Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Das Album zum digitalen Leben

 

Radiohead sorgen wieder für große Aufregung: Sie bieten seit Freitag ihr neues Album einfach selbst zum Download an. Eine Musikpresseschau.

Thom Yorke von Radiohead (© Michael Buckner/Getty Images)

Noch immer sind es rund zehn Einträge pro Minute, die Twitter zum Schlagwort Radiohead verbreitet. Seit die Band am Freitag auf ihrer Website das neue Album The King Of Limbs zum Download angeboten hat, quellen Blogs und Kommentarspalten über. Die einen bewundern das Werk, die anderen verurteilen es. In jedem Fall ist die Aufregung groß, weil Radiohead sich mal wieder nicht an gängige Vertriebsmodalitäten gehalten haben. Erst am 25. März erscheint das Album auf CD, als MP3 ist es schon jetzt für sieben Euro zu haben. Downloadportale dürfen nicht dran mitverdienen.

Der britische Guardian schreibt selbstironisch: „Minimale Vorwarnung, Planänderungen in letzter Minute und verwirrende Twitter-Ankündigungen auf Japanisch – begreift Thom Yorke nicht, dass wir strenge Deadlines haben?“ So suchte sich die Nachricht andere Kanäle. „Kritiker, Blogger und Tweet-Freaks – jeder wollte die erste Einschätzung zu den acht Songs auf The King Of Limbs abgeben,“ schreibt Tim Jonze. Und hier liege das Problem. Die Musik von Radiohead sei nicht für den schnellen Konsum gemacht.

Dem stimmt der Züricher Tagesanzeiger zu. Das neue Album brauche Zeit. „Mit jedem weiteren Hören eröffnen Songs wie Cortex [sic!] oder Little By Little unerhörte Qualitäten und Subtilitäten: die Schönheit des Unscheinbaren.“

RP Online widerspricht: „Das 37-minütige Konvolut aus acht Stücken will man nach mehrmaligem Durchhören nicht zu den großen Alben von Radiohead zählen, die Klasse von OK Computer (1997), Kid A (2000) und In Rainbows erreicht es nicht.“

Pah, wer dieses Werk nicht versteht, hat mit den falschen Ohren gehört, entgegnet die BBC. Das Herausfordernde mache nämlich den Zauber von Radiohead aus: „Sie waren nie […] eine Band für die Masse.“ Große Bewunderung hallt aus dem Rundfunkhaus. „Gerade als sich Arcade Fire, ausgezeichnet mit Grammy und Brit Award, anschickten, zur größten Band der Welt zu werden, […] stellen diese alten Säcke ein PR-Video online, lehnen sich zurück und schauen zu, wie die Sozialen Netzwerke zusammenbrechen, weil Millionen wildgewordener Daumen ihre Bewunderung ausdrücken wollen.“

Der BBC-Autor Mike Diver glaubt, in „The King Of Limbs“ das perfekte Album für den Musikhörer des 21. Jahrhunderts entdeckt zu haben. Der konsumiere Musik wohl eher im Pendelverkehr zur Arbeit als daheim beim Glas Rotwein. Hmm, was sagt uns das über das Album?

Andreas Borcholte fasst es auf Spiegel Online folgendermaßen zusammen: „Sie [Radiohead] klingen mechanisch und artifiziell, wo sie echte Instrumente benutzen – und wohlig-warm, wo alles aus der Maschine kommt. Sie spielen ein Vexierspiel mit Popkultur und Publikum, das keinerlei Erwartungen und Ansprüchen genügt, sondern möglicherweise nur sich selbst. Ehrlichere, im ästhetischen Sinn schönere Musik hat unsere Zeit gerade nicht zu bieten.“

Martin Stempfhuber formuliert es in der Süddeutschen Zeitung ebenso zeitgeistig, aber etwas feuilletonistischer: „Niemand schafft es so elegant wie Radiohead, der digitalen Entfremdung Momente ungeheurer Schönheit abzugewinnen. Es ist die idealtypische Hintergrundmusik einer komplexen Internetgesellschaft, die auf der Suche nach dem Geist in der Maschine ist.“

Der Wiener Standard versucht es mit Freud: „Radiohead liefern mit altbekannten Mitteln den Soundtrack für sensible Web-User. Wir leben vernetzt. Aber wir bleiben allein.“

Soll doch jeder selbst hören, ob er ein sensibler Web-User ist. Hier nochmal der Link zum Album.

Screenshot von der Website hashtags.org/radiohead