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Alice in Dänemark

 

Es bimmelt, flüstert, jubiliert: In Kopenhagen erfindet die Band Efterklang ein Wunderland der jauchzenden Popmusik.

© Nikolaj Holm Moller

Efterklang sind eine erstaunliche Band. Sie kommen aus Kopenhagen und spielen eine Musik, die als sinfonischer Indierock durchgehen mag. Seit 2004 haben sie bislang drei Alben mit behutsamen Liedern aufgenommen – angereichert jeweils um elektronische Dribbeleien einerseits und Unmassen klassischen Instrumentariums andererseits. Mit jedem Album verschoben sich die Mischverhältnisse, auf ihrer neuen Platte Magic Chairs ist das deutlicher als zuvor.

Seit jeher vermittelt ihre Musik eine widersprüchliche Gleichzeitigkeit: Tickernde Miniaturen sind die Ausgangspunkte großer Gesten. Im Behutsamen schwingt die Ungeduld, das Langsame untermalt eine ungeheure Hektik. Ihr Klang ist voll, voller wäre unerträglich, er ist getragen und harmonisch. Und doch ist da auch immer dieses beunruhigende Kratzen und Schaben. Das eine ohne das andere wäre wohl öd. Efterklangs Musik ist aufwühlend, sie lässt einen nie in Ruhe. Wer sie nebenbei laufen lässt, wird wahnsinnig.

Alice im Wunderland kommt einem in den Sinn bei dieser Musik, die so spröde und doch so reich ist. Die ersten Jahre um das Album Tripper glichen Alices Jagd nach dem weißen Kaninchen. Da klang die Neugier neben einem flirrenden Pulsschlag. Verhalten tasteten sie sich voran, als wollten sie ja keinen Fehltritt begehen.

Vor vier Jahren dann schlüpften Efterklang mit Parades in den Kaninchenbau und durchlebten ein traumähnliches Abenteuer. Um sie herum jubilierte und bimmelte es euphorisch. Mehr als dreißig Menschen und Instrumente erschallten, trieben sie an Alices Seite durch ein Wunderland aus absurden Brüchen, vollen Chören und geflüsterten Melodien. Mal tanzten sie auf dem Jahrmarkt, dann wieder starrten sie mit offenen Mündern auf die Bühne eines Opernhauses. Hier elektronische Miniaturen, dort Klarinettensoli, dazwischen Grinsekatzen, zeitlose Teegesellschaften und Tränenmeere. „Tsunami aus Klang“ nannte das jemand damals, man konnte sich aber auch wirklich überrollt fühlen.

Der Höhepunkt der Reise war Performing Parades, die Aufführung des Albums mitsamt des Dänischen Kammerorchesters auf einer Bühne in Kopenhagen. Von hier aus konnten sie sich nur im Wunderland verirren – oder den Kopf aus dem Bau stecken, um Luft zu holen.

Und sie holen Luft, ein Glück. Es scheint, Efterklang seien nun unter dem Baum aufgewacht, an dem sie das Kaninchen einst erspähten. War das alles Traum? Die Eindrücke sind noch frisch, von der Realität nicht zu unterscheiden. Magic Chairs klingt wie die Sammlung der langsam verblassenden Erinnerungen an das Absurde, wie der gefasste Widerhall, der Efterklang des Abenteuers. So wie der Klang der Beach Boys immer nur die Erinnerung an den Strand und die Wellen war.

Magic Chairs vibriert noch ganz wunderländisch, doch es ist von dieser Welt. Das Ausmaß des überkandidelten klassischen Gefiedels hat sich mindestens halbiert, straffer nun erklingen Streicher, Bläser und Klavier. Die Band ist rhythmisch fokussierter, die Stimme des Sängers Caspar Clausen ist vernehmbar und führt die Melodien an. Die Lieder fließen nicht mehr in einen dichten Nebel zusammen, nein, da sind nun zehn richtig feine Poplieder.

Diese jauchzenden Melodien werden manchen Vergleich mit Coldplay herausfordern. Und in der Tat, wenn Caspar Clausen etwa in Alike ein kopfstimmiges Uuhhhuuuhhhuuu anstimmt, dann ist Chris Martin nicht fern. Ansonsten ist der Vergleich ungerecht, denn Efterklang komponieren nicht auf die emotionalisierenden Effekte hin. Wunderbar aufwühlende Lieder wie Modern Drift und I Was Playing Drums sind vom Stadionrock Coldplays mindestens soweit entfernt wie Kopenhagen von Wembley.

„Magic Chairs“ von Efterklang ist auf CD und LP bei 4ad/Beggars Group erschienen.

Efterklang nahmen für ihre neue Plattenfirma 4ad eine Session mit vier Liedern von „Magic Chairs“ auf. Hier kann man sie ansehen. Da lernt man auch, wie der Bandname auf Dänisch auszusprechen ist.