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Waffen unterm Weihnachtsbaum

 

Weil er mit seinem Onlineshop Migrantenschreck Waffen verschickt hatte, muss der Aktivist Mario R. ins Gefängnis. Im Prozess kam heraus: Das Startkapital hatte er von rechtsgerichteten Verlagen wie Compact und Kopp.

Von Jesko Wrede

Waffen, die Ermittler im Fundus des Migrantenschreck-Shops sichergestellt hatten
© Jesko Wrede

„Machen Sie Ihren Liebsten eine ganz besondere Freude zum Weihnachtsfest! Zum Beispiel mit einer Migrantenschreck MS60-professional! Zehn Prozent Rabatt! Bei Bestellung vor dem 15. Dezember garantierte Lieferung noch vor Weihnachten.“ Bei der Begründung des Urteils gegen Waffenhändler Mario R. kommt der Vorsitzende Richter Thorsten Braunschweig noch einmal auf den Text eines Werbebriefes an Kunden seines Versandhandels zu sprechen, der bei dessen Verhaftung sichergestellt wurde. Verbotene Schusswaffen ausgerechnet zu Weihnachten, „einem Fest des Friedens“, so anzupreisen, das sei schon sehr bemerkenswert.

Wegen illegalen Handels mit solchen Waffen unter Namen wie „Bautzen-Edition“ für eine doppelläufige Flinte oder „Antifaschreck“ für einen Revolver erhielt der 35-jährige R. am Dienstag eine Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Von Ungarn aus hatte der rechte Aktivist einen perfiden Versandhandel namens Migrantenschreck betrieben, der sich an Waffennarren und Fremdenhasser richtete – eine erhebliche Schnittmenge: 193 Verkäufe warf ihm die Staatsanwaltschaft in der Anklage vor, im Urteil blieben davon noch 167 Fälle.

Werbung mit Volksverhetzung

Im Migrantenschreck-Angebot waren Modelle, die Hartgummi-Kugeln verschießen. In Deutschland unterliegen sie dem Waffengesetz, während sie in Ungarn frei verkäuflich sind. Über ihre Gefährlichkeit besteht kein Zweifel: Ein ballistisches und ein gerichtsmedizinisches Gutachten bestätigten, dass Schüsse aus einer Entfernung von unter fünf Metern im Schädelbereich tödliche Verletzungen verursachen können. Auch R. selbst pries die Ware mit den Worten „60 Joule Mündungsenergie strecken jeden Asylforderer nieder“.

Richter Braunschweig tadelte in seiner Urteilsbegründung die „perfide Art der Werbung“, die einen „volksverhetzenden Charakter“ gehabt habe. Bei R.s Kundschaft kam sie offenbar gut an: 99.100 Euro Umsatz machte der Betreiber in einem Zeitraum von sechs Monaten.

Der Angeklagte Mario R. zwischen seinen Anwälten Uwe Schadt (links) und Felix Heimann © Jesko Wrede

Dass rechtsgerichtete Bürger mit Waffenfimmel so gern bei ihm zugriffen, dürfte auch an seiner starken Vernetzung in entsprechenden Kreisen liegen. R. war zuerst durch seine Teilnahme an den Erfurter Montagsmahnwachen aufgefallen, wo er im Mai 2014 seinen ersten gemeinsamen Auftritt mit dem Herausgeber des rechtspopulistischen Compact-Magazins, Jürgen Elsässer, hatte. Zu Bekanntheit gelangte er, als er bei einer öffentlichen Veranstaltung mit dem AfD-Politiker Björn Höcke einen Bericht der ZDF-Moderatorin Dunja Hayali störte.

