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Techno vom Land

 

Am Freitagabend einfach mal daheim bleiben und tanzen: „Kilimanjaro“ von Superpitcher ist wahrlich ein Poesiealbum, gebunden aus den schönsten Seiten von Pop und Elektronika.

© Marco Dos Santos

Superpitcher, was für ein Name! So nennt sich der Kölner DJ und Musiker Aksel Schaufler. Zum einen, weil er super ist, na klar. Und mit dem Pitcher bringen DJs ihre Schallplatten auf die gewünschte Geschwindigkeit.

Superpitcher pitcht Gefühle. Auf seinem zweiten Album Kilimanjaro verändert Schaufler unentwegt die emotionalen Drehmomente. Here Comes Love hieß sein Debüt. Sechs Jahre später ist die Liebe weiter gezogen. Nun ist es Zeit, ganz von vorne zu beginnen.

Kilimanjaro beginnt als schläfrige Idylle mit Kirchenglocken und Vogelgezwitscher. Der Wind rauscht. Aus der Ferne sind Kinderstimmen sind zu hören. Die Klänge beschwören Erinnerungen an eine Kindheit in einem rheinischen Dorf. Plötzlich wandelt sich die Atmosphäre: Aus den Kirchenglocken wird ein Höllenläuten, dann legt sich ein feiner Klang über die Geräusche. Das Bild wird unscharf, droht zu entgleiten. Seltsame Schatten kriechen aus den Büschen. Die Kinderstimmen verhallen. In verschlungenen Linien schleichen sich die Bässe heran, eine Orgel jammert sich eine herzzerreißende Melodie zurecht. Aus den Dub-Echos jauchzt die Stimme eines kleinen Jungen: „Voodoo!“ Kilimanjaro bedeutet „Berg des bösen Geistes“ – Superpitchers Geisterbeschwörung hat begonnen.

Obwohl sich die unheimliche Stimmung bald wieder verflüchtigt, bleibt die Platte geheimnisvoll. Nur selten kann man fassen, womit man es zu tun hat. Das liegt vor allem an Superpitchers persönlichem Entwurf der Tanzmusik, die sich auf mit genialen Popideen verbindet. Ständig ändert sich die Richtung, nehmen die Geschichten einen anderen Lauf. Superpitcher lässt House-Kaninchen durchs flirrende Gras hüpfen und traurige Quetschkommoden zu Folkgitarren wogen.

Und lässt sich die Melancholie eines verschenkten Freitagabends schöner beschreiben als mit der Zeile „Friday night and I’m not dancing„?

Vom „black sheep of the family“ singt Superpitcher in dem federnden Stück Country Boy. Superpitcher, der Junge vom Land, das schwarze Schaf der Technofamilie, setzt den großen elektromusikalischen Entwürfen dieses Jahres seine eigensinnigen Skizzen entgegen. Dabei wechseln sich Momente voller Ernst und gespenstischer Melancholie mit absurder Dudelei und spielerischem Pop ab. Dann wiederum trifft zärtliches Knistern auf den großen Wumms der Viervierteltrommel.

Superpitchers Techno ist wie ein Poesiealbum. Auf jeder Seite lässt sich einem anderen Gefühl nachspüren. Manche sind ein bisschen albern, andere voll Traurigkeit. Manche klingeln vor Glückseligkeit. Manche möchte man am liebsten herausreißen.

Am Ende von Kilimanjaro kann das Gemüt sich erholen: Mit der Ballade Holiday Hearts lässt Superpitcher uns in den Sonnenuntergang tanzen. Vielleicht ist es aber auch ein Sonnenaufgang. Die Kaninchen verschwinden in den Büschen. Das schwarze Schaf grast weiter.

„Kilimanjaro“ von Superpitcher ist bei Kompakt erschienen.