Húllabbalabbalúú! Kay-Ray-Kú-Kú-Kó-Kex! Was soll das denn heißen? Der Band Múm aus Island ist das egal, sie will nur leichtfüßigen Pop spielen
Múm streuen Zweifel. Ihre meist elektronische Musik ist überdreht, viele ihrer Texte sind gesäuselt und bedeutungslos, die Lied- und Albumtitel drollig: These Eyes Are Berries, They Made Frogs Smoke ‚Til They Exploded und The Smell Of Today Is Sweet Like Breastmilk In The Wind – sind Múm kindisch? Oder naiv? Oder einfach unverstandene Surrealisten?
Soviel steht fest: Múm ist ein Kollektiv aus bis zu zwei Dutzend Musikern, gegründet in Reykjavík. Aktiv sind sie seit zwölf Jahren, heuer erscheint ihr sechstes Album, Sing Along To Songs You Don’t Know.
Wer Múm seit längerem zuhört, vernimmt stetigen Wandel: Wie ein Spielmannszug um die ewigeisigen Massen des Vatnajökull zogen sie mit ihrem vorigen Album Go Go Smear The Poison Ivy, kindlich fröhliche Melodien, überladen von ungewöhnlichen Instrumenten und Details. Davor klangen sie zuweilen wie eine dichte Schlechtwetterwolke im isländischen Tiefland, kaum ein paar Meter über dem Boden. Und lange davor tropften ihre Töne glasklar wie das Wasser eines langsam schrumpfenden Eiszapfens – auf Yesterday Was Dramatic – Today Is OK, der Band erstem Album vor bald zehn Jahren. In den Ohren derer, die nicht genau hinhören mochten, klangen sie schon immer gleich. Irgendwie typisch isländisch. Elfenhaft, überdreht, verwaschen, angestrengt.
Das wird sich auch mit Sing Along To Songs You Don’t Know nicht ändern. Wie schade, ist es doch ihr formenreichstes Album, ein Kompendium der bislang angeschlagenen Töne und Stimmungen. Alles ist da: das Glasklare und der Nebel, das Verträumte und das Überdrehte – meist in jedem Lied von allem etwas. Und eines hat Múm ja ohnehin nie verlassen: Die Vernarrtheit in die leichtfüßige Melodie.
Welch hübsch naiver Gedanke sich in diesem Albumtitel verbirgt – steckt hinter allem also doch ein kluger Plan? „Sing along to songs you don’t know, and you never know, until you sing along,“ säuseln Múm in Sing Along mehrstimmig. Und, das gilt sicher der Melodie: „You are so beautiful to us, we want to lock you in our house, we want to eat you with our spoons.“ Wie lange dauert es, bis man ein Lied kennt? Endet die Unkenntnis nicht schon in dem Moment, in dem man beim Mitsingen das erste Mal einen richtigen Ton trifft? Und wie schön wäre es, ein überwältigendes Lied noch einmal nicht zu kennen, noch einmal neu zu erhören? Aber – und deshalb muss sie eingeschlossen, beherbergt und schließlich aufgegessen werden – wie schade wäre es, eine schöne Melodie für immer zu vergessen?
Dieser Widerspruch zwischen dem Wunsch nach dem naiven Hörerlebnis und der Angst vor dem Verlust führte den Musikern also auf Sing Along To Songs You Don’t Know die Feder. Sie geben sich alle Mühe, ihre Lieder so melodiös und doch so unmitsingbar wie möglich zu machen. Die zerbrechlichen Melodien wollen gesummt werden, stolpern doch, verstecken sich hinter kleinen Zwischenspielen und verirren sich schließlich im Klangwust. Der Summer hinkt hinterher. Welch‘ Widerspenstigkeit! Wo es heute doch bald jedes Lied darauf anlegt, ad hoc geliebt zu werden.
Und widersprüchlich wie immer ist das alles instrumentiert. Hier duellieren sich ein präpariertes Klavier und Elektrodrums, die Múm aus dem Tourbus der Flippers gestohlen haben. Dort übersingen sie mehrstimmig das Knacken des Lagerfeuers. Hier trifft eine getragene Melodie auf digitales Kratzen, dort das zum isländischen Nationalinstrument gewordene Glockenspiel auf den Gameboy. Und: Maultrommel, Ukulele, Cello, Klarinette, Gitarre, Streicher … Nichts passt – und doch passt schließlich alles.
Zuviel Bedeutung sollte man aber vielleicht doch nicht vermuten: Zwei Lieder heißen Húllabbalabbalúú und Kay-Ray-Kú-Kú-Kó-Kex, das heißt sicher nicht mal auf Isländisch irgendwas.
„Sing Along To Songs You Don’t Know“ von Múm ist auf CD und Doppel-LP bei Morr Music/Indigo erschienen.