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Bahnfahren nicht nach 23 Uhr

 

Zug zu fahren ist für Rollstuhlfahrer leider oft ein bisschen abenteuerlich. Auch wenn es einen Rollstuhlplatz im Zug gibt und der Bahnhof barrierefrei ist, braucht man bei den meisten Zügen Hilfe, um überhaupt in den Zug zu gelangen. Das funktioniert meist mit einem Hublift, den ein Bahnmitarbeiter bedienen muss. Und genau dann wird es spannend: Ist das Personal da, wenn es da sein soll? Man braucht schon gute Nerven, um sich in solchen Situationen auf Europas Bahnen zu verlassen.

Diese Nerven bewies eine Rollstuhlfahrerin aus Österreich, die von Wien nach Heidelberg zu einem Kongress fahren wollte. Damit überhaupt Hilfe da ist, muss man sich vorher anmelden. Die Bahnunternehmen informieren dann alle beteiligten Bahnhöfe – also zumindest sollten sie das. In dem Fall der Österreicherin ging von Beginn an alles schief, wie der ORF berichtet. Das Ganze wurde dann allerdings von einer Mitarbeiterin der Deutschen Bahn getoppt, die glaubte um 23 Uhr ein Exempel gegen ihren Arbeitgeber an der Kundin statuieren zu müssen.

Schon beim Einsteigen in Wien gab es Probleme, weil die Anmeldung der Frau offensichtlich verloren gegangen war. Sie bat das Personal an ihrem Umsteigebahnhof Mainz anzurufen, damit ihr dort jemand beim Umsteigen hilft, da auch dort keine Anmeldung eingegangen war, vermutete sie. Trotzdem erwartete sie in Mainz niemand. Aber sie hatte Glück: Ein anderer Rollstuhlfahrer wollte in den Zug und der Hublift stand zufällig am Zug. Ihren eigentlich geplanten Anschlusszug konnte sie dennoch nicht nehmen, weil man ihr in Heidelberg erst später aus dem Zug helfen könne, wurde ihr gesagt. Sie kam mit 90 Minuten Verspätung in Heidelberg an und kontaktierte sofort die Deutsche Bahn, um sicherzustellen, dass die Rückfahrt reibungsloser klappt und die Anmeldung für die Rückfahrt vorliegt.

Hilfe verweigert

Das wurde ihr zugesagt und bis Mainz klappte auch alles, aber dann traf sie auf eine Mitarbeiterin, die irgendwie glaubte, es sei eine prima Idee, um 23 Uhr an einer Rollstuhlfahrerin ein Exempel zu statuieren und ihrem Arbeitgeber den vermeintlichen Personalmangel bildlich vor Augen zu führen. Sie verweigerte ihr trotz Anmeldung und Bestätigung durch die Deutsche Bahn die Einstieghilfe für den Zug um 23.15 Uhr. Denn der Bahnhof sei offiziell nur bis 23 Uhr mit Personal besetzt. Das hatte ihr vorher natürlich niemand gesagt. Und die Mitarbeiterin weigerte sich, 15 Minuten länger zu bleiben.

„Dann würde die Deutsche Bahn einmal sehen, dass sie mehr Personal brauchen,“ zitiert die Frau die Mitarbeiterin. Auch das Sicherheitspersonal der Bahn verweigerte die Hilfe und langsam bekam die Rollstuhlfahrerin Angst, die Nacht am Bahnhof verbringen zu müssen. Sie rief die Polizei. Die waren zwar erst genervt, boten aber dann doch an, der Frau in den Zug zu helfen. Doch als der Zug einfuhr, musste sie feststellen, dass das barrierefreie Abteil defekt ist.

Dass es gerade bei späten oder sehr frühen Zügen Probleme mit der Assistenz gibt, ist übrigens kein Einzelfall. Gerade, wenn man einen frühen oder späten Zug nehmen möchte, sagt die Bahn oft, man müsse anders reisen, denn sie hätten so früh / so spät kein Personal, um die Assistenz zu gewährleisten.

Lösung: Assistenz dann, wenn Züge fahren

Das alles liest sich wie eine Geschichte aus den 80ern als Rollstuhlfahrer noch im Gepäckabteil fahren mussten und bei der Bahn wie Bittsteller anstatt als Kunden behandelt wurden. Aber sie ist aktuell und das hat einen Grund: Niemand verpflichtet die Deutsche Bahn und andere Bahnunternehmen Assistenz zu garantieren, wann immer Züge fahren, sondern dann, wann sie möchten und ihnen das in ihre Personalplanung passt. Wenn man weiß, dass um 23.15 Uhr noch eine Rollstuhlfahrerin in einen Zug einsteigen möchte, dann muss man das schlicht und einfach organisieren.

Die gute Nachricht ist: Die Deutsche Bahn kann das. Zwar nicht in ihrem Heimatland, aber bei ihren Töchtern in Großbritannien. Ein Beispiel gefällig? Arriva Trains Wales ist eine Tochter der Deutschen Bahn. Das Unternehmen hat tolle Richtlinien für behinderte Kunden. Dort heißt es beispielsweise: „Wenn im Vorhinein gebucht (…), bieten wir Assistenz an allen unseren Bahnhöfen mit Personal so lange Züge dort planmäßig halten.“ Und selbst für Bahnhöfe, die nicht barrierefrei sind oder kein Personal haben, gibt es eine Lösung: Arriva zahlt den barrierefreien Transfer zum nächstgelegenen barrierefreien Bahnhof, beispielsweise mit einem barrierefreien Taxi.

Natürlich machen sie das alles nicht, weil sie im Ausland so viel netter sind als in Deutschland, sondern weil das britische Verkehrsministerium sie dazu verpflichtet hat. Da wird die Bundesregierung doch schaffen, ihr eigenes Unternehmen zu Assistenz zu verpflichten, wenn sie gebraucht wird und nicht, wenn es ihm gerade in den Kram passt. Herr Dobrindt, übernehmen Sie…