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„Wir wollen den Aufmarsch endgültig verhindern“

 

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Seit 2006 marschieren jedes Jahr im August hunderte Neonazis durch das kleine niedersächsische Örtchen Bad Nenndorf. Sie wollen so an „alliierte Kriegsverbrechen“ erinnern und um die „deutschen Opfer“ trauern. Jahrelang war dieser „Trauermarsch“ einer der letzten großen rechten Aufmärsche in Deutschland. Doch dank der zunehmenden Gegenwehr in Form von bunten Gegenkundgebungen und friedlichen Sitzblockaden dürften die Nazis bald wirklich Grund zum Trauern haben.

Bad Nenndorf ist ein Musterbeispiel dafür, dass Wegschauen, Extremismustheorie und die Kriminalisierung antifaschistischer Initiativen nur den Nazis hilft. Diese hatten in Bad Nenndorf bereits richtig Fuß gefasst, ihr „Trauermarsch“ war mit bis zu 1000 Teilnehmern der größte in Norddeutschland. Mit allzu viel Gegenwehr mussten sie anfangs nicht rechnen, viele Menschen vor Ort hegten die Hoffnung, dass der braune Spuk schon von alleine aufhöre, wenn man ihn nur nicht beachte. So etablierten die Neonazis ihre Demonstration zum örtlichen Wincklerbad, welches in der Nachkriegszeit vom britischen Geheimdienst als Internierungslager genutzt worden war. In diesem Lager war es auch zu Fällen von Folter gekommen, woraufhin das Lager nach Bekanntwerden der Misshandlungen geschlossen wurde und sich das Personal vor Gericht verantworten musste. Für die Nazis ist dies eine willkommene Gelegenheit, die Geschichte zu verdrehen und einzelne Verfehlungen der Alliierten mit dem Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten und der Shoa gleichzusetzen.

Diesem geschichtsrevisionistischen Aufmarsch wollen sich auch in diesem Jahr wieder zahlreiche engagierte Menschen entgegenstellen bzw. -setzen. Denn neben dem Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“, welches bisher durch eine große Gegenkundgebung und Partys am Rande der Aufmarschstrecke den Nazis das inszenierte Trauern erschwerte, will die Initiative „Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf“ erreichen, dass die Nazis gar nicht erst loslaufen können. 2012 hatte dies bereits fast geklappt, eine Sitzblockade mit 400 Teilnehmern am Bahnhof hatte die Anreise der Neonazis stark erschwert, sodass deren Aufmarsch nur mit sehr großer Verzögerung beginnen konnte und fast gar nicht stattgefunden hätte. „Dieses Jahr wollen wir den rechten Aufmarsch endgültig verhindern“, erklärt Maren Becker von der Initiative gegenüber Störungsmelder.

21464_549401495120647_22238003_nDie Chancen dafür stehen gut und die Unterstützung für die Sitzblockaden wächst. Zu den prominentesten Befürwortern zählt beispielsweise Wolfgang Thierese, Vizepräsident des Bundestages. Ebenso unterstützt der grüne Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler die Blockaden: „Ich engagiere mich schon lange gegen den Naziaufmarsch in Bad Nenndorf. Der Widerstand gegen die widerwärtige Geschichtsklitterung der Nazis ist dabei in den letzten Jahren stetig gewachsen. Das ist toll und 2013 wollen wir endlich den Aufmarsch komplett blockieren, friedlich und entschlossen.“ Auch Michael Höntsch, niedersächsischer Landtagsabgeordneter der SPD, findet Sitzblockaden völlig legitim und sagt zu seiner Motivation: „Meine Familie erreichen schlimme Mails. Dort meint man unter anderem, man wüsste, in welche Kita meine Enkel gehen. Und ja, es ist eine jüdische Kita. Und ich soll Angst haben, Nazis zu blockieren? Ich bin verdammt nochmal dazu verpflichtet“, so Höntsch gegenüber Störungsmelder.

Anfangs sah es für die Initiative dagegen nicht so gut aus und es gab reichlich Gegenwind. Nach der Gründung im Jahr 2011 folgte im Mai 2012 eine große Aktivierungskonferenz, zu der auch zahlreiche Vertreter von Parteien und Gewerkschaften kamen, auf welcher eine Resolution zu den Blockaden verabschiedet wurde. „Wir haben klar gemacht, dass von uns keinerlei Eskalation ausgehen wird“, sagt Pressesprecherin Maren Becker. Das sahen Polizei, Verfassungsschutz und Medien jedoch anders: Im Vorfeld zum „Trauermarsch“ 2012 wurde eine überzogene Drohkulisse aufgebaut und es wurde vor „linksextremen Gewalttätern“ gewarnt. Auch Teile der Medien stiegen in die Diskussion mit ein und behaupteten, die Blockaden würden den Gegenprotest der Bad Nenndorfer Bürger „spalten“ und gefährden.

Diese Drohkulisse bröckelt seit dem letzten Jahr, die prophezeite Eskalation blieb aus. Von derartigen Warnungen ist in diesem Jahr bisher noch nichts zu hören, die Akzeptanz für die Blockaden ist deutlich größer geworden. Auch die Formen des Gegenprotestes hätten sich wunderbar ergänzt, erklärt Becker, von einer „Spaltung“ könne keine Rede sein: „Das hat toll geklappt, erst mussten die Nazis kilometerweit durch die Hitze laufen, weil sie wegen der Blockaden nicht direkt nach Bad Nenndorf konnten, und dann mussten sie auch noch völlig entnervt an den Partys und den Gegendemonstranten vorbei“. Derzeit tourt man durch über ein Dutzend Städte, um mit Aufklärungs- und Mobilisierungsveranstaltungen möglichst viele Leute zu erreichen. „Wenn sich am 3. August genug Menschen an den Sitzblockaden beteiligen, dann war’s das für die Nazis“, ist man sich bei der Initiative sicher.

Gerade für den Landkreis Schaumburg, in dem Bad Nenndorf liegt, wäre das ein wichtiges Signal. Die Gegend gilt als eine Hochburg der gewaltbereiten rechten Szene, es gab bereits zahlreiche brutale Übergriffe auf Andersdenkende durch Neonazis. So wurde 2012 auch eine Nazi-Gegnerin aus Bad Nenndorf attackiert, ein schwerer Stein flog durch das Schlafzimmerfenster der Betroffenen. Währenddessen spricht die Polizei oftmals von „rivalisierenden Jugendbanden“ und bagatellisiert die Nazi-Angriffe. Hinzu kommt noch der örtliche Kult um die Nazi-Dichterin Agnes Miegel, mit dem viele nicht brechen wollen. Obwohl Miegel eine glühende Anhängerin des Nationalsozialismus und Hitler war, weigerte man sich in Bad Nenndorf bisher, den nach ihr benannten Platz und das ihr gewidmete Denkmal zu entfernen.

Mehr antifaschistisches Engagement ist also dringend notwendig, so auch am 3. August: Ein Ende der Naziaufmärsche würde auch die rechte Szene vor Ort schwächen, solche Großaufmärsche sind schließlich regelrechte „Events“, die auch zur ideologischen Festigung und Vernetzung dienen. Zwar haben die Nazis ihren „Trauermarsch“ bis 2030 angemeldet. Doch ob ihre Motivation die diesjährigen Gegenproteste und Blockaden übersteht, wird sich zeigen.