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Erneuter Neonaziaufmarsch in Remagen

 

„Eine Million Tote rufen zur Tat“? - Neonazis und ihre eigene Geschichtsschreibung beim „Trauermarsch“ in Remagen im Jahr 2012. © Fabian Boist
Neonazis und ihre eigene Geschichtsschreibung beim „Trauermarsch“
in Remagen 2012  © Philipp Reichert

Auch in diesem Jahr wollen Neonazis durch Remagen marschieren. Seit einigen Wochen mobilisieren sie für den 23. November ins nördliche Rheinland-Pfalz. Nachdem es in den vergangenen Jahren nur vereinzelt zu Protesten gekommen ist, macht dieses Jahr ein neu gegründetes antifaschistisches Bündnis gegen den Aufmarsch mobil.

„Trauern“ an den „Rheinwiesenlagern“

Seit 2009 organisieren Neonazis alljährlich einen „Trauermarsch“ in Remagen. Die Organisatoren beziehen sich auf die sog. „Rheinwiesenlager“, ehemalige Kriegsgefangenenlager der Alliierten zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Rund 20 solcher Gefangenenlager existierten entlang des Rheins, eins von ihnen zwischen Remagen und Niederbreisig. Seriösen Schätzungen zufolge sind in den „Rheinwiesenlagern“ zwischen 5000 und 10 000 deutsche Soldaten aufgrund von Krankheiten, Versorgungsknappheit und der Folgen des Krieges ums Leben gekommen. Unter dem Motto „eine Million Tote rufen zur Tat“ versuchen Neonazis alljährlich, die Geschichte umzudeuten: Die Rolle von Tätern und Opfern wird verdreht, die Verbrechen des Nationalsozialismus werden relativiert.

Schnell entwickelte sich der Trauermarsch in Remagen zum größten Naziaufmarsch in Rheinland-Pfalz, an dem zeitweise mehr als 200 Neonazis teilnahmen. Anfangs stand das „Aktionsbüro Mittelrhein“ (ABMR) hinter der Organisation des „Trauermarsches“, bis dieses im März des vergangenen Jahres durch staatliche Behörden zerschlagen wurde. 26 Mitglieder und Unterstützer des „Aktionsbüros“ müssen sich seit mehr als einem Jahr vor dem Landgericht Koblenz wegen Bildung bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verantworten.

Im letzten Jahr sprangen daher Neonazis aus dem Umfeld der seit Pfingsten 2012 existenten Partei „Die Rechte“ für die inhaftierten Nazis des ABMR ein. Sie konnten rund 160 Neonazis nach Remagen mobilisieren, die überwiegend aus NRW anreisten. Die rheinland-pfälzische NPD beteiligte sich nicht an der Veranstaltung.

Seit einigen Wochen werben Neonazis für die diesjährige Veranstaltung. Wer in diesem Jahr hinter der Organisation steckt, ist derzeit noch unklar. Sowohl Kräfte der Partei „Die Rechte“ als auch ein neugegründeter Ableger der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) in der Region um Remagen kommen in Frage.

Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen“ ins Leben gerufen

Ein neu gegründetes antifaschistisches Bündnis hat in diesem Jahr Protest gegen den Aufmarsch angekündigt und die Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen“ ins Leben gerufen. Mit Aufklärungs- und Zeitzeugenveranstaltungen sowie der Herausgabe von Hintergrundartikeln suchen die Mitglieder des Bündnisses die inhaltliche Auseinandersetzung: „Für uns ist der Naziaufmarsch zwar Anlass der Kampagne, darüber hinaus geht es uns aber auch um eine Kritik an der lokalen wie gesamtdeutschen Erinnerungskultur. Nur durch einen wirkungsvollen Umgang mit der NS-Zeit können wir den Nazis ihren Nährboden nehmen“, so Oliver Merten, Pressesprecher des Bündnisses.

Gleichzeitig will das Bündnis den Protest gegen den Aufmarsch stärken. In den vergangenen Jahren nahmen die Aktivitäten gegen die Nazis mehr und mehr ab. Nur vereinzelt kam es im letzten Jahr zu Protest in Seh- und Hörweite des Aufzuges der Rechten. Dies soll sich dieses Jahr ändern: Als Abschluss der Kampagne ist am Tag des Aufmarsches eine eigene Demonstration geplant, um auf die Aktion der Rechten aufmerksam zu machen und eigene Inhalte in die Öffentlichkeit zu tragen.

Neben der antifaschistischen Demonstration organisiert das „Bündnis für Demokratie und Frieden“ wie in den Jahren zuvor eine „Meile der Demokratie“ mit Informationsständen und kreativem Programm. An diesem beteiligen sich diverse Parteien, Initiativen, Kirchengemeinden und Schulen. Auch die Stadt Remagen zeigt am 23. November Flagge: Ein Bürgerfest unter dem Motto „Remagen ist bunt – zusamme stonn, zusamme hale, zusamme levve“ ist geplant. Als Hauptrednerin der Veranstaltung ist Malu Dreyer angekündigt, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz.

Ausblick

Dass breiter Protest den Erfolg regelmäßig stattfindender Aufmärsche von Neonazis schwächen kann, wurde in den letzten Jahren mehrfach deutlich. So gelang es Antifaschisten immer wieder, Großveranstaltungen der Naziszene durch Blockaden und kreativen Protest stark zu stören oder gar zu verhindern. Dieser Umstand trug sicherlich dazu bei, dass die Teilnehmerzahlen bei vielen Aufmärschen teilweise stark zurückgingen und einige Großveranstaltungen der Rechten für die Szene an Bedeutung verloren haben. Auch die Veranstalter des Aufmarsches scheinen sich dessen bewusst zu sein. So heißt es in einem ersten Ankündigungstext, dass man aufgrund „überall zurückgehender Teilnehmerzahlen mit einer kleineren Beteiligung“ rechne.

Wie sich der breit angekündigte Protest auf die Mobilisierung der Nazis auswirkt, bleibt abzuwarten. Ebenso, ob es den Protestlern in Remagen gelingen wird, die Stimmung in Remagen zu kippen und den in den letzten Jahren nahezu ungestört stattfindenden Aufmarsch auf lange Sicht zu schwächen.