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Rechtsextreme Bürgerwehr will Angst schüren

 

Sie geben vor, für Sicherheit sorgen zu wollen – tatsächlich verbreiten sie Furcht und Einschüchterung: In Essen streifen Mitglieder einer rechtsradikalen Schutztruppe durch die Straßen.

Von Barbara Schulze

Mitglieder der Steeler Jungs bei einem ihrer Patrouillengänge © Barbara Schulze

Seit knapp zwei Jahren spielen sich im Essener Stadtteil Steele die gleichen Szenen ab: Jeden Donnerstag gegen 18 Uhr laufen 50 bis 200 Männer und einige Frauen auf dem Grendplatz auf. Parolen brüllen sie nicht, wie sie überhaupt kaum mit Außenstehenden sprechen. Viele tragen T-Shirts und Mützen mit der Aufschrift „Steeler Jungs“, es wirkt wie eine Uniform.

Mit einer klaren Mission scheinen die Steeler Jungs nicht unterwegs zu sein – auf den ersten Blick. Tatsächlich patrouilliert die Gruppe nach Art einer Bürgerwehr durch das Viertel der Ruhrgebietsstadt. Was den Eindruck erwecken soll, es ginge um Schutz, dient in Wahrheit der Einschüchterung: Die Spaziergänge, wie die Jungs sie selbst benennen, sollen Angst vor einer angeblichen Gefahr durch Flüchtlinge und andere Einwanderer schüren. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz führt die Organisation in seinem Jahresbericht auf. Demnach wollen die Mitglieder „den Eindruck erwecken, dass Flüchtlinge generell eine Bedrohung darstellen“.

Bestens vor Ort verankert

Die Steeler Jungs inszenieren sich ambivalent: mal als sorgende Familienväter und Eltern, mal als tatkräftige Beschützer. Damit sind sie nicht die einzigen. Andere Bürgerwehren dieser Art heißen Bruderschaft Deutschland in Düsseldorf oder Begleitschutz in Köln, im brandenburgischen Cottbus und im niedersächsischen Salzgitter gehen sie für die NPD auf die Straße.

Einzigartig an der Essener Gruppe ist ihre Verankerung vor Ort: In Essen-Steele seien alle schon gemeinsam in den Kindergarten gegangen, sagen Szenekenner wie Max Adelmann vom demokratischen Bündnis Essen stellt sich quer. Deshalb würden ihre Machtinszenierungen von einem Teil der Bürger und den Behörden geduldet. Mit der Folge, dass die Steeler Jungs beim diesjährigen Karnevalsumzug in einem anderen Stadtteil mitmachen durften. Unter dem Namen Steeler Jecken fuhren sie in einem Wagen in den nationalistischen Farben schwarz-weiß-rot gestaltet. Die Zugteilnehmer trugen Helme, die an Wehrmachtshelme erinnern. Auf der Rückseite des Wagens war eine große Faust abgebildet, die eine „Zecke“ zerdrückt, garniert mit dem Spruch „Schützt euch vor den Zecken“. Zecken ist für Rechtsradikale ein Synonym für Andersdenkende, die es zu vernichten gelte.

Hohe Gewaltbereitschaft

Aufsehen erregte im Februar 2019 ein örtlicher Polizist, der mit den Rechtsradikalen auf Fotos posierte. Nach Protesten reagierte die Polizei mit einer Stellungnahme: Eine solche Nähe sei unangemessen.

Abseits von Kumpelei und Selbstinszenierung birgt die Organisation offenbar ein beträchtliches Gewaltpotenzial. Im April 2018 sollen mehrere Mitglieder am Angriff auf eine Kneipe am Grendplatz beteiligt gewesen sein. Im Mai 2019 vermummte sich ein größerer Teil der Teilnehmer des wöchentlichen Umzugs mit Atemmasken, als sie sich Gegendemonstranten näherten. Bevor es zu Ausschreitungen kam, griff die Polizei ein.

Mitglieder der selbsternannten Bürgerwehr treffen sich im Stadtteil Steele. © Barbara Schulze

Zwei Monate zuvor hatte es bereits deutliche Anzeichen einer Eskalation gegeben. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig in einer szenebekannten Sportkneipe gegenüber einem alternativen Kulturzentrum. In der Nacht zum 27. März dieses Jahres wurden zwei Schüsse mit einer scharfen Waffe auf den Wintergarten des Zentrums abgegeben.

„Hooligans, Rocker und Neonazis“

Die Mehrheit der Teilnehmer entstamme „dem Hooligan- und Rockermilieu“, heißt es im Bericht des Verfassungsschutzes. So handelt es sich bei dem Betreiber der Stammkneipe der Steeler Jungs um Christian „Bifi“ W., Kampfsportler und Chef der Bandidos im nahe gelegenen Bottrop, wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Düsseldorf mitteilt.

Gegenüber dem Störungsmelder bestätigt die Beratungsstelle die äußerst rechte und migrantenfeindliche Einordnung der Steeler Jungs: Die heterogene Gruppe setze sich „zum überwiegenden Teil aus Hooligans, Rockern und Neonazis zusammen“. Sie bediene sich der in rechtsextremen Kreisen gängigen Argumentation, „die deutsche Asylpolitik habe zu einer erheblichen Zunahme sexualisierter Gewalt geführt“. Die „offensichtlich guten Kontakte in die rechtsextreme Szene sowie der Umgang mit Gegenprotesten auf der Straße“ widerspreche dem Anschein einer friedlichen Gruppierung.

Zeichen von Protest

Max Adelmann vom Bündnis Essen stellt sich quer sagt gegenüber dem Störungsmelder, die Steeler Jungs vernetzten sich mit der gewalttätigen Bruderschaft Deutschland aus Düsseldorf und suchten auch den Schulterschluss zu anderen Bürgerwehren und Hooligans.

Mittlerweile regen sich zumindest Anzeichen von Gegenwehr: Die Steeler Bezirksvertretung sowie der Essener Stadtrat haben im April und Mai dieses Jahres eine fraktionsübergreifende Resolution gegen die Truppe angenommen. „Hinter einer vermeintlich harmlosen Fassade verbirgt sich womöglich ein bundesweit agierendes Netzwerk mit intensiven Kontakten in die extreme rechte Szene“, heißt es in dem Beschluss.

Seit einem Jahr werden die Demonstrationszüge der Steeler Jungs zudem jedes Mal durch ein größeres Aufgebot der Polizei begleitet. Doch die Angst vor der rechtsextremen Bürgerwehr bleibt.