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Thüringens Erfolgsrezept gegen Neonazis

 

Immer wieder fallen Rechtsrockfestivals kleiner aus als geplant – wie an diesem Wochenende in Kloster Veßra. Am Ende kamen mehr Gegendemonstranten als Festivalbesucher.

Von Henrik Merker

Rechtsrock: Thüringens Erfolgsrezept gegen Neonazis
Ein Neonazi, der sich mit Polizisten angelegt hatte, liegt mit Handschellen auf dem Boden.
© Henrik Merker

Es dämmert bereits im thüringischen Örtchen Kloster Veßra. Eine Kundgebung von Neonazigegnern steht an einer kleinen Nebenstraße vor dem Gasthof Goldener Löwe, betrieben von dem Rechtsextremisten Tommy Frenck. Flutlicht der Polizei erhellt einen Pavillon, in dem Männer in Rechtsrockshirts kontrolliert werden. Sie wollen zu einer Versammlung, Motto: „Gegen staatliche Repressionen“. Mit 300 Gästen hatte Veranstalter Frenck gerechnet, es wurde bestenfalls die Hälfte.

Deutlich größer: die Kundgebung der Gegner mit rund 190 Teilnehmern. Sie haben Kerzen auf den Gehweg gestellt, in einer Hecke hängen LED-Lampions. Stefan Heerdegen von der thüringischen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus (Mobit) sagt: „Es ist ein großer Erfolg, wenn es gelingt, in einem kleinen Dorf einen Protest mit mehr als 190 Personen gegen ein Neonazikonzert zu starten.“ Mit einer deutlichen Botschaft: Auch in der Provinz sind Rechtsextreme nicht ungestört.

Erfolgreiche Strategie gegen Neonazis

Noch bis Anfang September hatte die nur wenige Kilometer entfernte Kleinstadt Themar gefürchtet, dass erneut Hunderte Neonazis auf die Wiese am Ortseingang zu einem Rechtsrockfestival anreisen würden – wie bereits Anfang Juli. Doch elf Tage vorher meldeten die Veranstalter, zwei Bands hätten „aus gesundheitlichen Gründen abgesagt“, ein hochkarätiger Teilnehmer aus Russland sei an der Einreise nach Deutschland gescheitert. Am 10. September folgte die Entwarnung für Themar. Nur ein stark abgespecktes Treffen sollte im nahen Kloster Veßra auf dem Gelände des Gasthofs stattfinden. Das große Programm mit internationalen Rechtsrockbands schrumpfte zu einem Liedermacherabend zusammen, den einige Besucher vorzeitig verließen.

Rechtsrock: Thüringens Erfolgsrezept gegen Neonazis
Vor dem Goldenen Löwen wird kontrolliert, rechts davon steht das Demokratiebündnis.
© Henrik Merker

Ein Liedermacher, der auf der Einladung nicht mehr auftauchte, war Tobias Winter alias der Bienenmann. Er trat schließlich doch auf. Winter ist seit Jahren im Netzwerk von Blood and Honour in Europa aktiv. Recherchen der Initiative thueringen rechtsaussen zeigen ihn bei Veranstaltungen in Ungarn vor Transparenten und Fahnen des Netzwerks Blood and Honour. 2014 trat der Burschenschafter Winter beim Bundeskongress der NPD-Jugend auf. An der Veranstaltung nahmen auch Personen teil, die später für die AfD arbeiteten.

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD), der für die Neonazis zu einer Art Erzfeind geworden ist, schaute am Samstag vorbei und begrüßte das regionale Demokratiebündnis. Die rechtsextreme Veranstaltung war auch gegen ihn gerichtet. Die Neonazis machen ihn für die Flops ihrer Events verantwortlich. Erst wurde im Oktober 2018 ein Festival in Magdala zum Desaster. Am Tag darauf scheiterten die Neonazis mit einer Kundgebung auf dem Marktplatz von Apolda und wurden nach Ausschreitungen ihrer eigenen Leute von der Polizei auseinandergetrieben.

Zuletzt in Themar verzeichneten die Veranstalter einen Teilnehmereinbruch. Waren 2017 noch über 6.000 Neonazis zusammengekommen, waren es Anfang Juli noch knapp 700. Thüringische Behörden versuchen schon länger, auch Immobilien der rechten Szene wie des Gasthofs habhaft zu werden. Als die Neonazis eine benachbarte Immobilie kaufen wollten, wurde das verhindert.

Hitlerschnitzel im Gasthof

Tommy Frenck, der für sein eigens gegründetes Wählerbündnis in den Kreisrat vom Landkreis Hildburghausen einzog, organisiert seit Jahren Rechtsrockevents in der Region. In seinem Gasthof verkauft er sogenannte Hitlerschnitzel, auf Festivals und im Onlineshop auch T-Shirts und Weihnachtslichterbögen mit NS-Symbolen. Ein Nachbar erzählt, er habe auch ein Exemplar mit Hakenkreuz an einem der Fenster gesehen. Auch Sportwaffen verkauft Frenck, neben Pistolenarmbrüsten bietet er spezielle Jagdspitzen für Pfeile. Daran befinden sich Klingen, die großen Schaden anrichten können – verboten sind sie nicht.

Auf seiner Veranstaltung traten auch Thorsten Heise, der für die braunen Festivals in Ostritz verantwortlich ist, und der Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke auf. Heise organisiert die Neonazifestivals im sächsischen Ostritz, zu denen in letzter Zeit ebenfalls immer weniger Gäste kamen. In seiner Rede nennt Heise die Namen von vier Journalisten und brüllt: „Ihr wollt, dass die Antifa auf uns Anschläge macht“ und „dass Mordanschläge auf uns gemacht werden.“ Zuvor diffamierte er minutenlang jeden der vier Journalisten, die seit Jahren zur rechtsextremen Szene recherchieren. Weiter behauptet Heise, mit Mordanschlägen habe die Neonaziszene nichts zu tun. Recherchen des Tagesspiegels und von ZEIT ONLINE zeigten 2018, dass seit der Wiedervereinigung mindestens 169 Menschen von extrem rechten Tätern ermordet wurden.

Polizei verzeichnet Straftaten

Das Gewaltpotenzial der Rechtsextremisten lässt sich auch an den 17 Straftaten ablesen, die die Polizei am Samstag registrierte – darunter Widerstand gegen Polizisten und versuchte Gefangenenbefreiung. Beamte fixierten zwei Neonazis am Boden und führten sie in Handschellen ab.

Rechtsrock: Thüringens Erfolgsrezept gegen Neonazis
Neonazis der Gruppe Bollwerk Oberpfalz beim Gruppenfoto. Zwei der Teilnehmer wurden später in Handschellen abgeführt. © Henrik Merker

Stefan Heerdegen von Mobit hält die Veranstaltung für einen Fehlschlag der Szene: „Vor allem vor dem Hintergrund, dass das Festival als ein Racheevent geplant war gegen die, wie die Neonazis es nennen, Repression.“ Auch die Arbeit des Thüringer Innenministers und starker Widerstand aus der Zivilgesellschaft habe dazu beigetragen. „Ein paar Liedermacher, ein paar Reden – das ist nicht mal ein abgespecktes Programm, das ist ein absoluter Misserfolg vor dem Hintergrund, was das eigentlich hätte sein sollen“, sagt Heerdegen.

Ein Anwohner berichtet zudem, dass in letzter Zeit immer weniger Gäste aus der Region in das braune Gasthaus kämen. Auch die Gäste von außerhalb, für die Neonazi Frenck sich auf seiner Facebook-Seite rühmt, seien verglichen mit vergangenen Jahren weit weniger geworden.