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„Ich möchte nicht ein zweites Mal meine Heimat verlieren“

 

In Zeiten wie diesen werden Hitlergrüße auf offener Straße gezeigt, Naziparolen gerufen und Menschen aufgrund ihres Aussehens angefeindet. In Zeiten wie diesen wird man das Gefühl nicht los, manche Politiker diskutierten lieber über die Definition fremdenfeindlicher Übergriffe als über das Problem, dass diese überhaupt stattfinden – mitten in Deutschland. In Zeiten wie diesen fühlen sich offenbar viele Menschen mit Migrationshintergrund von der Politik im Stich gelassen. In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bittet der Künstler Michel Abdollahi daher: „Frau Bundeskanzlerin, seien Sie bitte auch meine Bundeskanzlerin, die Bundeskanzlerin aller Migranten in Deutschland, aller Menschen, die diesen Hass nicht wollen.“

Nach den Ausschreitungen in Chemnitz, als Tausende Rechte den Tod eines Deutsch-Kubaners für Propaganda nutzten und sowohl Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) als auch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen Zweifel an dem Umfang der Ausschreitungen geäußert hatten, empfinde er die Stimmung auf der Straße zunehmend bedrohlicher, schreibt Abdollahi. „Lassen Sie es nicht zu, dass Menschen in Deutschland ein weiteres Mal aufgrund ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer Hautfarbe erst diskriminiert und dann verfolgt werden.“

Michel Abdollahi erhält den Medienpreis der Kindernothilfe 2017. © Isa Foltin/Getty Images

Es reiche nicht mehr, das einfach nur zur Kenntnis zu nehmen. Wenn Innenminister Horst Seehofer (CSU) behaupte, die Migrationsfrage sei die Mutter aller politischen Probleme, dann schlage er 19,7 Millionen Menschen, deren Eltern aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen seien, die sich in die Gesellschaft integriert haben und mit ihren Steuern einen Teil zum Erfolg Deutschlands beitragen, ins Gesicht, greift Abdollahi einen Tweet des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby auf, der Seehofers Äußerung zuvor auf Twitter kritisiert hatte.

Mit seiner Aussage mache Seehofer all die Putzfrauen und -männer, Taxifahrer und Taxifahrerinnen, die einfachen Arbeiter und Arbeiterinnen, die Pflegekräfte – die Menschen, die in diesem Land die Drecksarbeit übernähmen, zum Problem. Das tue sehr weh. „Ich bin aber kein Problem. Und ich lasse es mir auch nicht einreden“, schreibt Abdollahi, der im Iran geboren ist und seit 1986 im Hamburg lebt.


In Teheran habe seine Familie ein schönes Haus besessen, mit Spielsachen und Kinderbüchern. Sie seien nicht hierhergekommen, um das Land kaputt zu machen, sondern weil ihre Heimat kaputt gemacht wurde. Angesichts der aktuellen Ereignisse habe er Angst, seine Heimat ein zweites Mal zu verlieren. Mit diesen Worten drückt Abdollahi aus, was viele Menschen in diesen Zeiten bewegt und gibt ihren Sorgen eine Stimme. Sein Facebook-Posting wurde mittlerweile tausendfach geteilt.