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Rechtsstaat gegen Alltagsrassismus

 

Rechtsextreme Hetze im Netz bleibt meist ohen juristische Konsequenzen. Das soll sich jetzt endlich ändern.
Rechtsextreme Hetze im Netz bleibt meist ohne juristische Konsequenzen. Das soll sich jetzt endlich ändern.

„Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“, diese abgedroschene Phrase ist der Lieblingsspruch konservativer Innenminister. Aber auch eine Gruppe digitaler Aktivisten hat ihn sich zum Leitmotiv gemacht – und geht damit im Internet auf Jagd nach Rassisten und Neonazis. Sind sie die modernen Nazijäger?

Dass das Internet unsere Gesellschaft und auch die Meinungsbildung verändert hat, ist heute ein Allgemeinplatz. Längst haben auch Rassisten und Rechtsextreme das World Wide Web für sich entdeckt, um weltweit ihre Ideologie zu verbreiten. Die Internetenzyklopädie Wikipedia kennt einen eigenen Artikel zum Phänomen Rechtsextremismus im Internet und der Europarat prangerte erst vor Kurzem den Zustand an, dass durch das Internet Hassreden immer mehr Verbreitung finden. Doch wer sich durch die Kommentarspalten tagesaktueller Medien in Deutschland klickt, braucht keine Studie, um diesen Zuwachs zu erkennen. Immer wieder trifft man dort Kommentatoren, die die Grenze zur Strafbarkeit nur haarscharf verfehlen oder auch einfach ohne nach links und rechts zu sehen hindurchbrettern. Paragraph 130 (Volksverhetzung) im Strafgesetzbuch lässt grüßen.

Näzijäger im digitalen Zeitalter?

Treten die Internetaktivisten, die diese Leute im Internet auffinden und zur Anzeige bringen in die Fußstapfen von Nazijägern wie Beate Klarsfeld oder Simon Wiesenthal? Wohl kaum, aber das ist auch gar nicht ihr Anspruch: „Sicher mischt sich der ein oder andere Hardcore-Nazi unter die Kommentare.“ Die Mehrheit der rassistischen Kommentatoren im Netz seien aber Bürger, die diffuse Ängste haben, die Fakten zum Thema Asyl und Zuwanderung nicht kennen und damit leicht anfällig für Vorurteile seien. Viele befänden sich auch akut in einer persönlichen Krise und sehen das Schreiben rassistischer Kommentare „als eine Art Ventil, um einfach mal Frust abzulassen.“ Dass es dabei nicht unbedingt nur gegen Fremde gehen muss, zeigt auch ein Interview mit einem Internettroll, das die FAZ im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Uwe Ostertag schreibt nicht nur Hasstiraden gegen Asylbewerber, sondern gegen alles, was potentiell eine möglichst extreme Reaktion bei den anderen Lesern seiner Kommentare hervorrufen könnte.

Gaskammer-Fantasien öffentlich im Netzwerk

Trotzdem bleibt festzustellen, dass fremdenfeindliche Kommentar im Netz nicht nur quantitativ zunehmen, sondern auch immer wieder eine neue Qualität annehmen. Viele scheinen beim Kommentieren im Internet keine Scheu mehr zu kennen: „Viele sind tatsächlich so naiv und kommen gar nicht darauf, dass ihr Inhalt strafrechtlich verfolgt werden könnte“, meint einer der antirassistischen Internetaktivisten. Und so findet man in den Kommentarspalten der Medien gerade bei Flüchtlingsthemen immer wieder User, die zum Bau von Gaskammern aufrufen oder ankündigen, das selbst tun zu wollen.

Auch ein „Gefällt mir“ kann strafbar sein

Strafbar macht sich übrigens nicht nur, wer selbst volksverhetzende Kommentare ins Netz stellt. Auch ein „Gefällt mir“ kann unter Umständen eine Verurteilung wegen Volksverhetzung nach sich ziehen, wenn in dem gelikten Kommentar strafbare Inhalte stehen. Das entscheiden mittlerweile immer mehr Amtsgerichte so und ist auch in der juristischen Fachwelt anerkannt. Die Polizei ist meist sehr kooperativ, wenn von Bürgern Anzeigen wegen Volksverhetzung im Internet eingehen. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg schreibt etwa auf seiner Internetpräsenz: „Zum Schutz vor weiteren Gewalttaten und ähnlichen rechtsextremistischen Aktivitäten sind wir auf Ihre Hinweise angewiesen.“ Auch wenn es um Polizisten selbst geht, werden die Vorgesetzten tätig. Den Vorwurf des Rassismus will man dort nicht gerne auf sich sitzen lassen. So hat das zuständige Polizeipräsidium Anfang des Jahres ein Disziplinarverfahren gegen einen 25-jährigen Beamten eingeleitet, der im Internet rassistisch aufgefallen war.

Zusammenarbeit noch längst nicht überall gut

Doch so gut funktioniert die Aufnahme der Anzeigen und die Zusammenarbeit mit den Behörden längst nicht überall. Dass generell die Behörden in den alten Bundesländern kooperativer seien, als die in den neuen, meint einer der Kommentarjäger. Positive Erfahrungen habe er vor allem mit den Polizeibeamten gemacht, meint ein anderer. Die Berliner Polizei hat auf seinen Hinweis hin im Frühjahr des Jahres die Wohnungen dreier Absender fremdenfeindlicher Kommentare durchsucht.

Die Erfahrungen mit der Staatsanwaltschaft seien längst nicht so gut: In einem Fall habe eine bayerische Staatsanwaltschaft Verfahren gegen fast ein Dutzend Leute eingestellt, die bei einem volksverhetzenden Kommentar auf „Gefällt mir“ gedrückt hatten. Begründung: Mehrere dieser 12 Leute hatten angegeben, nur versehentlich den „Like“-Button gedrückt zu haben. Auf unsere Anfrage hin, teilte die zuständige Staatsanwaltschaft mit, dass immer nachgewiesen werden müsse, dass die Person selbst und absichtlich auf „Gefällt mir“ gedrückt hat. Generell geht man dort aber schon von der Strafbarkeit eines „Likes“ bei volksverhetzenden Aussagen aus. Man habe auch schon mehrfach Strafbefehle deswegen verschickt.

So oder so, für die Jäger rassistischer Kommentare bleibt auch in Zukunft noch viel zu tun. Ihr Beispiel will auch alle anderen dazu ermutigen, rassistische Hetze im Internet nicht unwidersprochen hinzunehmen und strafbare Kommentare in sozialen Netzwerken auch den Behörden zu melden. Nur so würden manche begreifen, dass es eben keine akzeptable Meinung ist, Zyklon-B zur Lösung eines vermeintlichen Asylproblems heranzuziehen oder Flüchtlingsboote im Mittelmeer versenken zu wollen.