Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Flüchtlingsheime in Brandenburg: Vorsorge gegen rechte Umtriebe

 

60 Teilnehmer eines Putzspaziergangs entfernten rassistische Propaganda in Berlin-Hellersdorf © Florian Boillot
Neonazis mobilisieren seit Wochen in zahlreichen Regionen Deutschlands gegen Flüchtlingsunterkünfte © Florian Boillot

SPD und Linke wollen Konflikte um Asylheime mit Landesgeld entschärfen und in einzelen Kommunen Flüchtlinge in Wohnungen unterbringen – aus Sorge vor Neonazis und „gesellschaftlichen Sprengstoff“. Das Ziel: Bilder wie aus dem sächsischen Schneeberg vermeiden. Neonazis haben weitere Tarn-Initiativen gegründet und planen Aufmärsche.

Von Alexander Fröhlich und Thorsten Metzner

Potsdam – Brandenburg will die Ausgaben für Flüchtlinge deutlich aufstocken und für eine bessere Unterbringung sorgen – aus Furcht vor Rechtsextremisten und vor einer fremdenfeindlichen Stimmung im Land. Grund sind zahlreiche rechte Aktionen gegen Asylbewerberheime bis hin zu Brandanschlägen und Aufmärschen. Neonazis versuchten mehrfach mit zur Tarnung gegründeten Bürgerinitiativen Stimmung in der Bevölkerung zu machen, etwa in Gransee (Oberhavel) und Pätz (Dahme-Spreewald). Inzwischen sind weitere Tarn-Initiativen entstanden, etwa in Friesack (Havelland) und Bad Belzig (Potsdam-Mittelmark). Am morgigen Mittwochabend hat die NPD eine Kundgebung in Zepernick und am Samstag der Landesverband der Partei Die Rechte in Oderberg (beides Barnim) geplant.

SPD und Linke im Landtag vereinbarten am gestrigen Dienstag ein Gesamtpaket in Höhe von 12,7 Millionen Euro für die Flüchtlingsunterkünfte. SPD-Fraktionschef Klaus Ness begründete dies mit den Versuchen von Rechtsextremisten, die steigende Zahl an Asylsuchenden für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Rot-Rot will nun vorsorglich mögliche Konflikte rund um Asylbewerberheime im Vorfeld entschärften. Bilder wie aus dem sächsischen Schneeberg, wo mehr als 2 000 Neonazis und Einwohner mehrfach im Fackelschein gegen ein Asylheim aufmarschierten, sollen mit den zusätzlichen Geldern verhindert werden.

Mit fünf Millionen Euro aus dem Zusatzpaket will das Land nun Kommunen und Landkreise für bessere Unterkünfte unterstützten. „Wo es möglich ist, sollten es normale Wohnungen sein“, sagte Ness. „Wir tun das auch, weil wir aufpassen müssen, damit daraus kein gesellschaftlicher Sprengstoff wird“, sagte Ness. Allerdings soll das Geld nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, sondern „in spezifischen Situationen helfen“. Konkret soll das Landesgeld an besondere Konfliktherde in einzelnen Kommunen fließen. Ness sagte, dies sei ein „wichtiges Signal, dass wir die Landkreise und Kommunen nicht allein lassen, sondern eine Beitrag über die gesetzlichen Verpflichten hinaus leisten“.

Wie berichtet hatte es zwischen Landkreisen und Landesregierung ein Tauziehen um die Unterbringungen von Flüchtlingen gegeben. Die Kreise hatten nicht Schritt gehalten mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen und hinkten mit dem Ausbau von Asylunterkünften hinterher. Innen- und Sozialministerium hatten daher Fristen gesetzt und gedroht, Mehrkosten für in Landesregie bereitgestellte Unterkünfte in Rechnung zu stellen. „Es hat leider Irritationen gegeben“, sagte Ness. „Das hat sich mittlerweile geändert.“ Dass Kommunen und Landkreise nun wegen möglicher Landesgelder und örtlicher Konflikte extra bremsen könnten, wenn es um neue Unterkünfte geht, glaubt Ness nicht. „Das Geld ist keine Belohnung für Blockade, sondern eine notwendige Unterstützung.“

Weitere 7,7 Millionen Euro aus dem Landespaket sind für die zentrale Erstaufnahmestelle des Landes in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) vorgesehen, etwa für zusätzliche Wohncontainer, mehr Betreuungspersonal und eine menschenwürdige Unterbringung, sagte Linke-Fraktionschef Christian Görke. Die Einrichtung ist seit Monaten überbelegt. Im Mai war dort ein Asylbewerber erhängt gefunden worden. Wie die insgesamt 12,7 Millionen Euro im Landeshaushalt gedeckt werden, ist noch nicht vollends geklärt. Ein Teil der Summe wird von der Beamtenversorgung abgezweigt. Der Familienzuschlag, der den Ehezuschlag ersetzen soll und acht Millionen Euro kostet, wird um ein Jahr verschoben und kommt Anfang 2015.

Strittig ist, ob das Vorgehen von Rot-Rot aus Sorge vor rechten Umtrieben gegen Flüchtlingen nötig ist. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden zündet die rechte Propaganda gegen Ausländer in Brandenburg bislang kaum. Im Gegensatz zu Teilen von Sachsen droht nach Ansicht von Experten vorerst keine breite ausländerfeindliche Stimmung in der Bevölkerung mit Ausschreitungen gegen Asylbewerber und Flüchtlingsheime wie in den 1990er-Jahren. Zugleich warnten die Experten des Moses Mendelssohn Zentrusm (MMZ), des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sowie des Vereins Opferperspektive in einer PNN-Umfrage aber auch davor, die aktuellen Aktionen von Rechtsextremisten in Brandenburg gegen Flüchtlingsheime zu verharmlosen. Der Potsdamer MMZ-Politikwissenschaftler Christoph Kopke sagte, im Unterschied zu den früheren 1990er-Jahren, als Brandenburg von schweren Gewalttaten gegen Ausländer erschüttert worden war, gebe es inzwischen gerade auch in den schwach entwickelten Regionen Brandenburgs „Ansätze einer Zivilgesellschaft“, was auch ein Verdienst des landesweiten Bündnisses „Tolerantes Brandenburg“ sei. Es gebe aber auch keine breite Solidarisierung mit den Flüchtlingen. Die Stimmung im Land sei eine andere als damals und werde nicht wie in den 1990er-Jahren „von einer unverantwortlichen Asyldebatte der Politik angeheizt. Sollte die Politik hier wieder einsteigen, könnte es brenzlig werden“, sagte Kopke. „Noch scheint es gut zu laufen. Das kann auch umkippen und sich verändern.“