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„Ausgestreckte Hand“ für Neonazis in Berlin

 

Ein Großaufgebot der Polizei ermöglichte in Berlin der NPD das Marschieren © Theo Schneider
Ein Großaufgebot der Polizei ermöglichte in Berlin der NPD das Marschieren © Theo Schneider

Viel Kritik nach Einsatz: Mit einem enormen Personalaufwand, Pfefferspray und Wasserwerfer setzt die Polizei den Aufmarsch von 450 NPD-Anhängern in Berlin gegen tausende Gegendemonstranten durch. Proteste in Hör- und Sichtweite wurden größtenteils unterbunden.

Im Vorfeld betonte der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt, die Strategie der „ausgestreckten Hand“, sprich ein kommunikatives Vorgehen, werde auch am diesjährigen 1. Mai angewendet. Alle Gegendemonstrationen zum NPD-Aufmarsch in Berlin-Schöneweide werden in Hör- und Sichtweite zugelassen, hieß es: „Wir sorgen dafür, die sie ihr Recht wahrnehmen können“, so Kandt. Letztendlich durften aber nicht einmal Mitglieder des Bundestages oder Abgeordnetenhaus Polizeisperren passieren. Ganz zu schweigen von den angemeldeten Gegendemonstrationen, die aufgrund massiver Polizeiabsperrungen lediglich Absperrgitter, quer gestellte Polizeifahrzeuge und Wasserwerfer zu Gesicht bekamen. Zeitweilig konnten die Teilnehmer auch nicht zu ihren angemeldeten Veranstaltungen. Sogar der Treptow-Köpenicker Bezirksbürgermeister Oliver Igel wurde am Kaisersteg daran gehindert, der zentralen Kundgebung am S-Bahnhof Schöneweide beizuwohnen. Allerdings sagte Igel später, dass dadurch die Rechten „am Ende an der menschenleeren Demonstrationsstrecke nur eine Geisterveranstaltung durchführen“ konnten.

Pressekonferenz mit Polizeipräsident Kandt und Innensenator Henkel: „Das ist nicht gut gelaufen“ © Theo Schneider
Pressekonferenz mit Polizeipräsident Kandt und Innensenator Henkel: „Das ist nicht gut gelaufen“ © Theo Schneider

Die Kritik trübte auf der gemeinsamen Pressekonferenz von Innensenator Henkel und dem Polizeipräsidenten die Erfolgsstimmung: „Das ist nicht gut gelaufen“, so Henkel. „Das müssen wir nacharbeiten“. Im Innenausschuss wird sich Henkel vermutlich weiteren Vorwürfen seiner Kollegen aus dem Abgeordnetenhaus stellen müssen. Die Opposition kündigte an, den Einsatz dort thematisieren zu wollen.

Insgesamt beteiligten sich mehrere tausend Menschen an den Protesten gegen den NPD-Aufmarsch. Besonders zu schaffen machte der Polizei eine Aktion von vier Aktivisten, die sich mittels einer Pyramidenkonstruktion auf der Brückenstraße festketteten. Wäre sie bewegt worden, hätte es den Angeketteten womöglich die Arme gebrochen. Ein Vorgehen das bisher vor allem im Wendland gegen Castor-Transporte Anwendung fand. Erst nach mehreren Stunden gelang es den Einsatzkräften, die Blockade mithilfe eines Krans aufzulösen. Einer der Blockierer sagte im taz-Interview, sie wollten deutlich machen, „dass die Polizei selbst mit einer überdimensionierten Absperrung nicht alle Blockadeversuche unterdrücken kann.“ Zu ihrem Pech waren an der Stelle Polizisten aus Niedersachsen eingesetzt, die solche Aktionsformen kannten. „Immerhin haben selbst die Profis fünf Stunden gebraucht“, sagte der Aktivist. Gegen sie wird jetzt wegen Nötigung ermittelt.

Mit den Armen in der Betonpyramide blockieren vier Aktivisten für Stunden die NPD-Route © Theo Schneider
Mit den Armen in der Betonpyramide blockieren vier Aktivisten für Stunden die NPD-Route © Theo Schneider

Das Blockadekonzept des breiten Bündnisses „1. Mai – Nazifrei“ ging aufgrund des martialischen Polizeiaufgebots nicht auf. Zu massiv waren die Absperrungen auf der winzigen Wegstrecke des rechten Aufmarsches. Dennoch hatten mehrere tausend Menschen versucht auf die Route zu gelangen. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer einsetzte. Der Sprecher des Bündnisses sagte: „Die Berliner Polizeiführung hat heute bewiesen, dass es ihnen wichtiger ist einigen hundert Nazis mit allen Mitteln den Weg frei zu prügeln als gelebte Demokratie auf den Straßen von Berlin-Schöneweide zuzulassen.“ Er spricht von „massiver Polizeigewalt“ und mehreren verletzten Gegendemonstranten.

