden sein, da viele Neonazis auf dieser Bahnstrecke zu ihrem Aufmarsch angereist waren.

Alle Fotos: © Jonas Miller/ZEIT ONLINE