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Aus der Tiefe des Raumes

 

Die Hamburger Band Halma reist durch Landschaften aus Klang. Und schreibt dort erhabene, ruhige Lieder, die in keine Schublade passen

Halma

Ein sphärisches Rauschen, nur ein paar Sekunden, beinahe unhörbar. Dann setzt ein tiefer, vibrierender Basslauf ein, ganz langsam, Ton für Ton, druckvoll dennoch und bestimmt. Schließlich ein einfaches Klaviermotiv, nur ein paar Tasten, wieder und wieder. Oder ist das ein Glockenspiel? Nach und nach treten weiche Töne einer akustischen und sägende Laute einer elektrischen Gitarre hinzu, außerdem ein paar sanfte Schlagzeugstreicheleien. Bass Strait eröffnet Back To Pascal, das dritte Album der Band Halma. Ein ruhiges Album ohne einen einzigen dramatisierenden Tempowechsel. Wie soll man das nennen? Vielleicht Zeitlupenmusik?

Es scheint, als versetze die Band ihre zahlreichen Instrumente in langsame Schwingungen, um zu horchen, wie sich der Klang breit macht, kurz den Raum einnimmt und schließlich verschwindet. Weite Landschaften aus Tönen entstehen so, verklingen und werden wieder aufgebaut. Das Meiste bleibt schemenhaft, wie im Nebel. Mancher Anschlag der Bass-Saite und des Schlagzeugfells ist so zart, das man ihn sich auch eingebildet haben könnte. Also Traummusik?

Eile jedenfalls haben Halma keine. Ihre Musik kriecht, schleicht, räkelt und windet sich. Wie die Wolken an einem Herbstnachmittag auf dem flachen Schleswig-Holsteinischen Land türmen und ballen sich die sieben Stücke in den Himmel, stehen dort wie Monumente aus Licht und Schatten, beinahe unbewegt. Wie in den Bildern Emil Noldes. Ölgemäldemusik vielleicht?

Vielleicht. Der Musik nur einen Namen zu geben, ist schwierig. Zeitlos sei sie, sagen manche, für reduziert halten sie andere. Manche nennen das Postrock. Alles richtig, alles genauso falsch. Halma setzen ihre Musik zwischen die Stühle, die Genregrenzen. Jazz klingt in den Improvisationen durch. Schneller gespielt wäre manches irgendwie tanzbar oder sogar rockig. Gleichzeitig ist Back To Pascal melodiös und präzise wie eine Popplatte. Und das Prinzip, mit der Verbindung der Genres zu experimentieren, ist in der Tat Postrock-Bands wie Tortoise abgeschaut. Minutenlang oft wiederholen sich die Motive und Läufe. Immer neu und unberechenbar werden sie ineinander verschachtelt, um neue Einflüsse und (elektronische) Spielereien erweitert. So regt jedes Stück eine Vielzahl von Bildern an, löst kleine Filme im Kopf aus. Das Video zu dem Song Beaufort spielt dann auch ganz deutlich auf F. W. Murnaus Stummfilm Nosferatu an. Nennen wir es also Kopfkinomusik?

Back To Pascal ist eine Instrumentalplatte. Einzig Land’s End hat einen Text: „Let Me Travel This Land From The Mountain To The Sea, For That’s The Life I Believe He Meant For Me“ singen sie zweistimmig, Hank Williams finale Worte aus der Country-Ballade Ramblin‘ Man. „And When I’m Gone At My Grave You Stand, Just Say God’s Called Home Your Ramblin‘ Man“. Das Reisen funktioniert als ein Leitmotiv fast aller Songs. Titel wie Bass Strait (die Meeresstraße zwischen Australien und Tasmanien) und Land’s End, aber auch Hektopascal und Beaufort gemahnen an eine Schiffsreise. Hier und da erahnt man das Knarren einer morschen Planke, das Fauchen der sich am Bug brechenden Gischt. Klingt so Fernweh? Ist das Reisemusik?

Probieren wir es einfach ohne Namen: Mit Back To Pascal haben Halma ein beeindruckendes Album voller Gelassenheit und Schönheit erschaffen, berstend vor Ideenreichtum und vor Bildern. Ein Leichtes, sich davon mitreißen zu lassen.

„Back To Pascal“ von Halma ist als CD und LP erschienen beim Hamburger Label Sunday Service.

Hören Sie hier „Land’s End“