Mittelfinger für die Neonazis: Trotz Polizeiabsperrungen gelangten Gegendemonstranten an die Aufmarschstrecke © Theo Schneider
Mittelfinger für die Neonazis: Trotz Polizeiabsperrungen gelangten Gegendemonstranten an die Aufmarschstrecke © Theo Schneider

Der Bezirkspolitiker Hans Erxleben, der seit Jahren in Schöneweide gegen Neonazis aktiv ist, sieht in dem Einsatz „ein hilfloses, überdimensioniertes Agieren der Polizei.“ Auch das Mitglied der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Hakan Tas kritisiert „ein martialisches und wenig kommunikatives Auftreten“ der Polizei und berichtet von unverhältnismäßigem Pfeffersprayeinsatz. Dem stellt Polizeipräsident Kandt gegenüber, dass dort 300 Gewaltbereite Polizeiabsperrungen überwunden hatten und Steine geworfen haben sollen. Andere hätten in dem Bereich Gegenstände auf die Straße verbracht. Zudem sei durch den Wasserwerfer „kein harter Strahl“ verspritzt worden.

Ein Brand in Johannisthal, dessen Rauchentwicklung am Vormitttag zeitweise den Zugverkehr zum Erliegen brachte, wurde laut Polizeipräsident Kandt vorsätzlich gelegt. Vermutlich sollte dies die Anreise der Neonazis behindern, die Ermittlungen dazu seien aber noch nicht abgeschlossen.

Vorsätzlich gelegt: Kilometerweit war die Rauchwolke eines Feuers zu sehen, die kurzzeitig den Zugverkehr unterbrochen hatte © Theo Schneider
Vorsätzlich gelegt: Kilometerweit war die Rauchwolke eines Feuers zu sehen, die kurzzeitig den Zugverkehr unterbrochen hatte © Theo Schneider

Bereits am Vorabend demonstrierten mehr als 3000 Menschen unter dem Motto „Gemeinsam gegen Nazis“ gegen die rechten Strukturen in Schöneweide. Zwar kam es zu Rangeleien und rund 20 Festnahmen, größere Zwischenfälle gab es jedoch nicht. Mit einem großen Abschlusskonzert und vier Bands endete die Walpurgisnacht in Schöneweide bei ausgelassener Stimmung. Diese rührte vermutlich auch aus der Tatsache, dass einigen rechten Treffpunkten mittlerweile das Aus droht. Der Szenekneipe „Zum Henker“ wurde letzten Monat gekündigt, der „Soziale Buchladen“ eines NPD-Mannes ist sogar schon ausgezogen. Die rechte Szene ließ sich an dem Abend nicht blicken, obwohl explizite Aufrufe von der Berliner JN verbreitet wurden:

Aufruf der JN Berlin: "Keine bullen! Die jungs mögen es, wenn man ihnen zuschaut." © Facebook
Aufruf der JN Berlin: „Keine bullen! Die jungs mögen es, wenn man ihnen zuschaut.“ © Facebook

Zufriedener geben sich die Neonazis  mit dem 1. Mai, denn sie bekamen die „ausgestreckte Hand“ der Polizei zu spüren. Durchgängig lief der Aufmarsch ohne sonst übliches seitliches Polizeispalier. Die Rechtsextremen nutzten diesen Freiraum immer wieder, um Journalisten zu attackieren. An dem Aufmarsch nahmen mehrheitlich Neonazis aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Berlin sowie Brandenburg teil. Demonstrativ stand Parteichef Holger Apfel neben seinem parteiinternen Konkurrenten und Vorgänger Udo Voigt zusammen am Fronttransparent. Sie wollten Einigkeit signalisieren, doch die kriselnde Partei konnte ihre tiefe Zerstrittenheit nicht verbergen: Als Apfel das Podium betrat, schallten ihm Buhrufe entgegen. Auch die „große Abschlusskundgebung“ mit angekündigten Rechts-Rock Bands fiel deutlich kleiner aus, als angekündigt: Die Mecklenburger Neonazigruppe „Wiege des Schicksals“ trat gar nicht erst auf. Lediglich „Brauni und Klampfe“ beschallten das gelangweilte rechte Publikum, wovon sich der Großteil vorzeitig auf den Nachhausweg machte. Zwei Teilnehmer des NPD-Aufzuges wurden festgenommen, unter anderem wegen der Verwendung von verfassungswidrigen Kennzeichen.

Ein Teilnehmer in Thor Steinar Outfit mit NPD-Fahne © Theo Schneider
Ein Teilnehmer in Thor Steinar Outfit mit NPD-Fahne © Theo Schneider