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Eine Distanzierung, die keine ist: Zschäpe und das „nationalistische Gedankengut“

 

Ber der Veranstaltung wurde dem NSU-Opfer Mehmet Turgut gedacht © Kombinat Fortschrit
Gedenkstein für NSU-Opfer Mehmet Turgut  © Kombinat Fortschrit

Dass Beate Zschäpe mit ihren kurz vorgetragenen Worten im NSU-Prozess vor allem Einfluss auf eine möglichst geringe Haftstrafe nehmen wollte, ohne dabei irgendetwas mit Substanz zu sagen, ist vielfach analysiert worden. Und auch den Hinweis, dass sie nach wie vor durch das Unterlassen von inhaltlichen Aussagen de facto an der Solidarität mit der Nazi-Szene festhält, haben zahlreiche Beobachter/innen völlig zurecht formuliert.

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Samuel Salzborn

Interessant ist aber noch ein anderes Detail aus Zschäpes Erklärung, in der zweimal die floskelhafte Formel „nationalistisches Gedankengut“ enthalten ist. Bei der zweiten Erwähnung betont Zschäpe, dass sie „keine Sympathien mehr für nationalistisches Gedankengut“ hege. Auf den ersten Blick wirkt das wie eine, wenngleich natürlich immer noch strategische, Distanzierung. Wenn man aber den gewiss tage- oder wochenlang abgewogenen Wortlaut genau in den Blick nimmt und dabei den Kontext der rechtsextremen Szene in Deutschland berücksichtigt, dann ist diese Distanzierung überhaupt keine – sondern die Formel eine wohl gewählte Chiffre, bei der sich die gesamte Nazi-Szene ins Fäustchen lacht.

Denn Zschäpe führt damit, entweder in Umsetzung ihrer eigenen Strategie oder durch entsprechende Beratung, die Öffentlichkeit in derselben Weise an der Nase herum, wie es der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) schon während seiner terroristischen Aktionen getan hat: die Nazi-Szene ist im Bilde, die Nazi-Szene versteht die kommunikativen Signale – und die demokratische Öffentlichkeit wird vorgeführt. Während der Morde, als bürgerliche Medien mit dem rassistischen Terminus noch über „Döner-Morde“ spekulierten, gab es zwar nur wohldosiertes, aber eben doch präsentes Wissen in der Nazi-Szene um den NSU; heute, wenn Zschäpe sich von „nationalistischem Gedankengut“ distanziert, erweckt sie damit in der demokratischen Öffentlichkeit den Glauben, sie distanziere sich vom Kern ihrer Weltanschauung. Doch das Gegenteil ist der Fall: die rechtsextreme Szene, noch zumal die weltanschaulich gefestigten rassistischen und antisemitischen Kreise, aus denen der harte Kern des NSU kam, halten gar nichts von der „Nation“, weil diese nicht ihr normativer Referenzrahmen ist – eine Distanzierung von „nationalistischem Gedankengut“ ist insofern ein Running Joke für knallharte Nazis, wie sie zum NSU-Umfeld gehörten bzw. gehören.

Denn die „Nation“ ist in diesen Kreisen die demokratische, die republikanische, die aufgeklärte Nation, wie sie etwa die USA, Frankreich oder Großbritannien verkörpern. Dagegen stellt die Nazi-Szene das Volk, genauer: das völkische Volk – also nicht das Volk im Sinne des Wahlvolkes, sondern das Volk als ethnisch-kollektive Abstammungsgemeinschaft. Geht es bei der republikanischen Nation um den politischen Willen und das freiwillige Bekenntnis der Zugehörigkeit zur Nation (oder auch, was noch wichtiger ist, den Willen, nicht dazugehören zu wollen), bezieht sich das völkische Volk auf irrationale Kriterien wie eine unterstellte gemeinsame Abstammung oder eine kollektiv bindende Kultur, es fordert den essentialistischen Zwang des Dazugehörens und Ausschließens. Individuelle Freiheiten und subjektive Rechte sind für die, die den Vorstellungen eines völkischen Volkes anhängen, ein Grauen. Und zu diesem völkischen Denken gehört auch: eine Verbindung von vorpolitischen Kollektiven und geografischen Orten („Volk und Raum“), die über die Fiktion einer blutsmäßigen Gemeinsamkeit (das Nazi-Konstrukt der „Rasse“) hergestellt werden. Das geopolitische Pedant zum Volk oder zur „Rasse“ ist in rechtsextremen Kreisen dann auch eine ganz andere raumordnerische Einheit: das Reich.

Wenn Zschäpe sich also von „nationalistischem Gedankengut“ distanziert, dann ist das ein PR-Gag, über den man in Nazi-Kreisen lachen wird – innerhalb der Szene ist allen klar, dass sich Zschäpe von rein gar nichts distanziert hat, was zentrale Wertvorstellungen der neonazistischen Szene sind: nicht vom Volk, nicht von der „Rasse“, nicht vom Reich – nur von der sowieso verhassten westlichen Nation. Zugleich gelingt es Zschäpe dabei aber, die demokratische Öffentlichkeit ein weiteres Mal vorzuführen und eine Erklärung zu inszenieren, bei der Gericht, Staatsanwaltschaft und Medien versehentlich glauben könnten, es sei tatsächlich eine Distanzierung. In Wahrheit macht sich Zschäpe damit lustig über die demokratische Öffentlichkeit, wobei die Wortwahl tatsächlich ganz im Gegenteil eine tiefe Verbundenheit mit Grundwerten der Nazi-Szene dokumentiert.

Prof. Dr. Samuel Salzborn ist Professor für Grundlagen der Sozialwissenschaften an der Uni Göttingen und war Sachverständiger im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages von Baden-Württemberg.