Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Milde Urteile nach brutalen Naziangriffen

 

TddZ Hamburg
Die Neonazi-Szene in Barsinghausen ist für regelmäßige Gewalttaten bekannt © monitorex

Unter verstärkten Sicherheitsvorkehrungen fand am heutigen Mittwoch eine Verhandlung vor dem Amtsgericht Wennigsen (Deister) gegen mehrere Personen der rechten Szene in Barsinghausen (Region Hannnover) statt. Angeklagt waren sechs Personen, denen gleich eine Vielzahl von Straftaten vorgeworfen wurde. Die Palette der Anklagen reichte von Sachbeschädigungen über Beleidigungen und Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen bis hin zu gefährlicher Körperverletzung. So griff eine Gruppe Neonazis im Mai 2011 einen PKW einer Gruppe von politischen Gegnern an. Und in einem weiteren Fall wurde im November 2010 ein Mitarbeiter der Bahnsicherheit von einer Gruppe erst beleidigt und dann von einem Neonazi auf die Gleise vor eine wartende S-Bahn geschubst.

Ein Gastbeitrag von monitorex

Der zu erwartende langwierige Prozess mit insgesamt 18 Zeug_innen und vier Nebenklägern ging dann jedoch sehr schnell über die Bühne, da man sich vor Beginn der Hauptverhandlung in einem Rechtsgespräch einigte. Die Folge der Verständigung: drei Angeklagte mit weniger schweren Straftaten kamen ungeschoren davon, ihre Verfahren wurden eingestellt. Die verbleibenden drei Angeklagten mussten sich nur noch für zwei unterschiedliche Angriffe verantworten, auch bei ihnen wurden geringfügigere Anklagepunkte fallen gelassen. Dafür sicherten die drei zu, die verbleibenden Vorwürfe vollumfassend zu gestehen. Alle drei sind dem Gericht keine Unbekannten und alle drei sind in der Vergangenheit als Aktivisten der rechten Szene von Barsinghausen in Erscheinung getreten. Aufgrund ihrer Geständnisse bekamen die jungen Männer vergleichsweise geringe Strafen, nach Auffassung der Nebenklagevertretung und der Opfer der Rechten zu milde Strafen, da viele Delikte fallen gelassen wurden.

Mildes Strafmaß

Kevin S. wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Monaten auf drei Jahre Bewährung verurteilt. Er gestand, aus einer Gruppe heraus einen PKW angegriffen zu haben, dessen Fahrzeuginsassen den lokalen Neonazis als Linke bekannt sind. Die Gruppe der Rechten ging, nachdem sie hinter dem Bahnhof auf ihre Opfer stießen, sofort auf den PKW los. Sie umringten ihn, bedrohten und beleidigten die Personen im Auto und beschädigten den Wagen mit Tritten und Schlägen. Dabei soll die Gruppe der Angreifer unter anderem gerufen haben „Wir machen euch Linke kalt!“ Der Angriff gipfelte in einem Flaschenwurf, der so stark war, dass eine Bierflasche das Fenster durchschlug und dabei eine Person im Wagen am Jochbein verletzte und weitere Mitfahrer Schnittverletzungen erlitten. Dementsprechend kamen zum Strafmaß auch noch Schmerzensgeldzahlungen hinzu.

Naziparole Barsinghausen
Alltag in Barsinghausen – Naziaprolen an einer Hauswand © monitorex

Zwei weitere Neonazis wurden nach Jugendstrafrecht verurteilt. Auch sie gestanden und räumten die Vorwürfe der Anklage ein. Demnach hatte der Angeklagte R. zunächst in einer S-Bahn nach Barsinghausen aus einer Gruppe heraus die Schaffnerin aufs Übelste sexistisch beleidigt und in der Folge zur Hilfe eilende Mitarbeiter des Bahnsicherheitsdienstes ebenfalls angepöbelt und einen der Mitarbeiter versucht anzugehen. Die Situation eskalierte dann auf dem Bahnsteig im Bahnhof von Barsinghausen, nachdem die rechte Gruppe aus der S-Bahn gedrängt wurde. Hier griff der dritte verbleibende Angeklagte F. einen der beiden Wachmänner an, indem er ihn mit voller Wucht vom Bahnsteig vor die wartende S-Bahn auf die Gleise schubste. Der S-Bahnfahrer bekam den Tumult auf dem Bahnsteig glücklicherweise mit, so dass der Zug noch nicht wieder anfuhr. Der ins Gleisbett gestürzte Bahnmitarbeiter verletzte sich so stark am Knie, dass er zwei Wochen dienstunfähig war. Die Folge für die beiden Täter sind 500 Euro Geldstrafe für die Beleidigungen für den Angeklagten R. und Freizeitarrest für F. für den gefährlichen Angriff auf den Wachmann.

Jung, brutal und skrupellos

Angriffe und Bedrohungen von Neonazis in der S-Bahn und im Bahnhofsumfeld sind in Barsinghausen nach Schilderungen von Betroffenen keine Seltenheit. Alternative und linke Jugendliche berichten immer wieder von Drohungen, so dass viele die S-Bahn zu bestimmten Zeiten meiden oder nur noch mit mehreren Personen Bahn fahren. Verängstigte Fahrgäste und in die Scheiben der S-Bahnen eingeritzte Nazisymbole zeugen von der Drohkulisse, die die lokale rechte Szene dort aufbaut. Eine weitere ursprünglich angeklagte Straftat wurde im Zuge der Verfahrensstraffung des heutigen Prozesses nicht mehr mitverhandelt: Einer der angeklagten Neonazis soll seine Freunde vor dem Bahnhof unter den Augen der Polizei mit „Heil Hitler“ gegrüßt haben. Genau dieses politische Umfeld steht auch in Verdacht, für einen weiteren Angriff verantwortlich zu sein. Im Februar letzten Jahres wurden zwei Frauen aus Ruanda von einer Gruppe Neonazis in der S-Bahn zunächst angepöbelt und dann mit Reizgas angegriffen. Die Täter wurden im Bahnhof Barsinghausen von der Polizei gestellt, hier steht ein Gerichtsprozess noch aus. In einem weiteren Ermittlungsverfahren wird einer der Neonazis aus Barsinghausen beschuldigt, politische Gegner mit einem Messer angegriffen zu haben.