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In NRW kandidiert ein Nazigegner für die NPD

 

Die NPD hat einen Duisburger und dessen Frau für die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen nominiert – gegen deren Willen. Es ist nicht die einzige Unregelmäßigkeit in diesem Jahr.

Von Dennis Pesch

Duisburger Neonazis mit NPD-Stadträtin Melanie Händelkes (5. von links) bei Pegida NRW im April 2016. © Dennis Pesch

Es ist Mitte August, als Martin Sahl und Alexandra Schuster aus Duisburg erstmals auf ihre scheinbare Beteiligung an der Kommunalwahl angesprochen werden. Wenn am Sonntag in Nordrhein-Westfalen neue Stadträte und Bürgermeister gewählt werden, treten sie an – für die rechte NPD. „Ich war geschockt“, sagt Sahl gegenüber ZEIT ONLINE. Er engagiert sich gegen die rechtsextreme Bewegung Pegida. „Viele meiner ausländischen Freunde haben gedacht, dass ich jetzt ein Nazi bin“, sagt er. Auch Schuster, seine Ehefrau, konnte gar nicht begreifen, was da passiert ist.

Die Auffälligkeit, über die zuerst das Duisburger Medium xtranews berichtet hatte, wirkt aufgrund von Sahls Hintergrund besonders bizarr: Regelmäßig hat er mit der Initiative Duispunkt gegen die nordrhein-westfälische Pegida protestiert. Das bestätigen andere Protestteilnehmer gegenüber ZEIT ONLINE. Seit Ende 2015 demonstriert die islamfeindliche und rassistische Bewegung in Duisburg. Oft dabei: NPD-Stadträtin Melanie Händelkes. 2014 war sie mit 1,7 Prozent der Stimmen in den Stadtrat eingezogen, in diesem Jahr steht sie auf Platz 1 der NPD-Liste.

Für die NPD steht viel auf dem Spiel

Für einen möglichen Wahlbetrug hätte ihre Partei zumindest ein Motiv. Martin Sahl kandidiert ungewollt im Wahlbezirk Hochfeld-Süd/Wanheimerort-West/Neuenhof, Alexandra Schuster in Wanheimerort-Ost/Wedau-Nord. Für Händelkes und die NPD ist es wichtig, die Wahlbezirke mit Kandidaten zu besetzen. Sonst steht die Partei dort nicht auf dem Wahlzettel. Eine Wiederwahl wäre unwahrscheinlicher, zumal viele vormalige NPD-Wähler ihr Kreuz diesmal bei der AfD machen könnten.

Wie die Kandidatur von Sahl und Schuster zustande gekommen ist, können sich die Ehepartner nicht erklären, aber: „Mein bester Freund ist rechts. Ich kenne den seit Kindertagen und er meinte zu mir: ‚Ich würde euch da nie im Leben mit reinreißen‘“, sagt Sahl. Ob sein bester Freund Mitglied bei der NPD ist, wisse er nicht. „Wie er mir erzählt hat, wollte er aber für den Stadtrat kandidieren.“ Ein Mitstreiter von Sahl meint: „Die kennen sich aus frühester Jugend. Auszuschließen ist da aber gar nichts.“ Auf den Zustimmungserklärungen, die mit der Kandidatur beim Wahlamt abgegeben werden, ist zu erkennen, dass dieselbe Handschrift für Schuster und Sahl genutzt wurde.

Partei dementiert Fälschung

Um sich aufzustellen, müssen die Kandidaten Beruf, Wohnort, E-Mail-Adresse und ihre Unterschrift auf der Zustimmungserklärung abgeben. Diese Dokumente liegen dem Wahlamt nach Auskunft der Stadt Duisburg vor. „Ich habe Akteneinsicht bekommen. Unsere Unterschriften sind gefälscht worden“, sagt Sahl. Er hat bei der Polizei eine Anzeige gestellt, der Fall liegt bei der Staatsanwaltschaft.

Für die Wahl dürfte der mutmaßliche Betrug allerdings kaum Konsequenzen haben. Stellt sich eine Unterschrift bei der Prüfung als gefälscht heraus, müsste der Wahlvorschlag zurückgewiesen werden, sagt eine Sprecherin der Stadt Duisburg. Doch die Phase der Wahlvorschläge ist längst abgelaufen, die Parteilisten amtlich. Nur, wenn am Ende einzelne Stimmen in den Wahlbezirken darüber entscheiden, ob NPD-Stadträtin Händelkes erneut in den Rat einzieht, könnte die Wahl in den betroffenen Bezirken ohne Sahl und Schuster auf der Liste wiederholt werden.

Die NPD Duisburg dementiert eine Wahlfälschung. Sie gibt an „die Rechtsabteilung der Partei beauftragt“ zu haben, „sich der Sache anzunehmen“. Demnach habe die Partei einen einstweiligen Verfügungsantrag geprüft und Strafanträge vorbereitet. Händelkes sagt zudem, dass die Kandidaten angeblich von zwei Personen angesprochen worden sein sollen. „Ich kann mir nicht erklären, wie so etwas zustande kommt, zumal die beiden Personen, die die Kandidaten angesprochen haben sollen, gar nichts davon hätten“, sagt sie. Wer diese Personen waren, beantwortet sie nicht.

Auch Erdogan-nahe Partei unter Betrugsverdacht

Der NPD-Fall ist nicht die einzige Auffälligkeit bei der Kommunalwahl. Staatsanwaltschaft und Polizei durchsuchten am Mittwoch ein Büro und drei Wohnungen in Duisburg. Ermittelt wird gegen drei Männer wegen Wahlfälschung. Zwei von ihnen sollen für zwei unterschiedliche Parteien antreten, darunter die BIG-Partei (Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit). Berichten zufolge soll eine Sprachaufnahme des Kandidaten Selgün Çalışır existieren, der angibt, für mehrere Tausend Stimmen Geld bezahlen zu wollen. Der Kandidat bestreitet das. „Da will mir jemand bewusst schaden“, erklärte Çalışır über seinen Anwalt.

Laut der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus NRW und des Sozialwissenschaftlers Kemal Bozay steht die 2010 in Köln gegründete BIG der AKP nahe – der Partei des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Der BIG-Vorsitzende Haluk Yildiz war unter anderem durch antisemitische Äußerungen aufgefallen.

Die Wahl in Nordrhein-Westfalen könnte nun in mehreren Fällen die Gerichte beschäftigen. Auf dem Stimmzettel indes sind längst Tatsachen geschaffen. Das betrifft auch Martin Sahl und Alexandra Schuster aus Duisburg. „Es gibt keine Möglichkeit, den Wahlvorschlag nachträglich zu entfernen“, sagt die Sprecherin der Stadt. Bei der Wahl treten die beiden an – ob sie wollen oder nicht.