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Verfassungsschutz wusste seit Februar von Neonazi-Richter

 

hassgesang
Die klandestin agierende Neonazi-Band „Hassgesang“ hier bei einem Auftritt Foto: YouTube-Screenshot

Seit November 2013 ist der Sänger der Brandenburger Neonazi-Band „Hassgesang“, Maik B., in Lichtenfels als Amtsrichter zur Probe tätig. Über den Neonazi war der bayrische Verfassungsschutz bereits seit Ende Februar dieses Jahres ausführlich informiert. Politiker fordern die Entlassung des Juristen.

Von Felix M. Steiner und Johannes Hartl

Im oberfränkischen Lichtenfels arbeitet der Rechtsrock-Sänger Maik B. seit rund einem Jahr als Amtsrichter. Maik B. ist aber nicht nur Amtsrichter zur Probe, sondern auch Kopf der Brandenburgischen Neonazi-Band „Hassgesang“. Entsprechende Erkenntnisse hat der Pressesprecher des Innenministeriums in Potsdam, Ingo Decker, auf Anfrage des ZEIT ONLINE-Störungsmelders bestätigt. Demnach ist der junge Amtsrichter identisch mit dem Leadsänger der Rechtsrock-Band, die in extrem rechten Kreisen als etabliert gilt und zumindest in Brandenburg erfolgreich aktiv ist. Im Herbst 2013 wechselte der Jurist Maik B. als Berufsanfänger an das Lichtenfelser Amtsgericht, wo zu diesem Zeitpunkt Personalmangel herrschte. Er sei „sehsüchtig erwartet“ worden, da das Amtsgericht „personell unterbesetzt“ sei, hieß es damals. Der zugezogene Jurist habe an der Universität Berlin studiert, sei Berufsanfänger und 28 Jahre alt, so die Informationen von offizieller Seite im Jahr 2013.

Gegründet wurde die Neonazi-Band „Hassgesang“ im Jahr 2000, die veröffentlichten Alben sind zumeist indiziert. Schaut man sich die Texte der Gruppe an, findet man unverhohlenen Antisemitismus, Rassismus und Nationalsozialismus. So heißt es im Song „Israel“: „Es ist bekannt in aller Welt // Daß der Jude nicht viel von Arbeit hält // Lieber nimmt er die Entschädigungsmoneten // Zum Bau von Atomraketen“. Und in einem anderen Song spricht die Band auch über staatliches Vorgehen gegen Szene-Strukturen: „Reg dich nicht auf, der Staat hat Angst vor dir // Nur deshalb jagt er dich, wie ein wildes Tier // Sie ermitteln schon so lange und es kotzt sie an // Dass man dir noch immer nichts beweisen kann“. Im Juni 2011 führte der Verfassungsschutz Brandenburg zudem eine Tagung zum Thema „Kultur des Hasses – Extremisten und Musik“ durch, bei der die Band eine zentrale Rolle spielte. So referierte Gordian Meyer-Plath, heute Chef des Sächsischen Verfassungsschutzes, vom Brandenburger Geheimdienst damals zur Band „Hassgesang“:

„‘Hassgesang‘ wie gesagt eigentlich eher ein Projekt eines einzelnen Rechtsextremisten aus Brandenburg, der im Studio die Dinge meistens alleine einspielt und wenn er live auftritt sich dann entsprechend Bands/Musiker sucht. ‚Hassgesang‘ eine sehr bekannte Formation.“

Neonazi-Netzwerk klagt gegen Brandenburger Verbot
Bei einer Razzia gegen die „Widerstandsbewegung Südbrandenburg“ sichergestellte Gegenstände; Foto: dpa

