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Polizeieskorte für Neonazi?

 

Rund 500 Neonazis haben in Berlin des Kriegsverbrechers Rudolf Heß gedacht. Auf der Demonstration kam es zu Gewalt. Für Irritationen sorgte eine Aktion der Polizei.

Von Henrik Merker

Ein Demonstrationsteilnehmer im Hitler-Look © Henrik Merker

In brennender Hitze stehen 50 Herren in weißen Hemden im Berliner Randbezirk Spandau. Sie sind einer groß angekündigten Demonstration der NPD gefolgt, die seit Monaten für das unter Rechtsextremen historische Gedenken geworben hatte: den Aufmarsch zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß. 500 Neonazis sollten anreisen.

Im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis hatte sich Heß 1987 im Alter von 93 Jahren das Leben genommen. Unter Neonazis gilt er als erfolgloser Friedensstifter, Heldenfigur der Geschichtsklitterung. Und nun das: ein Aufmarsch mit gerade einmal 50 Teilnehmern?

Hakenkreuze an Flüchtlingsunterkunft

Hakenkreuz an Spandauer Flüchtlingsunterkunft © Henrik Merker

Das Kriegsverbrechergefängnis wurde nach dem Selbstmord abgerissen, heute steht dort ein Supermarkt. Im vergangenen Jahr legten die Rechten einen Gedenkkranz vor dem Geschäft ab, dieses Jahr dürfen sie nicht an dem symbolträchtigen Ort vorbeimarschieren – eine Auflage der Stadt. Auch ihre beliebten Symbole dürfen sie nicht zeigen, das Konterfei von Heß etwa. Die Ewiggestrigen wissen sich trotzdem bemerkbar zu machen: An die nahe gelegene Flüchtlingsunterkunft haben sie zwei Hakenkreuze geschmiert.

Kurz nach Mittag wird klar: Die 50 Demonstranten sind ein Täuschungsmanöver. Der Marsch durch Spandau ist längst abgeblasen, stattdessen hat die NPD schon Tage zuvor eine zweite Route angemeldet. Quer durch den alternativ geprägten Stadtteil Friedrichshain soll die Demo gehen, bis an den östlichen Rand von Berlin.

Und da sind sie: 500 Rechtsextreme haben sich vom Alexanderplatz auf den Weg zur Landsberger Allee gemacht. Mit ihnen die Polizei, die vorbereitet ist und die Route abgesperrt hat. Mehrere Hundertschaften sind im Einsatz.

Flaschen und Steine fliegen

Einige Tausend Berliner stellen sich dem rechten Marsch entgegen, auch sie hatten sich zunächst auf den Marsch in Spandau eingestellt. Trotz reichlich Polizeischutz kommt es zu Angriffen. Neonazis brechen aus dem Demonstrationszug aus, schlagen auf Protestierende ein. Aus dem Protest fliegen Flaschen und zwei Pflastersteine – einer trifft das Dach eines Polizeiwagens, der zweite landet auf der Straße. Polizisten schlagen einen Reporter und bringen ihn zu Boden, weil sie vermuten, er habe eine Flasche geworfen. Ein Fehler. Bis zum Ende der Demonstration kommt es immer wieder zu Pöbeleien.

Der Holocaustleugner Dennis Ingo Schulz wird zum Sammelpunkt Spandau gefahren © Henrik Merker

Für Irritationen sorgt, dass der verurteilte Holocaustleugner Dennis Ingo Schulz in einem Polizeifahrzeug zum Aufmarschort in Spandau gefahren wurde. Wieso wird ein einzelner Teilnehmer chauffiert? Die Polizisten vor Ort verweigern die Auskunft. Auf Twitter schreibt die Berliner Polizei, Schulz sei zur Personalienfeststellung mitgenommen worden – was dem Reichsbürger vorgeworfen wird, ist nicht bekannt. Bis zum Ende nimmt er an der Demonstration teil.

Berliner Politiker zeigen sich erschüttert. „Waschechte Nazis werden von Spandau nach Mitte begleitet und dann durch die halbe Stadt eskortiert. Wie soll man das Opfern von Nazi-Gewalt erklären?“, fragt der Linke-Politiker Tim Fleischer auf Twitter.