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Summertime auf dem Surfbrett

 

Woap-woap und lah-dee-lah-dee: Der Beach Boy Brian Wilson kurvt mit den Gebrüdern Gershwin durch die Musikgeschichte. Dieses Album macht ihnen so leicht keiner nach.

© James Minchin III

Eines voraus: „Reimagined“ im Sinne von ganz neu vorgestellt, radikal uminterpretiert, gar dekonstruiert ist hier nix. Das ist auch gut so, das soll keiner von Brian Wilson verlangen. Der Ex-Beach-Boy hat 1966 Pet Sounds geschaffen, einen Meilenstein der Popgeschichte – das reicht. Schlimm genug, dass die Beatles ihn mit Sgt. Pepper’s kurz darauf dermaßen übertrumpften, dass er auf Jahre in Depressionen versank.

Gut, Wilson hatte schon vor Sgt. Pepper’s so seine Probleme; sie waren es womöglich, die Pet Sounds Tiefe gaben. In den Achtzigern brachte ein schräger Psycho-Doc ihn unter seine Kontrolle, und der Erzkalifornier Wilson hatte Mühe, sich ein Comeback zu erarbeiten. Nicht nur wegen seiner kreativen Großtaten, auch wegen seiner tragischen Geschichte ist er eine monumentale Figur der Popgeschichte. Ein Denkmal, das keine Taubenkacke verdient hat.

Sondern Lorbeerkränze, oder was Surfer sonst so bekommen, die gerade eine Monsterwelle bravourös geritten haben. Brian Wilson Reimagines Gershwin ist ein großartiges Alterswerk geworden, gerade die richtige Mischung aus augenzwinkernden Strandreminiszenzen und gentlemanliker Jazznoblesse. Brian Wilson ist ein grandioser Arrangeur und ein überzeugender Sänger, der aus den hunderttausendmal gecoverten Standards mit Respekt, aber ohne Scheu bunte Popsongs zaubert.

Zwei vokalsatzgeprägte Ausschnitte aus Rhapsody in Blue rahmen das Album standesgemäß ein. I Got Rhythm klingt, als wäre es schon immer ein Beach-Boys-Song gewesen. Auch They Can’t Take That Away from Me ergeht sich in dichten Harmonien, diesem blondgebleichten Doo-Wop-Verschnitt, der die Beach Boys berühmt machte, nachdem Wilson zum 16. Geburtstag ein Mehrspur-Aufnahmegerät bekam und seine Brüder Dennis und Carl, Cousin Mike Love und Kumpel Al Jardine rekrutierte. Und I Got Plenty o‘ Nuttin‘ hat Wilson instrumental belassen, als ungestümen Hillbilly-Jug-Band-Waschbrett-Schrabbler – der Mann hat Freude bei der Arbeit, man hört’s.

Der Disney-Konzern, der das Album in seiner Pearl Series herausbringt, stellte Wilson neben Band und Background-Chor auch ein Orchester zur Verfügung. Das nutzt er für Summertime weidlich aus, lässt sich ein schweißtriefendes, hitzeflirrendes Americana-Panorama malen. Dass er in I Loves You, Porgy als Mann einen Mann ansingt, veranlasste den einen oder anderen amerikanischen Rezensenten zu spitzen Bemerkungen.

Dass Wilson sich ausgerechnet der Gebrüder Gershwin – Ira schrieb fast alle Texte für George – annahm, begründete er so: „Neben Irving Berlin hat George Gershwin eigentlich den Popsong erfunden, aber das ist nicht alles. Er hatte eine spezielle Gabe für gute Melodien, an die niemand anders heranreicht. Trotzdem ist seine Musik zeitlos und immer ansprechend.“

Von den Erben der Gershwins bekam Wilson 114 Klavier-Demos mit unveröffentlichten Songs und Fragmenten aus dem Nachlass des 1937 verstorbenen George Gershwin. Wilson suchte sich zwei davon aus und komplettierte sie. The Like In I Love You ist ein etwas süßlicher Breitwandpopsong geworden, Nothing But Love ein recht straighter Rocker. Beiden ist der Gershwin in Spuren anzuhören. Höhepunkte des Albums sind sie nicht.

Im Gegensatz zu Love Is Here to Stay. Da baut sich Wilson aus Besenschlagzeug, Kontrabass, Streichern, Vibrafon, Gitarre und ein paar Hintergrundvokalieschen ein recht traditionelles Bühnenbild für seine Stimme. Die ist gut gereift, hat unterhalb der einst so strapazierten Falsettlagen sogar einen Touch Sinatra angenommen. Fast wünschte man sich, Wilson würde öfter mal auf die geliebten Satzgesänge verzichten, weil die doch viele Details verschleiern. Aber wenn die Chöre so fett woap-woappen, lah-dee-lah-dee-dahen und diggedidiggedishiggen, dann macht’s auch wieder Spaß.

Wilson ist nicht mehr der jüngste – er geht auf die 70 zu –, und auch die Gershwins surfen schon lange nicht mehr. Aber wie die drei hier zusammen durch die Wellen der Musikgeschichte kurven, das soll ihnen erstmal einer nachmachen. Kowabunga, Mr. Wilson!

Brian Wilson Reimagines Gershwin“ ist erschienen bei Disney Pearl Series/EMI