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Grätsche – und Tor!

 

Indierock aus Afrika: Das neue Album der Blk Jks aus Johannesburg könnte den Fußballzauber während der WM 2010 verstärken.

© Cooperative Music
© Cooperative Music

Das wird anstrengend. Im kommenden Jahr rollt der Ball in Südafrika. Und innerhalb eines Monats werden wir alles erfahren über das Land und seine Bewohner. Werden das Bild des naiven Afrikaners mit der Vuvuzela, einer ziemlich quietschigen Tröte, vorgehalten bekommen. Eines Vielvölkerstaats mit „abwechslungsreicher“ Geschichte und heute so ungeheuer fröhlichen und gastfreundlichen Menschen. Den Kulturalisierungen zu entkommen wird kaum möglich sein. Puh.

Das Ereignis wirft seine langen Schatten voraus, es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet dieser Tage auch mal Musik aus Südafrika herüberschallt. Die Blk Jks – gesprochen Black Jacks, Piratenflaggen – aus Johannesburg sind eine der ersten südafrikanischen Rockbands, die in den USA und Europa überhaupt wahrgenommen werden. Sicherlich sind sie nicht die letzte. Ihre Geschichte in kurz: Gegründet vor zehn Jahren, Minialbum im Jahr 2007, von dem Produzenten Diplo entdeckt und in die USA eingeladen, dort After Robots aufgenommen, ihr erstes Album.

Liest man über dieses Album, bekommt man den Eindruck, Rockmusik habe auf dem afrikanischen Kontinent bis vor kurzem keine Rolle gespielt. Als habe erst die Begeisterung vieler amerikanischer Bands für afrikanische Rhythmen zur Folge, dass die Blk Jks die Sache mal umdrehen, nämlich den Indierock in die südafrikanische Musik integrieren. Als Fortschritt wird das gedeutet, als Selbstermächtigung, stellenweise als eine Art Revanche – das sei die Musik des neuen Südafrikas, heißt es.

Das neue Südafrika, das ist vor allem ein Euphemismus: Das Land hat elf Amtssprachen, ist von Kolonialismus und Apartheid gezeichnet. Seit fünfzehn Jahren ist es befreit vom staatlichen Rassenwahn – und trotzdem auch heute noch eine entlang der Unterscheidung von Schwarz und Weiß organisierte Gesellschaft. Armut hier, Reichtum dort, eine schmale schwarze Mittelklasse dazwischen.

Die Kunst überwindet solche Grenzen leichter. Die südafrikanische Musik ist so integrativ wie kaum eine andere, schon lange. Sie bot vor 1994 vielen Künstlern die Möglichkeit, die Apartheid zu beklagen. Aus den Clubs und dem Radio schallt heute jeder erdenkliche Klang, jede erdenkliche Kombination von Klängen. Hoch im Kurs steht derzeit leicht karibischer Kuschelsoul, der auch im deutschen Formatradio nicht weiter auffallen würde. Sonst: HipHop, Rock, Soul, Pop, vor allem Johannesburg, Jozi, hat eine lebendige Musikszene.

Und so hybrid ist auch der Klang der Blk Jks, alles drin, vieles so verwoben, dass das Gehör es nicht mehr trennen kann. Wozu auch. Die Takte sind vollgepackt bis obenhin, mit poppigen Melodien, mit progressiv rockenden Gitarren, mit hier jazzigem, dort funkigem Geraschel, verschlepptem Dub, Reggae, dann wieder temporeichem Ska, rhythmisch vertracktem House, genannt Kwaito. Lindani Buthelezi singt in mindestens drei Sprachen, Englisch, Zulu und Xhosa. In den kieksigen Höhen erinnert seine Stimme an die von Placebos Brian Molko.

Die „afrikanischen TV On The Radio“ nannte Diplo die Blk Jks. Nachvollziehbar, denn einerseits spinnen beide ihre Lieder um flirrende Rhythmen und über die engen Genregrenzen hinaus. Andererseits ergibt es aber wenig Sinn, die Blk Jks nur auf den amerikanischen Indierock zurückzuführen – zu eigenständig klingen sie.

Vielleicht wird ja im kommenden Sommer die Musik der Blk Jks im Hintergrund laufen, wenn am Ende eines langen Fußballtags der Zusammenschnitt der spektakulärsten Tore, der gemeinsten Grätschen und der wildesten Fußballlehrer zu sehen ist. Dann hätte der ganze Fußballzauber immerhin ein Gutes.

„After Robots“ von den Blk Jks ist auf CD und LP bei Cooperative Music/Universal erschienen; ihr Minialbum „Mystery“ wurde gerade bei Secretly Canadian/Cargo wiederveröffentlicht.