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Berlin: Drohungen, Überfremdungsängste und Bürgerkriegsszenarien

 

Rechte Gewalt in Berlin: Ein Neonazi stürm auf einen Fotografen zu und attackiert ihn mit einem Fahnenstock © A. Reiter
Rechte Gewalt in Berlin: Ein Neonazi stürm auf einen Fotografen zu und attackiert ihn mit einem Fahnenstock © A. Reiter

UPDATE 13:45 Uhr: Jetzt mit Fotostrecke vom Angriff auf den Journalisten

Trotz bundesweiter Mobilisierung erschienen nur 150 Neonazis zu einem Aufmarsch in Berlin-Schöneweide. Ein Journalist wurde von Neonazis attackiert und leicht verletzt – offenbar folgenlos.

Jedes Jahr organisieren Berliner Neonazis als Konkurrenz zur traditionellen Silvio Meier Demonstration der Antifa am gleichen Tag kleine Versammlungen, in der Hoffnung, dass Gegenproteste geringer ausfallen oder ganz ausbleiben. Die Themen wirken dabei beliebig: Letztes Jahr ging es gegen eine mögliche Unterkunft für Asylsuchende in Rudow auf die Straße. Dieses Mal war es ein Abschluss einer vermeintlichen „Kampagne“ für „nationale Freiräume“. Im Vordergrund steht vermutlich eher der Versuch die linke Szene zu stören.

Drohungen nach verprügeltem JN-Chef

Ungeplante Dynamik bekam das diesjährige Unterfangen aber durch eine Attacke auf den früheren Anführer der verbotenen „Kameradschaft Tor“ und aktuellen Berliner JN-Landesvorsitzenden, Björn Wild vorletzten Freitag. Unbekannte attackierten den Nazi-Kader und fügten ihm schwere Verletzungen zu: Schädelbasisbruch, mehrere Kopfplatzwunden, einen komplizierten Handbruch und eine zertrümmerte Kniescheibe. Die rechte Szene schäumte vor Wut, drohte offen mit Racheaktionen und begann ihr interne Mobilisierung für diese Jahr auszuweiten. Es sei jetzt „jeden seine Pflicht, der über den Fall bescheid weiß,  nächsten Samstag nach Berlin zukommen“, hieß es in einem Beitrag der intern aber bundesweit verbreitet wurde. Auf dem rechten Szeneportal Altermedia drohten Kommentatoren offen: „Namen und Adressen dürften doch bekannt sein. Feuer und Flamme für die Linkskriminellen!“

150 Neonazis zogen am Samstag durch Berlin-Schöneweide © Theo Schneider
150 Neonazis zogen am Samstag durch Berlin-Schöneweide © Theo Schneider

Erst drei Tage vor dem Aufmarsch wurde dann auch öffentlich mobilisiert. Unbeholfen wurde in dem Aufruf der Angriff auf Wild mit der Forderung nach „nationalen Freiräumen“ vermengt, in dem sonst vor allem rassistisch argumentiert wird. Der Versuch über die Attacke auf eine ihrer Führungsfiguren mit Schlagworten wie „Angriffe nehmen wir persönlich“ und „kämpferische Demo“ die szeneinterne Mobilisierung für eine sonst belanglose Demonstration anzukurbeln ist überdeutlich, hatte jedoch jenseits von virtuellen „Facebook-Likes“ kaum Resonanz auf der Straße. Das überrascht insoweit, da sogar der bekannte Neonazi-Querulant Christian Worch mit seiner Parteiabspaltung „Die Rechte“ über seinen Schatten sprang und zu einem Marsch der NPD-Jugend aufrief. Solidarität wird bei Rechtsextremen aber offenbar weiterhin nicht großgeschrieben: Nur 150 Neonazis aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erschienen am S-Bahnhof Schöneweide. Auch ein Anhänger der tschechischen DM (Dĕlnická mládež, „Arbeiterjugend“, Nachwuchsorganisation der rechtsextremen DSSS) war mit Fahne erschienen.

Ein Neonazis trägt während des Aufmarsches eine Fahne der tschechischen DM (Dĕlnická mládež) © Theo Schneider
Ein Neonazis trägt während des Aufmarsches eine Fahne der tschechischen DM (Dĕlnická mládež) © Theo Schneider

Solidarität mit griechischer Chrysi Avgi

Während NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke die altbekannten Floskeln von „Überfremdung“, „kriminelle Ausländer“ und „Asylantenflut“ abhandelte, zeichneten Redner wie der JN-Funktionär aus Brandenburg Pierre Dornbrach Bürgerkriegsszenarien, als er Mordaktionen wie die vor wenigen Wochen in Griechenland an Mitgliedern der verbotenen „Goldenen Morgenröte“ (Chrysi Avgi, auch Golden Dawn) auch in Deutschland prophezeite. Dieser Vorfall war zudem Anlass für einige Teilnehmer mit Griechenland-Fahnen bzw. einer mit Parteilogo der griechischen Rechtsextremen und einem Gedenktransparent aufzulaufen. Zum Abschluss wurde die Hymne der verbotenen Partei gespielt, die vor allem durch zahlreiche gewalttätige Übergriffe auf Migranten in Griechenland bekannt wurde.

Neonazis fordern in Berlin "Solidarität mit Golden Dawn" © Theo Schneider
Neonazis fordern in Berlin „Solidarität mit Golden Dawn“ © Theo Schneider

Journalist attackiert

Trotz der zeitgleich stattfindenden Silvio Meier Demonstration mit 5500 Teilnehmern und kurzfristigem Bekanntwerden der Aufmarschpläne kamen immerhin 200 Gegendemonstranten nach Schöneweide bzw. 50 nach Rudow um den Neonazis Paroli zu bieten. Die Rechten mussten ansonsten mit weitestgehend menschenleeren Straßen vorlieb nehmen. Immer wieder versuchten Neonazis grinsend die Gegendemonstranten mit „Wo ist Silvio“-Rufen zu provozieren. Als einige jedoch mit „Wo ist Björn“-Sprüchen konterten, verzogen sich schlagartig die Gesichter der Rechten zu finsteren Mienen. Einer drohte: „Das werdet ihr bitter bezahlen.“

Vor den Augen der Polizei und doch folgenlos: Ein Neonazi schlägt einen Fotografen mit seiner Fahnenstange © Presseservice Rathenow
Vor den Augen der Polizei und doch folgenlos: Ein Neonazi schlägt einen Fotografen mit seiner Fahnenstange © Presseservice Rathenow

Es blieb jedoch nicht nur bei verbalen Gefechten: Zu Beginn wurde ein Journalist von einem Teilnehmer mit JN-Fahne durch einen Schlag auf den Kopf leicht verletzt. Polizisten sahen den Vorfall, ermahnten den Neonazi jedoch lediglich zur Mäßigung. Anzeige erstattete der Fotograf aus Angst vor rechten Racheaktionen bisher nicht. Ein Großaufgebot der Polizei schirmte die Neonazis ansonsten weitestgehend erfolgreich ab, so dass weitere Zwischenfälle ausblieben.

Die Bilderstrecke aus Sicht des betroffenen Fotografen zeigt den Vorfall deutlich: Der Neonazi stürmt mit seiner JN-Fahne aus dem Aufzug gezielt auf den Journalisten zu, holt mit dem Stock aus und schlägt zu. Nach der Attacke kann er ungestört in den Marsch zurückkehren, ein einzelner Bereitschaftspolizist spricht lediglich allgemein in die Menge und hebt beschwichtigend die Hand.