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Ein Jahr nach der NSU-Selbstenttarnungen: Es wurden bislang kaum Lehren gezogen

 

Die ausgebrannte Wohnung der NSU-Terroristen in Zwickau © Jan Woitas/dpa

Ein Jahr ist es mittlerweile her, dass sich der rechtsterroristische NSU selbst enttarnt hat. Geändert hat sich seither im Umgang mit Neonazis aber wenig. Ein Blick auf die Zeit nach der NSU-Selbstenttarnung.

NSU: Eine erschreckende Bilanz

14 Banküberfälle, 2 Sprengstoffattentate und 10 Mordanschläge – das ist die erschreckende Bilanz einer rechtsextremen Terrorzelle, die sich selbst den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gegeben hat. Über Jahre hinweg konnten dessen Mitglieder – die Thüringer Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe – vermutlich mit Hilfe eines breiten Unterstützernetzwerks mordend durch das Land ziehen, ohne das ihnen die Sicherheitsbehörden auch nur annähernd auf die Spur gekommen wären. Mehr durch Zufall waren die Neonazis im November 2011 aufgeflogen, nachdem sie in Eisenach eine Bank überfallen und sich anschließend mit ihrem Wohnwagen in einem Wohngebiet verschanzt hatten. Als die Polizei sie ausgemacht hatte, feuerten die Rechtsterroristen Böhnhardt und Mundlos zunächst aus dem Fahrzeug heraus auf die Beamten, ehe sich die beiden selbst töteten. Zschäpe war zu diesem Zeitpunkt in der gemeinsamen Wohnung in Zwickau, die sie wenig später in Brand steckte. Unmittelbar darauf ergriff sie die Flucht, verschickte unzählige Bekennervideos des Trios – und fuhr dann mit der Bahn durch Deutschland, um sich wenig später bei einer Polizeidienststelle in Jena mit den Worten „Ich bin die, die sie suchen“, zu stellen.

Damit war eine bislang unbekannte rechtsterroristische Zelle nach über 13 Jahren im Untergrund enttarnt worden. Dass schon bald darauf das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat nachhaltig erschüttert werden würde, hatte zu diesem Zeitpunkt noch niemand geahnt. Doch schnell zeigte sich ein Versagen der Sicherheitsbehörden, das selbst mit dem Wort „epochal“ noch verharmlost wird. Kurz nach dem Auffliegen des Trios vernichtete der Verfassungsschutz relevante Akten, die Polizei hatte ihre Ermittlungen über Jahre hinweg auf rassistische Stereotype gestützt – und eine gewisse Blindheit auf dem rechten Auge war schon bald nicht mehr zu leugnen. Hinzu kommt die aktive – oder aber zumindest die passive – Behinderung der parlamentarischen Aufklärung von vier Untersuchungsausschüssen durch den Verfassungsschutz, der auch nicht vernichtete Akten gerne mal unter den Teppich kehrt. Und als ob all das nicht schon genug wäre, tingeln auch noch Regierungsbeamte an, die zwar über die Mordserie ehrlich entsetzt sind, aber dennoch der Auffassung sind, dass eigentlich nichts falsch gemacht worden sei.

Die Rolle der Politik nach der NSU-Enttarnung?

Und die Politik, wie hat die sich verhalten? Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bei einem Staatsakt für die NSU-Opfer große Worte gesprochen und angekündigt, „alles zu tun, um die Morde restlos aufzuklären“. Für diese Aussage hatte Merkel damals durchaus mediales Lob bekommen – nicht zu unrecht, denn deutliche Worte waren lange ausgeblieben. So erfreulich diese Ankündigung aber auch gewesen ist, letzten Endes war es nur ein leeres Versprechen. Von einer „restlosen Aufklärung“ ist bis heute nämlich ebenso wenig etwas zu sehen wie von einer effektiven Bekämpfung des Rechtsextremismus.

Denn geschehen ist bis heute de facto nichts. Anstatt endlich zivilgesellschaftliche Initiativen umfassend im Kampf gegen Rechtsextremismus zu unterstützen, will man vielmehr die Befugnisse der Sicherheitsbehörden aufstocken. Anstatt selbst endlich einmal Gesicht zu zeigen, versteckt man sich hinter der Forderung nach einem NPD-Verbot, das zwar durchaus zu begrüßen wäre, den NSU aber wohl kaum hätte verhindern können, zumal die Rechtsterroristen aus dem Umfeld militanter Kameradschaften stammten. Und anstatt endlich zuzugeben, dass die Sicherheitsbehörden versagt haben, tritt Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mit wirren Floskeln bei Günther Jauch auf, um den Verfassungsschutz und dessen internationale Qualifikationen in den Himmel zu loben. Und der in der Gesellschaft verwurzelte Rassismus ist in den Reihen der Regierungsparteien ohnehin kein Thema – aber wie sollte er auch, immerhin würde sich dann zeigen, dass dort selbst der ein oder andere Rassist zu Hause ist. Denn, wer war das noch gleich, der mit pauschalisierenden und hetzerischen Parolen Stimmung gegen Asylbewerber gemacht hat? Richtig, der oben erwähnter Bundesinnenminister.

