Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Leistungskurs Berliner Schule

 

Toni Mahoni bloggt und singt. Mit seinen ironischen Bemerkungen zum Alltag hat er nun schon zwei Alben gefüllt, „Irgendwat is immer“ heißt sein neustes.

© Andreas Mühe

Tachchen. Det is so en Ding mit dem zwoten Album, wa? Machste detselbe wie beim ersten, winkense alle ab und sagen, langweilich. Machste wat neues, isset ooch nicht recht. Wiestet machst, isset falsch. Also machstet, wie de willst, wa?

So ähnlich wird sich das Toni Mahoni wohl gedacht haben. Er schwadronierte in seinem Weblog Spreeblick bei Kaffee und Selbstgedrehter vor der heimischen Webcam über Gott, Berlin und den weniger wichtigen Rest der Welt. (Dafür gab’s sogar einen Grimme Online Award.) Heute macht er das auf seiner eigenen Seite und hat es auf mehr als 200 von den Clips gebracht.

Da denkt er etwa laut darüber nach, was Außerirdische von Schwarzfahrern halten würden und davon, dass er dem Kontrolletti für zehn Euro einen unsichtbaren Fahrschein abkauft. Oder darüber, dass die Berliner Bezirke die ganze Welt spiegeln und deshalb ihre Kenntnis ausreicht, um die Welt und damit sich selbst zu erkennen – samt der Entstehung vorausschauenden Denkens am Beispiel nächtlichen Bierdursts.

In seinen kurzen Videopredigten, die immer mit „Tachchen“ beginnen und mit „rinnjehaun“ aufhören, griff Mahoni schon zu Spreeblick-Zeiten immer mal zu Akkordeon oder Gitarre und schrammelte ein Lied zwischen Philosophie und Pillepalle, Selbstironie, Satire und ein bisschen Sehnsucht. Die Texte handelten von den letzten Dingen: Kaffee, Bier, Zigaretten und mehr oder weniger funktionierenden Zweierbeziehungen, die Musik war leicht, lustig und sommerlich.

Per Netzgerücht wurde Mahoni berühmt und landete schließlich mit seinen Songs bei Roof Music, wo auch Helge Schneider, Götz Alsmann und Heinz Strunk daheim sind. 2008 entstand mit ein paar Musikerkumpels das Album Allet is eins. Mahoni und Band gingen auf Tour durch Kneipen und Kleinkunstbühnen.

Jetzt ist er wohl gereift, der Toni Mahoni, Jahrgang 1976, aus Köpenick, Ostberlin. Der Nach- ist ein Künstlername, der zur Bühnenpersona passt: ein bisschen kleinbürgerlich, ein bisschen weltfern, ein bisschen gemütlich, ein bisschen kritisch, „genau der Typ, dem man ehrlich abnimmt, wenn er sich über die banalen Geschichten des Alltags auslässt“, sagt Mahoni über Mahoni. Große Augen, die die Welt bestaunen, flaumiger Bartwuchs.

Gereift also. Ernster geworden, weniger leicht und locker. Vielleicht kommt’s vom Schreiben: Mahoni hat ein Buch verfasst, Gebratene Störche heißt es und erscheint zeitgleich mit der neuen CD als Hör- und Papierbuch. Die weibliche Hauptfigur ist Peggy Maschke, eine junge Frau, die nur mit einem Bademantel bekleidet im KaDeWe die Probierhappen besabbert, so als antikapitalistische Kunstaktion.

Das klingt schlimmer, als es ist. Aber enttäuscht wird schon sein, wer von Mahoni einfach nur locker aus dem Ärmel gesungene herrliche Texte hören will wie den des heimlichen Sommerhits 2008, Radler: „Ja et is wieder Zeit / fürn jezapftet Bier mit Sprite / oder sebstjemixt zu Hause / Flasche Pils und irjendne Brause“. Jetzt klingt das eher so: „Hier die toten Fliegen die am Fenster kleben / alle anderen haben mich längst aufgegeben“ (Mond). Oder so: „Traurig ist anzusehn / wie die Jahre vorübergehn“ (Freundschaft). Oder so: „Und nach all diesen Sachen / die man unbedingt gemacht haben muss / ist auch irgendwann mal Feierabend / ist auch irgendwann mal Schluss“ (Zu Ende).

Wer Toni vom ersten Album kennt und mag, den stürzt diese zweite Platte in tiefe Sorge um den armen Kerl. Auch die Instrumente – Stammbesetzung: Gitarre, Piano, Bass – wiegen jetzt schwerer, wurden in der Produktion noch angedickt (sogar mit Streichern, aber schönen). Und die Stimme, die sonst so nett durchs Bermuda-Dreieck zwischen Rio Reiser, Helge Schneider und Tom Waits irrlichtert, changiert stellenweise leicht ins Klaus-Lage-hafte.

Aber so ist das eben mit dem zweiten Album, wenn ein Musiker nicht stehen bleibt. Irgendwat is immer, und irgendwer ist immer enttäuscht. Der ersten Platte bescheinigte eine durchaus wohlmeinende Besprechung in der Jungen Welt „Texte wie aus der Unterstufe der Hamburger Schule“ – jetzt ist Mahoni halt im Leistungskurs.

Das geht manchmal daneben, wenn dem Tiefsinn die Selbstironie abhanden kommt. Oft genug gelingt die Gratwanderung aber. Es gibt schlechtere Liebeserklärungen als die hier: „Liebe wird oft überschätzt / und oft auch übersehn / Du bist meine Liebe jetzt / so lass ich das stehn“ (Liebe). Und gelegentlich kommen veritable Aphorismen heraus: „Ich brauch nüscht was ich hab / vielleicht später mal ’n Grab“ heißt es in Ich hab frei, einem herrlichen Hillbilly-Schrabbler.

Und dann sind da auch noch die verspielten unter den 16 Titeln. Die englisch gesungene Schweinerei Spanish Puta. Der Türsteherverdrängungsspaß Überäugen. Die Drohung an das geliebte Gegenüber, es wegen Vergessens des Geburtstages des lyrischen Ichs auf dem Marktplatz zu verkoofen.

Und vor allem Frühling: „Und ooch die andern werden bunter / und die bekomm‘ wieder Jesichter / Und der Schwachsinn zieht dich nicht mehr runter / denn die Liebe wird wieder wichtijer / Denn is Frühling / Krokusse und Röckchen, Frühling / Touristenbusse Söckchen Frühling / Frühling in der Stadt.“ Jawoll! Zeit wird’s!

Rinnjehaun.

„Irgendwat is immer“ von Toni Mahoni ist erschienen bei Roof Music