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Großmäulig, lustig, ballverliebt

 

We Are Scientists aus den USA bezeichnen sich als Experten im Fußballhymnenschreiben. Ihre Selbstironie ist bestechend, für ihr neues Album geht’s allerdings nur unentschieden aus.

© Dan Monick

Einen Fußballsong haben sie jetzt auch aufgenommen. Der heißt einfallsreich Goal! England, und das ist auch schon ein großer Teil des Liedtextes. Dabei sind die Jungs, die da mit rotem Georgskreuz auf weißer Perücke von Wayne Rooneys Stollenschuhen singen, eine Band aus den USA: We Are Scientists.

Im Guardian und in deutscher Übersetzung im Freitag erklären We Are Scientists gründlich die Regeln des erfolgreichen Fußballhymnen-Schreibens: „Es gilt das empfindliche Gleichgewicht zu wahren zwischen Patriotismus, heiterem Sportsgeist und bloß nicht zu viel Feingefühl. Künstler wie New Order, Bob Dylan, Led Zeppelin und die Beatles haben sich in diesen Irrgarten gewagt und auf der anderen Seite den Ausgang gefunden. Andere – wie Madonna, U2 und die Beatles – haben bekanntlich mit WM-Songs Schiffbruch erlitten, ihre Karriere damit ruiniert und mäandern seit Dekaden nur noch an den Rändern der Pop-Geschichte herum.“

Aber We Are Scientists schaffen alles, glaubt man We Are Scientists. Ihre Großmäuligkeit zeichnet sie aus. Man möge doch bitte, schreiben sie zur Promo-Version ihres neuen Albums Barbara, nicht die Gelegenheit versäumen, Barbara zu lieben oder (oder?) seine Position in der Musikindustrie zu nutzen, um dem Album einen Platz im Canon Of Great Art & Wonders Both Natural & Man-Made zu sichern, im Kanon der natürlichen und menschengemachten großen Kunstwerke und Wunder.

Das selbstironische Gepose hebt We Are Scientists ab von der Masse der Schlagzeug-Bass-Gitarre-Bands. Die „Beastie Boys des Indiepop“ hat sie jemand mal genannt. 2009 hatten sie eine eigene Comedy-Serie auf MTV: Steve Wants His Money. Darin schulden der Bassist Chris Cain und der Gitarrist und Sänger Keith Murray einem Kerl namens Steve einen Haufen Geld und fliehen nach – schon wieder – England. Dort versuchen sie, Musikern, DJs, Promotern oder leichtgläubigen Musikjournalisten irgendwelche Marketing-Ideen anzudrehen.

Das ewige „England!“ ist kein Zufall: In Europa sind We Are Scientists deutlich populärer als im heimatlichen New York. Vielleicht haben sie sich deshalb auch Andy Burrows geholt, der Anfang 2009 Razorlight im Streit verlassen hatte – der Schlagzeuger aus dem englischen Winchester erklärt den Kollegen jetzt, dass Wayne Rooneys Schuhe football boots heißen und nicht cleats wie bei den Amis. Gründungstrommler Michael Tapper hatte bei den Scientists schon 2007 die Sticks hingeworfen.

Aber lassen wir die Scientists ihre Band-Historie lieber selbst erzählen: Murray und Cain „trafen sich auf einem College in Südkalifornien, wo sie im Hauptfach Babes studierten. Das war zwar kein offizielles Studienfach, aber wäre es eines gewesen, hätten Keith und Chris sicher ihren Abschluss in Babes mit allen Ehren gemacht – nicht, dass irgendwas am Studium der beiden ehrenhaft gewesen wäre“.

Im Jahr 2000, kurz nach dem Abschluss, folgte die Band-Gründung, drei Alben und ziemlich viele Konzerttouren. So, jetzt noch der Name, und es reicht mit dem Geschichtsexkurs: Als die Band zusammen in ein Haus ziehen wollte, fragte der Möbelpacker, ob sie Brüder seien. Sie verneinten. Da fragte er: „Are you scientists?“, seid ihr Wissenschaftler.

Die Scientists waren lange eine der meist verbreiteten Geheimtipps: lustig, sexy und mitreißend. Das sind sie immer noch. Das neue Album geht mit der ersten Single Rules Don’t Stop und mitI Don’t Bite gut los. Kurze, knackige Indiepopnummern rumpeln vorbei, mit schlauen Texten und einem ordentlichen Schuss Britpop („England!“). Aus dem Karpaltunnel geschüttelte Power-Riffs wechseln mit melodischen Gitarrenschrägen, der Rhythmus tollt herum wie die Corgi-Welpen der Queen nach dem Füttern. Auch die zweite Single Nice Guys strotzt vor Übermut.

Dann allerdings hängt das Album ziemlich durch. Jack & Ginger kommt nicht so recht in Fluss, die Joy-Division-bombastische Nummer Pittsburgh mäandert quälende viereinhalb Minuten lang ziellos dahin, und Break It Up hebt zwar funky ab, stürzt aber zwischendurch in merkwürdig arhythmische Nebelbänke. Der Rest ist Füllsel. Immerhin reißen der geschmeidige Synthie-Pop von You Should Learn und der festivalfreundliche Refrain von Central AC es am Ende noch mal raus.

Hört man Barbara, könnte man auf die Idee kommen, We Are Scientists haben das mit dem Rezept für eine Fußballhymne gar nicht so ironisch gemeint: Sie schweißen ihre Songs seit dem ersten Album in derselben lauschigen Postpunk-Alternative-Garage nach Wave-Bauplänen zusammen. Die Schweißnähte bleiben zwar immer noch kunstvoll ungeglättet, aber die Kanten sind an genau den Stellen, wo man sie erwartet.

Dritte Alben im Pop sind wie im Fußball nächste Spiele: immer die schwersten. Zeit für Neues, für Überraschungen, Provokationen. Diese Chance haben die Scientists vorbeirollen lassen wie der englische Torhüter Robert Green im Spiel gegen die USA das Tor zum 1:1 – aber für ein Unentschieden reicht es.

„Barbara“ von We Are Scientists ist erschienen bei Masterswan Recordings/Pias.

We Are Scientists spielen am 18. Juni beim Southside Festival in Tuttlingen und am 19. Juni beim Hurricane Festival in Scheeßel.