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Ruhepuls in all der Hektik

 

Ein Tagtraum zwischen Start und Landung der Maschinen: Die beiden Damen von Azure Ray entschleunigen den Trubel, ihre Lieder legen sich wie ein Wattebausch um den Hörer.

© Saddle Creek

Hängengeblieben auf dem Brüsseler Flughafen. Welcher Wirbel, welches Surren hier an diesem Donnerstagabend herrscht. Welche Wohltat, Kopfhörer dabei zu haben. Welche Wohltat, die neue Platte von Azure Ray in Reichweite zu haben.

Gerade noch war Ungeduld und Hektik, nun ist ein sanft schunkelndes Meer von Harmonie: Flinke Finger fächern ein Arpeggio auf die Saiten einer Harfe. Im Hintergrund rauscht eine unerhört schlecht gepflegte Schallplatte, im Vordergrund hauchen Frauenstimmen kleinlaute Verse: „Baby, I’m scared to let go, if you’re leaving. All that we see isn’t bleeding, hard to believe it was worth it.“ Ach, was, Vordergrund, Hintergrund, die Töne verschmelzen und fließen wie Honig durch den aufgewühlten Körper.

Geräuschlos brettern die Jets am Fenster vorbei, das erste Lied passt bequem zwischen zwei Starts. Man muss es mindestens viermal hören – dann erst pendelt der Ruhepuls in Azure Rays Geschwindigkeit. Tschk … bumm … tschk … tschk. Und erst dann ist man bereit, die übrigen Lieder zu hören. Lieder, die nur auf die Gesänge von Maria Taylor und Orenda Fink zugeschnitten sind, sie adeln auch die weniger inspiriert dudelnden Tonspuren (denn ja, die gibt es. Nicht alles ist musikalisch so ausgefallen wie das angesprochene Stück.)

Ein bisschen folkig sind die Lieder, manchmal countryesque, oft kein bisschen schräg. Da wird die akustische Gitarre gezupft, manches Mal ertönen Klavier und Violinen und – zu oft, argh! – ein elektronisches Schlagzeug. All diese Töne scheinen zu verdunsten in großzügigem Hall und verfangen sich schließlich doch alle im Gesang wie Brötchenkrümel im Frühstückshonig (oder, wenn Sie es weniger süßlich mögen und die zweimalige Nennung des Wortes Honig in einer Rezension für verdächtig halten: wie grobgesalzene Fritten in einem dicken Flatsch belgischer Mayonnaise). Behutsam gleiten die Lieder vorüber, es ist ein langsames, ausholendes Wiegen, viele Zeilen enden auf einer mehrstimmiger Harmonie – mal „uuuuhhhhuhu“, mal „mmmmhhhh“, meist „aaaahhhhaha“.

In solch organischem Wabern waren Azure Ray vor sieben Jahren verschwunden. Sie hatten ein paar sehr sehr hübsche Alben aufgenommen bis dahin, außerdem die umwerfende November EP. Darauf erklang Townes van Zandts For The Sake Of The Song. Wen das nicht zu Tränen rührte, der hatte kein Herz. Irgendwann mochten sie sich wohl nicht mehr so sehr, jede musizierte für sich. Nun, welches Glück, mögen sie sich wieder ein bisschen, ausreichend jedenfalls, um es für ein Dutzend neuer Lieder in einem Studio auszuhalten (von der Unterstellung wirtschaftlicher Erwägungen kann man wohl absehen, wer kennt schon Azure Ray?)

Nun schmachten sie also wieder eine samtene Melodie nach der anderen, ohne Effekthascherei. Diese Musik kann man nur schwer nicht mögen. Jedenfalls an diesem Donnerstagabend, als sie sich wie ein Wattebausch um den Hörer legt und ihm die Hektik der Metropole vom Leib hält. Abrupt wird er zurückgeworfen in die Gegenwart, er hat seinen Flieger verpasst. (Nein, das stimmt natürlich nicht, wäre aber doch ein schönes Ende gewesen, nicht?)

„Drawing Down The Moon“ von Azure Ray ist bei Saddle Creek/Cargo Records erschienen.