Angriff auf Regierungsserver

Ermittlungsbehörden wurden auf R. aufmerksam, nachdem er sich im Februar 2016 offenbar an einem Cyber-Angriff auf Webseiten der Bundesregierung beteiligt hatte. Bei der Suche nach den Urhebern stießen sie auf die deutsche Facebook-Seite Anonymous.Kollektiv. Dabei ergaben sich Hinweise auf eine Verbindung zu R., wie Staatsanwältin Susann Wettley zu Prozessbeginn mitgeteilt hatte. Auf der Seite war unter anderem zu einem koordinierten Angriff auf die Seite des damaligen Justizministers Heiko Maas aufgerufen worden, die in der Folge mehrere Stunden offline war. Als Ermittler am Tag nach der Attacke an R.s Tür in Erfurt klopften, hatte der sich bereits nach Ungarn abgesetzt.

Anonymous.Kollektiv hatte zeitweise über zwei Millionen Fans und dadurch eine beachtliche Reichweite als Plattform für rechte Hetze. Hier wurde Werbung für den Migrantenschreck-Versand gemacht, auch in Form von Videos, in denen auf Fotos von Politikerinnen und Politikern wie Angela Merkel, Claudia Roth oder Cem Özdemir geschossen wurde. Dazu wurden Flüchtlinge und Muslime als „notgeile, pädokriminelle Migranten-Rotte“ oder „menschlicher Müll“ bezeichnet, regelmäßig gab es Aufrufe zu Gewalt und Selbstjustiz.

Aufgebaut mit Geld aus Deutschland

Ob R. mit seinem Onlineshop in erster Linie Geld scheffeln oder seine deutschen Landsleute für den Kampf gegen Einwanderer und Einwanderinnen rüsten wollte, ist heute schwer zu sagen. Fest steht, dass sich die Deals für ihn gelohnt haben. Für rund 25.000 Euro hatte R. die Waffen gekauft, knapp 100.000 Euro betrug sein Umsatz. Das Startkapital kam ebenfalls aus dem rechten Milieu, wie er im Verfahren einräumte: R. hatte beachtliche Einkünfte aus Verträgen mit dem Compact-Magazin und dem für seine rechtslastigen Bücher bekannten Kopp-Verlag. Für Compact hatte er Abonnenten geworben und Provisionen in Höhe von insgesamt rund 70.000 Euro erhalten, der Kopp-Verlag überwies Werbeeinnahmen aus so genanntem Affiliate-Marketing in Höhe von etwa 40.000 Euro, wie erstmals in einer Recherche von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung berichtet wurde.

Das Geld floss auf ein Schweizer Bankkonto, R. hob es in Ungarn ab. Dort wurde er nach Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft und einem Auslieferungsersuchen im März 2018 verhaftet und im Juli nach Deutschland überstellt.

Vor Gericht räumte der Angeklagte den Handel ein. Seine Aussagen seien aber „alles andere als von Reue getrieben“, sagte Richter Braunschweig, nach dem Motto: „Ja, ich habe das alles gemacht, aber ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ Seine Verteidiger hatten hingegen eine Einstellung des Verfahrens gefordert, hilfsweise einen Freispruch.

Deutsches Strafrecht gilt auch bei Versand aus Ungarn

Ihrer Ansicht nach wäre entweder das deutsche Strafrecht nicht anwendbar gewesen oder aber R. sei sich gar nicht bewusst gewesen, dass seine Taten strafbar gewesen seien. Er hatte nämlich erklärt, ein ungarischer Rechtsanwalt habe ihm die Legalität seines Geschäfts versichert. Doch weil der Anwalt kein Experte für deutsches Recht war, sei der Irrtum leicht zu vermeiden gewesen, befand die Kammer. Und durch den Versand der Waffen nach Deutschland gelte eindeutig das deutsche Strafrecht.

Einen kleinen Erfolg brachte der Tag des Urteils dennoch für R.: Er wurde unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen – obwohl der Vorsitzende eine grundsätzliche Fluchtgefahr feststellte. Der Mann, der über 160 Waffen an Fremdenfeinde geschickt hat, darf Weihnachten in Freiheit verbringen.