Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Was wir aus 70 Millionen Leserkommentaren lernen können

 

Was wir über Hate Speech lernen können
Anteil der entfernten Kommentare unter Artikeln von weiblichen und männlichen Redakteuren. Screenshot aus dem Interactive „The dark side of Guardian comments“ © The Guardian

Mehr als 70 Millionen Kommentare haben unsere Kollegen vom Guardian einer umfassenden Datenanalyse unterzogen, um etwas über Hate Speech zu lernen. Welche Artikel werden besonders schlecht kommentiert? Welche Autoren besonders häufig beschimpft? Darauf gibt die britische Tageszeitung in einer Reihe von Infografiken Antwort.

Vorrangig sind es demnach Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund, die Ziel von Hasskommentaren werden. Unter den zehn am häufigsten angefeindeten Autoren sind acht Frauen, davon vier nichtweiße, und zwei schwarze Männer. Die zehn am seltensten angefeindeten Autoren sind dagegen allesamt männlich und weiß.

Wirklich überraschend sind diese Ergebnisse nicht. Sie bestätigen Eindrücke, die jeder gewinnt, der sich mit Kommentaren beschäftigt, egal ob privat oder professionell. Dass allerdings nur zwei Prozent sämtlicher Kommentare durch das Guardian-Team endgültig blockiert worden sind, wie ebenfalls aus der Analyse hervorgeht, ist bemerkenswert. Es belegt, dass es eine Minderheit ist, die Hasskommentare verbreitet. Die erschlagende Mehrheit aller Leser tauscht sich konstruktiv über Nachrichten aus. Trotzdem schließen immer mehr Redaktionen ihre Kommentarbereiche ganz.

 

Leserkommentare sind eine große Bereicherung. Sie führen neue Aspekte und Sichtweisen ein, sind kreativ und gewitzt oder beschreiben als Erfahrungsbericht, was eine bestimmte Geschichte für die Menschen bedeutet, die sie betrifft. Denken Sie zum Beispiel an das Outing von Thomas Hitzlsperger im Januar 2014, das vielen homosexuellen Lesern ein Anlass war, über ihre eigenen Outings oder Ängste zu reden und zu thematisieren, mit welchen Ressentiments sie noch immer im Alltag zu kämpfen haben.

Kommentare sind auch deswegen wertvoll, weil wir dort endlich der Filterblase entrinnen, in der es sich jeder von uns irgendwann im Leben bequem gemacht hat. Weil uns dort Ansichten und Argumente begegnen, die in unserem Freundeskreis vielleicht niemand vertritt. Die uns intellektuell dazu herausfordern, unsere eigenen Positionen zu hinterfragen oder uns helfen, unseren Standpunkt zu festigen. Und ganz nebenbei schärfen wir in der Debatte unser Verständnis für die Positionen anderer Menschen.

Kommentarbereiche und -foren sind im besten Sinn demokratische Räume, eine Errungenschaft von immenser gesellschaftlicher Bedeutung. Umso mehr gilt es diese Räume zu pflegen und zu verteidigen, wenn sie eine Handvoll Empörter und Rassisten bedrohen. Eine gute Moderation kann hier förderlich sein, ist aber aufwendig und kostet viel Geld. Wohl auch darum geben viele Redaktionen klein bei. Aber auch jeder Einzelne kann seinen Teil dazu beitragen. Indem wir aufeinander Acht geben und andere unterstützen, wenn wir Zeugen werden, wie sie jemand ausgrenzt oder beleidigt. Wie auf der Straße gilt es dann, Zivilcourage zu zeigen. Damit nicht krude Äußerungen und Agenden die Debatte beherrschen, sondern wir uns respektvoll miteinander austauschen können. Ohne fürchten zu müssen, dass man uns angreift, und uns womöglich sogar verletzt. Erweitern können Sie Ihre Kompetenzen übrigens mithilfe eines kleinen Quiz, das Sie eingebettet inmitten des Guardian-Textes finden.


Weitere Netzfundstücke von ZEIT ONLINE finden Sie hier.