Keine Lust auf schwüle Tango-Abende mit scheppernder Musik? „Tango Fusion Club 2“ elektronifiziert die alten Klänge und holt sie ins Jetzt
Meine Beziehung zum Tango ist schwierig. Ein ganzes Jahr lang quälte ich mich meiner Freundin zuliebe in den Unterricht. Der Lehrer beschied mir, dass ich viel zu wenig Macho sei, dass ich den Tango in der Mitte meines Körpers fühlen müsse. Über eine schlechte Stereoanlage wurde das Studio mit blechernen Klängen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende beschallt. Und wenn einmal moderner Tango auf dem Programm stand, dann war der aus den Neunzehnhundertdreißigern. Zu egal welcher Musik schoben Hobbymachos walzernd Feierabendtänzerinnen übers Parkett. Schrecklich.
Ab und zu ließ ich mich dazu überreden, an einem so genannten Tanzabend teilzunehmen. Hier feierte und begaffte sich das kleinstädtische Tanzbürgertum. Ich fühlte mich fehl am Platz. Ich mochte den Rhythmus und die Energie der Musik, aber nicht an diesem Ort, nicht in dieser Gesellschaft. Und warum muss man sich zu Musik unbedingt bewegen?
Schließlich gab ich auf.
Auch die Münchner Tanzlehrerin Sonja Armisén hatte offensichtlich irgendwann genug von dem anstrengenden Geschepper. Sie ersann den Tango Fusion Club. Moderner sollte der Tango klingen, und man sollte ihn allein tanzen können. Im Jahr 2004 veröffentlichte sie eine Zusammenstellung frisch abgemischter Tangoklänge.
Die Idee fand etliche Nachahmer. So hat Frau Armisén gut daran getan, sich mit der Fortsetzung der Serie Zeit zu lassen. Erst jetzt erscheint der zweite Teil des Tango Fusion Club mit dem seltsamen Untertitel: Electronic Tango Flavoured Beats.
Ihre Idee funktioniert ein zweites Mal. Manche der vierzehn Stücke drängen auf die Tanzfläche, andere tänzeln schüchtern um sie herum. Bei kaum einem ist der Tango Alibi für stumpfes Clubgedröhn. Die Rhythmen sind explosiv, die Stücke treibend. Die dem Genre eigene Traurigkeit tritt in den Hintergrund.
Manchmal ist der Tango nur noch Versatzstück, wie bei Por Una Cerveza von Solex Mechanics. Ganz hinten scheppert eine getragene Melodie der dreißiger Jahre, ein impulsiv bearbeiteter Flügel und wummernd Programmiertes begleiten sie. Bei Luz von Pablo Bonilla sticht das traditionelle Bandoneon nur gelegentlich aus harten Tanzklängen heraus. Andere Stücke sind richtig Tango und werden um Elektronisches nur ergänzt. Schönstes Beispiel dafür ist das Stück Rain von Ryuichi Sakamoto in der Bearbeitung von Daniel Castro. Er unterlegt Bandoneon, Kontrabass und Violine mit einem Pluckern und dezenten Rhythmen und gibt ihm damit einen anderen, dem Jetzt zugewandten Charakter.
Interessant ist diese Kompilation vor allem dann, wenn sich die Künstler von der Vorgabe der Tanzbarkeit entfernen. Im Stück Nautic Dancer von Karoll beispielsweise klingen Einflüsse der postmodernen Jazzformation Tied + Tickled Trio durch, alles lässt sich mit allem kombinieren. Der Kontrabass brummt einen gelassenen Rhythmus, das Bandoneon stimmt eine traurige Melodie an. Elektronikgesprotzel und Vibrafonflächen und ein agiles Schlagzeug holen das Stück ins Hier und Heute.
So höre ich diese Musik gern. Manchmal bewege ich mich sogar dazu.
„Tango Fusion Club – Volume 2“ ist erschienen bei Tango Fusion Club und im Vertrieb von Groove Attack
Hören Sie hier „Nautic Dancer“ von Karoll und „Rain“ von Ryuichi Sakamoto im Remix von Daniel Castro
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