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Verschwörungstheorien und Antisemitismus im Namen des Friedens

 

Wenig los, dafür inhaltlich immer bizzarer - die Montagsmahnwache in Regensburg
Wenig los, dafür inhaltlich immer bizzarer – die Montagsmahnwache in Regensburg

Die neuen Montagsdemonstrationen waren inzwischen auch bei uns schon einige Male Thema. Immer wieder erreichen die Redaktionen der deutschen Leitmedien die Bitte, doch über die bundesweiten Mahnwachen zu berichten. Dem kommen wir heute mit einem Bericht über die Regensburger Montagsdemo gerne nach.

Warum ich gerade jetzt auf meiner ersten Montagsmahnwache war, hat auch eine Vorgeschichte: Schon seit geraumer Zeit gab es auch in Regensburg diese Mahnwachen für den Frieden; da die Uhren hier etwas anders ticken, fanden die Montagmahnwachen am Dienstag Abend statt. Begleitet wurde die Organisation dieser Veranstaltungen schon von Anfang an von einer Gruppe Menschen, die sich mit den Zielen der bundesweiten Mahnwachen befasst hatten und daher auch die Aktionen in Regensburg kritisch begleiteten. Ende Juli, so berichten diese, wurde auch bei der Dienstags-Montagsdemo eine Abstimmung initiiert, die eine mögliche Distanzierung von den Berliner Organisatoren um Lars Märholz abfragen wollte. Diese blieb aber, auch aufgrund manipulativer Gestaltung der Abstimmung, aus. Und so kam es am 11. August nun zur ersten „berlintreuen“ Montags-Friedensmahnwache in Regensburg.

Vage Inhalte und Nazi-Thesen

„Wie lange wollen wir das noch ansehen, was mit uns geschieht?“, war einer der ersten Sätze, die durch die Anlage gejagt wurden. Was genau das nun sein sollte war eine Frage, die auch in den kommenden zwei Stunden unbeantwortet blieb. Stattdessen: Philosophische Exkurse, weit ausholende Reden und dazwischen drin immer wieder die kleine Prise Verschwörungstheorien und jener neurechter Mystik, die die Mahnwachen in Verruf gebracht haben.

Man wolle keine Stationierung fremder Mächte im eigenen Land, stattdessen eine eigenständige deutsche Innen- und Außenpolitik. Da zuckt der durch Verschwörungstheorien geschulte Verstand zum ersten Mal zusammen. Doch vielleicht drücken sich die Veranstalter ja auch nur unglücklich aus. Aber kurze Zeit später ist schon die Rede von einem „System ohne Zins und Zinseszins“, einem, das nicht nur den Wenigen, sondern den Vielen diene. Jetzt ist die Zinskritik nicht nur einfach ökonomisch falsch, sondern die „Brechung der Zinsknechtschaft“ war eines der allervordersten Ziele des Nationalsozialismus; und seit dem angehenden 20. Jahrhundert war sie als Mythos vom „raffenden Kapital“ immer wieder Transportmittel für antisemitische Ideen unter dem Deckmantel der Kapitalismuskritik.

Der Zweite Weltkrieg als Verschwörung

Nach einem kurzen Proseminar über Kierkegaards Verantwortungsphilosophie wurde kommentarlos ein Gruß von der berlintreuen Montagsdemo aus Jena verlesen. Ein Weltenbrand solle alles zerstören, damit Neues wachsen kann, „weiß“ man dort. Das sei auch die Situation vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen. „Alle Gegebenheiten von damals sind zurückgekehrt“, heißt es in dem Text aus Jena. Der Dritte Weltkrieg, der sei in den Köpfen „von Menschen mit viel Macht bereits beschlossen“. So sei das also auch vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Dass an diesem schrecklichen Desaster auch das Machtstreben eines aggressiven deutschen Nationalismus und die mörderische Phantasmorgie eines Führers, der seine Ziele eben nicht nur im Kopf sondern auch ganz öffentlich ausbreitete, beteiligt gewesen sein hätte können, darauf wird kein Gedanke verschwendet.

In einem neuen, ganz selbst erdachten, Redebeitrag wurde schließlich auch das Thema „Zensur“ und „political correctness“ erörtert, das heute auf keiner Mahnwache und keinem Neuschwabenland-Stammtisch mehr fehlen darf. Auch der Redner hätte aus Selbstzensur wegen political correctness früher die Schere im Kopf angesetzt: „trotz gesetzlich legitimierter Meinungsfreiheit, trauen sich viele Menschen nicht zu sagen was sie denken. Viele haben Angst, dass sie dadurch Nachteile in ihrem beruflichen oder privaten Umfeld erfahren.“ Was nun die Tatsache, dass nicht jeder die eigene Meinung gut finden muss damit zu tun hat, dass der Staat jemanden für seine Meinung nicht bestrafen darf, bleibt wie so oft im Unklaren. Einmal mehr wird aber der Opfermythos der vermeintlichen Zensur für sich selbst herangezogen, der auch bei neurechten Gruppen so beliebt ist.

Angriffspunkte für den rechten Rand

Und das Fazit des Abends: Inhaltlich bleibt man recht mau, geht es nicht gerade um Verschwörungstheorien. Gerade diese inhaltliche Beliebigkeit ist es aber auch, die den Montagsmahnwachen zum Problem wird: Dadurch kann man sich zwar Eingangs von Extremisten distanzieren, zwei Sätze weiter aber eben die antisemitische Mär von der „Zinsknechtschaft“ weiter betreiben. Dadurch können auch Reichsbürger wie der „Künstler“ Toni All, der bei vergangenen Mahnwachen in Regensburg zu Gast war, und andere Verschwörungstheoretiker sich hier ein Forum aufbauen.

Nicht, dass alle Teilnehmer dieser Mahnwachen Neonazis sind. Das sind sie beileibe nicht. Doch die fehlende inhaltliche Festlegung, gepaart mit wilden Versatzstücken antisemtischer und verschwörungstheoretischer Topoi, bieten den idealen Anknüpfungspunkt und Nährboden für die extreme Rechte. Genau das ist die Taktik der Neuen Rechten nämlich: Sich Brückenköpfe im demokratischen Lager zu sichern, über die sie ihre Ideologie gesellschaftlich akzeptiert verbreiten können. Leider bietet gerade die Regensburger Mahnwache durch die kritiklose Übernahme fragwürdiger Inhalte immer mehr Raum dafür, diese Strategie erfolgreich zu fahren.