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Weniger Symbole, mehr Taten

 

Nun also ein Fackellauf für Inklusion. Im ZDF-Morgenmagazin trommelte die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, für den Fackellauf, der in den kommenden Wochen von Landeshauptstadt zu Landeshauptstadt ziehen wird, um für Inklusion zu werben.

Nach einem Lied für Inklusion und nach x Kampagnen gibt es jetzt eben auch noch einen Fackellauf. So sehr ich das Lied mag und mich bemühe, mich für den Fackellauf zu begeistern, gelingt es mir nicht wirklich. Ich werde langsam müde, das x-te Projekt mit Symbolcharakter zu beklatschen. Die Akzeptanz von behinderten Menschen in der Gesellschaft und deren Inklusion hängt nun mal von Taten ab und nicht allein von Symbolik.

Pessimismus

Genau an diesen Taten lässt es die Bundesregierung derzeit aber massiv missen. Behinderte Menschen in Deutschland warten händeringend auf ein Teilhabegesetz, das seinen Namen auch verdient. Allerdings ist allgemein Pessimismus eingekehrt, seit bekannt wurde, dass 5 Milliarden Euro für die Entlastung der Kommunen bei der Eingliederungshilfe nun in andere Bereiche fließen sollen. Nun wird ein inhaltliches Schrumpfgesetz befürchtet, weil schlicht und einfach kein Geld da ist, um mehr zu machen.

Aber zurück zum Fackellauf: Schon die Frage des Moderators an Verena Bentele – wenn denn schon Dicke in der Schule diskriminiert würden, wieso man dann davon ausgehe, dass es behinderten Kindern anders ergehen könnte – zeugt davon, wie weit man mit der Inklusion bislang gekommen ist: nicht sehr weit. Es war der Moment, an dem ich mir die Bettdecke wieder über den Kopf zog und den Tag am liebsten noch einmal ohne Morgenmagazin begonnen hätte. Zum einen, weil Inklusion schon wieder auf den Schulbereich reduziert wurde, statt sie als gesamtgesellschaftlichen Ansatz zu sehen. Zum anderen aber auch, weil man vielleicht grundsätzlich mal darüber diskutieren sollte, wie die Schulen auf die Vielfalt ihrer Schüler vorbereitet sind und wieso überhaupt zugelassen wird, dass Schüler aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder sonstiger Merkmale gemobbt werden. Und noch etwas war schon fast paradox: In dem Einspieler zum Fackellauf kamen behinderte Menschen gar nicht zu Wort. Man sprach über sie. So funktioniert Inklusion schon mal nicht.

Politik ist gefragt

Die Ausgrenzung behinderter Menschen beseitigt man weder mit einem Lied noch mit einem Fackellauf. Die Politik ist gefragt, aber nicht nur. Gerade las ich auf Facebook die Empörung von Anastasia Umrik, die ebenfalls Rollstuhlfahrerin ist, dass sie einem Café in Hamburg angeboten hatte, ihnen eine Rampe zu besorgen, die sie auf ihre Stufe legen können, wenn ein Rollstuhlfahrer in ihr Café möchte. Zuerst zeigte man sich sehr zögerlich, um nicht zu sagen abweisend. Aber nachdem Anastasia hartnäckig blieb, ist man unterdessen bereit, die Rampe anzunehmen.

In anderen europäischen Ländern und in den USA ist so eine Rampe gesetzlich vorgeschrieben. Ein Lokal, das keine zumutbaren Maßnahmen ergreift, um die Einrichtung auch für behinderte Menschen zugänglich zu machen, handelt in Großbritannien beispielsweise rechtswidrig. Ein behinderter Gast hat dort nicht nur Anspruch darauf, dass die zumutbare Maßnahme erfolgt, sondern hat unter Umständen auch Anspruch auf Schadenersatz wegen Diskriminierung. Ein vergleichbar klares und in der Praxis gut anwendbares Gesetz fehlt in Deutschland. Selbst Österreich hat niederschwelligere Regelungen als Deutschland und hat ab 2016 seine Unternehmen zu Barrierefreiheit verpflichtet, wenn es zumutbar ist. Dazu zählt auch, im Bestand nachzurüsten, wenn das finanziell vertretbar und baulich möglich ist.

Inklusion konkret

Und genau da fängt Inklusion an. Was macht die Gesellschaft konkret, um die gesellschaftliche Teilhabe behinderter Menschen zu verbessern? Welche Maßnahmen gibt es, Zugänglichkeit zu fördern? Wo sind die Töpfe, die die Gebärdensprachdolmetscher finanzieren, um Teilhabe für gehörlose Menschen zu ermöglichen? Wieso eröffnet im Jahr 2015 noch eine nicht barrierefreie Touristenattraktion in Bernkastel-Kues, wenn es viele ähnliche Bahnen gibt, die barrierefrei ausgestattet sind? Warum geht das rechtlich überhaupt?

Diese und andere Fragen hätte ich sehr gerne mal im Morgenmagazin gehört. Denn am Ende brauchen behinderte Menschen keinen Fackellauf, sondern Taten in Form von Gesetzen, Maßnahmen, Geld und einem Willen, wirklich etwas ändern zu wollen, statt auf Symbolpolitik und warme Worte zu setzen.