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Mit Nazis gegen Fahrverbote

 

Neonazis nutzen den Protest gegen Motorrad-Fahrverbote für ihre Zwecke: Sie demonstrieren im Schulterschluss mit Bikern, um rechtsextreme Parolen zu verbreiten.

Von Dennis Pesch

Neonazis und Rocker demonstrieren am Sonntag in Essen. © Dennis Pesch

„Wir sind Hools und werden uns ewig jagen, gegenseitig auf die Schnauze schlagen“, schallt es über das Messegelände von Essen im Ruhrgebiet. Rund 60 rechte Hooligans grölen den Text der Neonaziband Kategorie C auswendig mit. Die Band war bereits 2014 beim gewalttätigen Aufmarsch Hooligans gegen Salafisten in Köln aufgetreten. An diesem Sonntag beschallt sie eine Veranstaltung, auf der Rechtsextreme und Motorradfahrer gemeinsam demonstrieren.

Wie in vielen deutschen Städten protestierten die rund 300 Teilnehmer gegen die Bundesratsinitiative wegen Motorradlärms. Der Entwurf soll Fahrverbote für Biker an Sonn- und Feiertagen ermöglichen. Für den Rechtsdrall der Demonstration in Essen hatte der Mönchengladbacher Ratsherr Dominik Roeseler gesorgt – er versucht seit Langem, verschiedene Milieus in einer extrem rechten Mischszene miteinander zu vernetzen.

„Roeseler versucht gezielt, unter einem Fahnen-Thema Menschen auf die Straße zu mobilisieren“, sagt Lenard Suermann von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus NRW. Ein Fahnen-Thema – das ist ein Anlass, der Anhänger unterschiedlicher Ideologien zum Protest zusammenbringt. Für Roeseler ein geübtes Vorgehen: Er hatte bereits die Kölner Hooligan-Demo angemeldet. Dabei protestierten Neonazis neben Islamhassern, christlichen Fundamentalisten und Rechtspopulisten gegen die Einreise von Geflüchteten oder gegen mutmaßliche Gewalt an deutschen Frauen. Zuletzt dockte er auch an Proteste der Corona-Verschwörungsideologen an.

„Wenig authentische Politphrasen“

Zur Motorrad-Demonstration hatte Roeseler den Musiker und Biker Frank Schwung als Zugpferd eingespannt. Schwung ist Vizepräsident der Essener Rockergruppe Freeway Riders MC. 2014 hatten Polizisten bei einer Razzia dort Waffen, Munition und Drogen gefunden.

Trotz des in der Rockerszene angesehenen Gasts kamen weniger Motorradfahrer zur Essener Demo als erwartet. Rund die Hälfte der Teilnehmer bestand aus Rechtsextremen: Neonazis aus Duisburg, die sich als Bürgerwehr inszenierenden Steeler Jungs aus Essen und die Bruderschaft Deutschland aus Düsseldorf. Ebenfalls vor Ort war Edwin Wagensfeld, mehrfach vorbestrafter Initiator von Pegida in Holland. Gegenüber einem rechtsextremen Youtube-Kanal charakterisierte er die Veranstaltung mit den Worten: „In der Farbe getrennt, in der Sache gemeinsam.“

Ob die Einigkeit tatsächlich so groß ist, daran hat Rechtsextremismus-Experte Suermann Zweifel: „Inhaltlich und der Form nach war es eine für Dominik Roeseler typische Veranstaltung. Für das Rockermilieu dagegen waren die vielen Politphrasen wenig authentisch.“ Es sei ein Versuch, an die bundesweiten Demonstrationen vom Samstag anzuknüpfen.

Rocker relativiert rechtsextreme Positionen

Tatsächlich gebe es in der „Mischszene“ inhaltliche Differenzen: „Da kommen verschiedene Milieus zusammen, die eigentlich nicht zusammengehören.“ Es gebe ein Zusammenspiel von Bürgerlichen und Anti-Bürgerlichen: „Da gibt es welche, die sagen, dass sie sich vom Staat nicht unterkriegen lassen. Andererseits rufen sie ‚1, 2, 3: Danke Polizei‘.“ Inhaltliche Diskussionen würden möglichst vermieden, um die Vernetzung durch Streit nicht zu gefährden.

„Dominik Roeseler haben wir über die Fußballjungs bei Rot-Weiß-Essen kennengelernt“, erklärt Biker Frank Schwung gegenüber ZEIT ONLINE. Er teile nicht jede Position von Roeseler, die Zusammenarbeit bei der von beiden gegründeten Initiative Freiheit 21, die als Veranstalter der Demonstration fungiert, wolle er aber fortführen. Ein nächstes Thema könnte etwa „der Kindesmissbrauch“ sein. Auf den Hinweis, dass Roeseler eine zentrale Figur der rechten Szene in Nordrhein-Westfalen ist, winkt Schwung ab: „Die Rechten sind kein Adolf Hitler mehr und werden verteufelt.“ Roeseler habe zwar „rechtes Gedankengut, aber das betrifft nicht die Schiene, was ich damals in der Schule gelernt habe. Gaskammern und so eine Scheiße.“

Roeseler lässt bei der Demonstration in Essen die Narrative der extremen Rechten zunächst außen vor, sondern geht auf die aktuelle Politik ein: Der Bundesratsentschluss zu Fahrverboten sei reine Symbolpolitik, sagt er und bekommt ersten Applaus. Wenige Minuten später aber geht es um den Mobilfunkstandard 5G, um autonomes Fahren, Mobilitätswende und Klimaziele. Roeseler wittert eine Verschwörung und versucht, eine ideologische Klammer für die Milieus zu bilden. Deutschland steuere darauf zu, ein Überwachungsstaat zu werden: „Wer mal nach China schaut, weiß wohin das führt. Da wird die ganze Bevölkerung überwacht.“ Vom Protest gegen die Fahrverbote ist da schnell nichts mehr zu hören.