Bisherige Maßnahmen sind nicht ausreichend

Und auch die Maßnahmen, die bislang tatsächlich umgesetzt wurden, sind mehr oder minder eine Luftnummer. Friedrichs Rechtsextremismusdatei etwa, die er selbst gerne als sagenumwobene Wunderwaffe anpreist, ist ein solches Beispiel. An sich ist es natürlich eine gute Idee, Informationen über gewaltbezogene Neonazis in einer Verbunddatei zu speichern, doch es gibt hier zwei ganz entscheidende Denkfehler. Richtig ist, dass man damit die Täter hätte ausfindig machen können. Das ist allerdings nur faktisch richtig, denn man hat ja nicht einmal nach Neonazis gesucht, sondern die Opfer wie Killer im Bereich der organisierten Kriminalität verortet. Wie hätte die Datenbank also im Falle des NSU helfen sollen? Zudem setzt diese Datei voraus, dass Rechtsextremisten bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Was ist aber, wenn Neonazis in den Untergrund gehen, die nie zuvor juristisch aufgefallen sind – oder aber Neonazis, die bereits durch Gewalttätigkeiten in Erscheinung getreten sind, von den Opfern aber aus Angst dafür nicht angezeigt wurden? Das Problem war nämlich nicht etwa, dass man Neonazis erfolglos gesucht hätte, sondern das man sie praktisch überhaupt nicht gesucht hat. Lediglich in Bayern gab es diesbezügliche Nachfragen und ein entsprechendes Gutachten mit demselben Verdacht, was aber scheinbar kein Anlass für tiefer gehende Ermittlungen gewesen ist.

Alltäglicher rechter Terror wird verharmlost

Außerdem wird der alltägliche rechte Terror in Form von neonazistischen Gewalttaten, der in vielen Städten immer noch vorherrschend ist, bisweilen gänzlich ignoriert. Gerade in Thüringen gibt es derzeit regelmäßig rechtsextreme Übergriffe, die von der Polizei oftmals heruntergespielt werden. Besonders deutlich wurde das zuletzt in er Landeshauptstadt Erfurt. Obwohl die Hintergründe oftmals eindeutig waren, neigt die Polizei tendenziell eher dazu, die „Straßenkriminalität“ anstelle der Rubrik „politisch motivierte Kriminalität“ zu bemühen. Eine Strategie, die auch in vielen anderen Städten Anwendung findet. Schnell werden aus rechtsextremen Übergriffen so „Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Jugendgruppen“ gemacht – und den Opfern nicht selten auch eine Mitschuld an der Tat der Neonazis gegeben. Ist der Betroffene beispielsweise Punk, heißt es häufig: „Wieso müssen Sie sich denn so auffällig kleiden, so provozieren Sie doch die Rechten?“

Eine Lehre aus dem NSU wäre gewesen, anders mit Opfern rechter Gewalt umzugehen. Doch bei den zuständigen Behörden ist das offensichtlich nicht angekommen. Ebenso wenig scheint es bei vielen Städten angekommen zu sein, wie wichtig zivilgesellschaftliches Engagement gegen Neonazis ist. Vielerorts setzt man nämlich auf die Strategie, rechtsextreme Veranstaltungen gänzlich zu verschweigen, um „Eskalation“ zu vermeiden und den Nazis jedwede Öffentlichkeit zu verwehren, so die Argumentation. Wenngleich hinlänglich bekannt ist, dass diese Strategie noch nirgendwo aufgegangen ist, scheinen sich gerade in der letzten Zeit viele bayerische Kommunen damit anzufreunden. Die Gefahr, dass sich Neonazis in dem betreffenden Ort plötzlich wohl fühlen und fortan regelmäßig dort aufmarschieren wollen, wird von den Verantwortlichen einfach billigend in Kauf genommen. Und derartiges ist Alltag – in vielen Orten.

Fazit

Zusammenfassend ergibt sich so ein durch und durch düsteres Bild: Engagement bleibt nach wie vor in vielen Orten aus oder wird durch den Staat behindert (Stichwort: Extremismusklausel), rechtsextreme Gewalt wird oft verharmlost – sowohl von der Zivilgesellschaft als auch von den Behörden – und nach dem NSU scheinen viele rechten Terror zukünftig für ganz und gar unmöglich zu halten. Gerade bei den Behörden zeigt sich zudem eine Gleichgültigkeit oder aber eine vollkommene Ignoranz gegenüber rechtsextremen Taten und Erscheinungen. Dass dies bereits vor dem NSU so war, ist schlimm genug. Dass sich dies aber auch nach der NSU-Selbstenttarnung fortsetzt, ist schlichtweg ein Desaster. Neonazismus ist eine immense Gefahr – insbesondere für all diejenigen, die nicht in das Weltbild der Rechtsextremisten passen. Dieser Fakt muss endlich anerkannt werden – und dementsprechende Handlungen müssen folgen.

Und die ganzen Maßnahmen, die die Politik bisher eingeleitet hat, sind vielleicht ein Anfang, mehr aber auch nicht. Darauf darf man sich keineswegs ausruhen, es müssen weitere Schritte folgen. Insbesondere eine Sensibilisierung der Polizei bezüglich rechtsextremer Taten wäre dringend erforderlich. Noch viel wichtiger ist aber etwas anderes: das Vertrauen in die Leute, die tagein, tagaus für Demokratie kämpfen. Denn wie sagte schon Peter Ohlendorf, Autor und Regisseur des Films „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“: „Die Zivilgesellschaft muss die Demokratie selbst in die Hand nehmen und sie jeden Tag aufs neue Verteidigen.“ Und eben die Zivilgesellschaft ist auch gefragt – und muss handeln, denn: „Es gibt jetzt keine Ausreden mehr“, schrieb kürzlich Miriam Lau auf ZEIT ONLINE im Bezug auf Engagement gegen Neonazis – und brachte es damit auf den Punkt!