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Die singende Chefanklägerin

 

Maya Arulpragasam alias M.I.A. rappt gegen Google und Facebook. Unglaubwürdige Parolen? Ach, ihr Agitprop-Image funktioniert einfach zu gut.

© XL Recordings

Dass die Musik von M.I.A. nach Amoklauf klingt, hat sich herumgesprochen. Das Video zur Single Born Free trifft einen trotzdem so unvorbereitet wie ein Baseballschläger auf den Hinterkopf. Amerikanische Sicherheitskräfte stürmen schwer bewaffnet ein Wohnviertel, treten Türen ein, karren Menschen mit einem Gefangenentransporter in die Wüste, wo ein entsetzliches Massaker beginnt. Der Regisseur Romain Gavras hat den neunminütigen Film unter Aufbietung derart drastischer Splattereffekte inszeniert, dass YouTube ihn nur für Erwachsene freigeben mochte. Was natürlich die beste Werbung für Maya ist, das gerade erschienene M.I.A.-Album.

Seit fünf Jahren ist Maya Arulpragasam alias M.I.A. so etwas wie das schöne Gesicht des militanten Widerstands. Die in London aufgewachsene Tochter eines tamilischen Rebellenführers kämpft an vielen Fronten: In ihren Raps engagiert sie sich für die hinduistische Minderheit in Sri Lanka, sie findet gute Worte für die PLO und eine Menge böser für die USA. M.I.A rappt, als sei sie ein Ein-Frau-Befreiungskommando, das auf direkte Weise mit den Unterdrückten dieser Erde verbunden ist. Doch natürlich gehorcht ihr Einsatz nicht den Gesetzen der Politik, sondern denen des Pop, wo ein knalliges Image mehr zählt als 20 Argumente. Ihrem Erfolg hat das nicht geschadet. Leider kriegt man nach der ersten Grammy-Nominierung ein Glaubwürdigkeitsproblem. Vielleicht klingt Maya deshalb wie eine Flucht nach vorn.

M.I.A. kämpft nun nicht nur ihren einsamen Kampf für Gerechtigkeit in den Krisenregionen der Welt, sie entwindet sich auch den krakenartigen Fangarmen des technisch-unterhaltungsindustriellen Komplexes. „Headbone connects to the headphones, headphones connect to the iPhone, iPhone connected to the internet, connected to the Google, connected to the government„, blafft sie in The Message, einem Agitprop-Song gegen die Macht von Google und Facebook. In Interviews gibt die Ex-Kunststudentin zu Protokoll, ihr Haus und ihr Telefon würden abgehört, von wem, lässt sie im Unklaren. Verschwörungstheorien, wie man sie aus der Welt des radikalen Chic nicht erst seit Public Enemy kennt. Immerhin verstand es deren Rapper und Produzent Chuck D, sich als Sprachrohr der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zu inszenieren.

M.I.A. hingegen muss mit dem Widerspruch fertig werden, einerseits längst selbst zu den Reichen und Schönen zu gehören – sie lebt als Gefährtin des Millionenerben Ben Bronfman in Brentwood, einem Stadtteil von Los Angeles, wo man die Pommes mit Trüffeln würzt – und andererseits dieser Welt den permanenten Krieg zu erklären. Ihre Lösung: noch mehr Posen, noch mehr Parolen.

Der britische Dubstep-Produzent Rusko ist für mehr als die Hälfte der Stücke von Maya verantwortlich, in Steppin‘ Up kombiniert er hochtourige Bohrmaschinen, tiefer gelegte Bässe und in Zeitlupe stolpernde Beats. Story To Be Told reanimiert die majestätische Kraft des Dub-Reggae, durchwirkt von indonesischem Singsang und startenden Flugzeugen – M.I.A. verbrachte ihre Jugend in Hounslow, in direkter Nachbarschaft zum Flughafen Heathrow. Das Ergebnis ist eine verwegene Musique Concrète aus dem Bastelkeller, die mit den exotischen Klängen des Erfolgsalbums Kala nicht mehr viel verbindet.

Trotzdem hat Maya auch Pop-Momente: In XXXO nähert sich die Chefanklägerin des Pop sogar den Fans von Lady Gaga und erklärt, wie Smartphones, Twitter und Facebook unsere Liebesbeziehungen zerstören. „You want me to be somebody who I’m really not„, lautet der eingängige Refrain, und man fragt sich, wen M.I.A. damit wohl meint. Die Plattenfirma, die ihr möglicherweise nahegelegt hat, zumindest einen halbwegs sicheren Hit aufzunehmen? In Fan-Foren und Blogs wird darüber leidenschaftlich diskutiert. Trotzdem deutet nichts darauf hin, dass sich M.I.A. so bald von ihrem Image trennt. Es funktioniert einfach zu gut.

„Maya“ von M.I.A. ist erschienen bei Xl/Beggars

Aus der ZEIT Nr. 28/2010