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So schön klingt der Norden

 

Und wieder hallt die feine Stimme einer Skandinavierin zu uns herüber: Kristina Kristoffersen macht mit ihrer Band Spurv Laerke ergreifenden Pop.

Kristina Kristoffersen und ihre Band Spurv Laerke (© Hazelwood)
Kristina Kristoffersen und ihre Band Spurv Laerke (© Hazelwood)

Warum so viele populäre Rockbands aus Skandinavien kommen, ist nicht einmal mit der übungsraumfreundlichen Mitternachtssonne zu erklären. Warum die Polkappennähe allerdings so viele weibliche Glasstimmen heranwachsen lässt, ist da schon deutbarer: Island, Dänemark, Schweden, Norwegen verleihen ihren Sängerinnen offenbar eine besondere Kombination aus robuster Zartheit, die – wie es stereotyp beschrieben wird – zwischen Elfe und Wikinger umhergeistert.

So ist Kristina Kristoffersen beileibe nicht das einzige Feenwesen nordischer Popmusik, aber ein besonders glitzernder Stern, Sternenstaub fast. Eine Rothaarige in Märchenwaldklamotten, die Gefühle und Fantasie so spielerisch schön, so herzergreifend verspielt in Gesang verwandelt, dass einem all die Fjordsagen mit einem Mal wie Tatsachenberichte erscheinen. Gibt es das überhaupt, dieses Zwischenweltliche, schmetterlingshaft Schimmernde, diesen Zauber da oben? Gibt es. Und Kristina Kristoffersens Band Spurv Laerke instrumentiert dies.

Auf ihrem Debütalbum On The Brink Of The Big Otter schafft das dänisch-deutsch-amerikanisch-britische Konglomerat einen verstiegenen Zuckerwattenpop, der oft haarscharf die Grenze zur süßen Übersättigung streift, am Ende aber doch die Balance zur Sachlichkeit wahrt. Es ein beschwingtes Novemberalbum gegen Depressionen. Hier ein bisschen A-ha, dort U2, schmeichelnde Streicher, treibende Britpopgitarren. Und darüber, darunter, darin Kristina Kristoffersens variantenreich geflötete Wortkaskaden.

Jauchzet, jubelt und frohlocket! Es klingt wie ein einziger Ruf nach Frühling, den sie da ausstößt. Als preise sie das Liebreizende, Glänzende, Schöne im Leben, Lieder wie aus der Puppenstube. Doch Cinderellas Frauenarzt entpuppt sich als ruppiger Stalker im spannenden Doctor’s Tale. Liebe wird bisweilen zu einer explizit körperlichen Angelegenheit, wie in Do That. Und überhaupt wummert da manch psychotischer Mollton unter den Engelszungen.

Das macht Spurv Laerke so unberechenbar. Und wenn auch der Bandnamen irgendetwas mit „Spatz“ bedeutet, ist ihr Erstlingswerk doch weit mehr als bloßes Vögelgezwitscher. Kristina Kristoffersen und ihre erfahrenen Berufsmusiker Niklas Kleber (Gitarre), Robert Fischer (Schlagzeug) und Dave Stephens (Bass) verstören mit jedem Refrain, jedem Riff, jedem Arrangement – nicht, weil alles im Detail so sperrig daherkäme, sondern dank einer erstaunlichen Bandbreite in jedem einzelnen Stück.

Man darf sich nie sicher sein. Schon Rainbow Colored Shoes zappelt zum Auftakt dreieinhalb Minuten von fast tonlosem Sprechgesang über verzücktes Hauchen in höchste Tonlagen und liefert sich dazu Duelle mit Glockenspiel, Raumschiffkommandobrückenakustik und konventionell verabreichten Saiteninstrumenten. Dazwischen viele, viele Tempo-, Stimmungs-, Farbwechsel. Bis man sich zu Tokyo Lights kurz vor Schluss gar im düsteren Soundtrack eines Endzeitfilms wähnt. Nichts hat Halt, nichts verweilt lange genug im Ohr, um einen Stil zu prägen, alles ist – pardon: im Fluss. Nur die Stimme hat Bestand. Kristina Kristoffersen. Zu skandinavisch, um einfach nur schön zu sein.

„On The Brink Of The Big Otter“ von Spurv Laerke ist erschienen bei Hazelwood/Indigo.