Die Band besteht also keineswegs aus einer Gruppe von Musikern, sondern vor allem aus dem Sänger Maik B. Doch der Verfassungsschutz in Brandenburg sieht nicht ausschließlich eine musikalische Bedeutung der Gruppe. Deutlich heißt es im Vortrag von Meyer-Plath: „[…] ‚Hassgesang‘ ist so etwas wie der verlängerte musikalische Arm der Neonazi-Szene in Südbrandenburg, insbesondere des Portals ‚Spreelichter‘“. Damit ist auch klar, dass die Gruppe enge Verbindungen zur „Widerstandsbewegung in Südbrandenburg“ hatte, die 2012 wegen „Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus“ und ihres „aggressiv-kämpferischen Vorgehens gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ verboten wurde. Im Zuge des Verbots war die Wohnung von B. sogar Ziel einer Razzia geworden und B. war einer der Empfänger der Verbotsverfügung, sagt Ingo Decker. Eine Klage gegen die Maßnahme scheiterte später vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, weil die Richter in B. laut Spiegel Online einen „Hintermann des Vereins“ gesehen haben.

Neonazi als Amtsrichter mit Kenntnis des Verfassungsschutzes?

Die meisten Informationen sind nicht geheim, sie lassen sich vielmehr in wenigen Minuten online recherchieren. Besonders pikant an der Causa rund um den Amtsrichter mit rechter Vergangenheit ist allerdings, dass die Verfassungsschützer in Brandenburg ihre Kollegen in Bayern bereits am 26. Februar 2014, also acht Monate vor den Enthüllungen, über den Umzug von B. informiert haben. In einer „umfangreichen Erkenntnismitteilung“, sagt Decker, habe der Brandenburger Verfassungsschutz den bayerischen Geheimdienstlern weit mehr als den bloßen Wohnortwechsel mitgeteilt. Tatsächlich finden sich in der Mitteilung nicht nur „aktuelle Erkenntnisse zu B.“ und seine „aktuelle Meldeadresse“, sondern auch „LKA-BB-Erkenntnisse zu Hassgesang“ sowie nicht näher erklärte „sonstige Erkenntnisse“. B. selbst war zu dieser Zeit bereits in der Justiz tätig. Zwar ist unklar, ob der bayerische Verfassungsschutz über B.s Karriere als Richter informiert wurde. Doch lagen der Behörde ab Ende Februar zumindest nähere Informationen über eine bedeutende Figur der Brandenburger Neonazi-Szene vor, die im Oktober letzten Jahres von Berlin in das bayerische Lichtenfels gezogen ist.

Für den rechtspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Franz Schindler, ist es „ein Skandal“, wenn diese Erkenntnisse zutreffen. Entscheidend sei die Frage, ob das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz wirklich schon im Februar 2014 detaillierte Kenntnisse über Maik B. und über dessen Karriere im Justizdienst hatte, sagte Schindler dem ZEIT ONLINE-Störungsmelder. Sofern dies der Fall gewesen ist, hätte das Justizministerium zwingend informiert werden müssen. Diese und weitere Fragen, ergänzt der Abgeordnete, müsse Justizminister Winfried Bausback (CSU) nun am Donnerstag ausführlich im Parlament erklären.

Bis zu diesem Tag fordern die Grünen in einer Anfrage „umfangreiche Auskünfte“. Neben der Frage, seit wann die Vorwürfe bekannt sind, wollen die Abgeordneten von Bayerns Justizminister wissen, wie Vorfälle dieser Art künftig vermieden werden können. Eine schnelle Aufklärung dieses Falls sei nach Meinung der Grünen jetzt unbedingt geboten.

Sepp Dürr, der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, hält es außerdem „auf gar keinen Fall für hinnehmbar“, dass jemand mit „offensichtlich rechtsradikalem Hintergrund“ zum Richter berufen wird. „Wer in seiner Studienzeit mit antisemitischen Hassliedern in Erscheinung getreten ist und offen für Adolf Hitler eintrat“, sagt der Grünen-Politiker, „kann in Bayern nicht Recht sprechen“. Dieser Forderung stimmt auch sein SPD-Kollege zu. „Wenn es stimmt“, so Schindler gegenüber ZEIT ONLINE, „ist er nicht für ein Richteramt geeignet“. Eine Entlassung müsse in diesem Fall so schnell wie möglich erfolgen.